Cybermobbing Nachhilfe für Politiker im Landtag

Düsseldorf · Der 13-jährige Lukas Pohland erklärt den Abgeordneten im Landtag, wie sich Cybermobbing anfühlt - und was sie dagegen in Zukunft unternehmen sollen.

 "Ich habe mich von der Schule im Stich gelassen gefühlt": Lukas Pohland.

"Ich habe mich von der Schule im Stich gelassen gefühlt": Lukas Pohland.

Foto: Stefanie Lategahn

Als letzter ist Lukas an der Reihe, die Fragen der Landtagsabgeordneten zu beantworten. Wissenschaftler, Psychologen und Kinderschützer haben ihre Erkenntnisse zum Thema Cybermobbing in Theorie und Praxis gerade schon ausführlich dargelegt. Nun erteilt die Vorsitzende des Schulausschusses dem 13-Jährigen das Wort. Der Junge bedankt sich höflich, dann wird er deutlich: Niemand habe an seiner Schule in Schwerte wirklich etwas unternommen, als er Opfer von Cybermobbing wurde, weil er einer Mitschülerin helfen wollte. "Ich habe mich von der Schule im Stich gelassen gefühlt." Diejenigen, an die er sich dort seinerzeit gewandt habe, hätten lieber mit ihm Kaffee trinken wollen.

Lukas Pohland ist der wohl jüngste Sachverständige im Düsseldorfer Landtag, den es je gegeben hat. Der Realschüler aus Schwerte soll den Politikern in einer Experten-Anhörung erklären, was sie gegen Cybermobbing, also Schmähungen im Internet, tun müssen.

Sorgentelefon für Kinder

Der schmächtige Junge mit der Kurzhaarfrisur weiß, wovon er spricht. "Vor über einem Jahr wurde eine Mitschülerin von mir Opfer von digitalen Attacken im Internet", hatte er in einem Brief an den Landtagspräsidenten geschrieben und seinen Fall geschildert. Danach sei er selbst Opfer von Attacken geworden. Als er merkte, wie alleingelassen Mobbingopfer sind, gründete er kurzerhand ein Sorgentelefon für Kinder, das er mit anderen Jugendlichen betreut.

Cybermobbing ist weit verbreitet. Aktuelle Studien gehen davon aus, dass in Deutschland mindestens 1,5 Millionen Jugendliche unter 18 Jahren betroffen sind. Jedes fünfte Opfer ist demnach sogar selbstmordgefährdet. Auffällig ist, dass die Opfer immer jünger werden: Jede zweite Grundschullehrerin kennt bereits Fälle von Cybermobbing. Beinahe die Hälfte der Sechs- bis 13-Jährigen hat ein eigenes Smartphone.

Die Grünen-Opposition im Landtag hatte die Anhörung beantragt. Sie fordert, das Thema in den Aus- und Fortbildungsplänen von Lehrern und Erziehern zu verankern. Zudem sollen die Schulleitungen darin unterstützt werden, Ansprechpartner für Lehrer, Eltern und Schüler zu finden.

Die Forderungen fanden gestern bei nahezu allen Sachverständigen Anklang. "Pubertät findet heute im Netz statt", sagte die Kölner Sozialpsychologin Catarina Katzer, die sich seit 15 Jahren mit dem Thema Cybermobbing beschäftigt. Ziel müsse es sein, einen digitalen Bildungsplan zu entwickeln, in dem Cybermobbing eine wichtige Rolle zukomme. Voraussetzung dafür sei aber eine bessere digitale Ausstattung der Schulen.

"Keine Empathie mit den Opfern"

Die Opfer seien heute in einer völlig neuen Situation: Das Mobbing finde in großer Öffentlichkeit statt, "die Dinge im Netz werden wir kaum mehr los", sagte Katzer. Jeder trage das Mobbing-Werkzeug in der Hosentasche bei sich. Und außerdem sei die Hemmschwelle sehr niedrig, ein Knopfdruck genüge, um anderen aus der Distanz großen Schaden zuzufügen. "Es gibt keine Empathie mit den Opfern." Katzer forderte die Betreiber sozialer Netzwerke auf, einen SOS-Knopf auf jeder Internetseite zu installieren. Um auf das Problem aufmerksam zu machen und jedem, der den Knopf anklicke, Hilfe anzubieten.

Markus Herterich vom Deutschen Kinderschutzbund sprach sich dafür aus, jedem, der mit Kindern umgehe, die notwendige Medienkompetenz zu vermitteln, aber auch Kindern und Eltern: "Die Ahnungslosigkeit der Kinder, aber auch der Eltern ist erschreckend." Schon im letzten Kita-Jahr müssten Kinder mit Cybermobbing konfrontiert werden.

Lukas folgt den Ausführungen sehr aufmerksam. Was er denn von Medien-Scouts an Schulen halte, die als Ansprechpartner dienen sollen, wollen die Abgeordneten von ihm wissen. Wieder fällt seine Antwort deutlich aus: An seiner Schule gebe es so etwas gar nicht, aber an einer Nachbarschule. Dort würden die Scouts aber längst zweckentfremdet: "Sie sind dort nur dafür da, Laptop-Klassen einzurichten." Welche Ratschläge er den Anrufern seines Sorgentelefons denn erteile, wird Lukas schließlich gefragt. Er nenne Beratungsstellen, sagt er, und empfehle, sich an die eigene Schule zu wenden. Dann fügt er leise hinzu: "Viele Mobbingopfer wollen einfach nur ein offenes Ohr."

(RP)
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