Hannelore Kraft Mit dem NRW-Musterköfferchen in China

Chengdu · Ministerpräsidentin Hannelore Kraft war eine Woche in der Volksrepublik unterwegs - auf Wirtschaftsmission: China ist für NRW enorm wichtig. Aber es ging auch um das gute Gefühl, Herausforderungen meistern zu können. Und um Bier.

 Nicht der Rhein, trotzdem beeindruckend: Hannelore Kraft bei einer Schiffsfahrt auf dem Huangpu-Fluss vor der Skyline von Schanghai.

Nicht der Rhein, trotzdem beeindruckend: Hannelore Kraft bei einer Schiffsfahrt auf dem Huangpu-Fluss vor der Skyline von Schanghai.

Foto: Roberto Pfeil

Eigentlich mag Hannelore Kraft keinen Schnaps. Doch wer als nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin die Türen zu einem der wichtigsten Wachstumsmärkte weiter öffnen will, darf nicht ablehnen, wenn er von chinesischen Gouverneuren zum Trinken verdonnert wird. Zielstrebig nähert sich die Sozialdemokratin den stolzen Alpha-Männchen, wirkt freundlich, offen und interessiert. "NRW dankt Ihnen", sagt Kraft auf Chinesisch. Die 54-Jährige erlebt auf ihrer einwöchigen China-Reise viele solcher Abende, die alle darauf zielen, Botschaften zu vermitteln. Und zwar mit einer gewissen Leichtigkeit.

Vor dem Abflug am vergangenen Samstag sieht das noch anders aus. Die Gedenkfeier im Kölner Dom für die 150 Opfer des Germanwings-Absturzes ist gerade 36 Stunden her - und lastet schwer auf Kraft. Lange habe sie mit den Angehörigen gesprochen, Tränen getrocknet, zugehört, sagt sie und drückt ihren blauen Strickpullover an den Körper, als würde sie frieren. Eine Kümmerin für die Menschen sein, das ist Teil ihres Markenkerns. Kraft ist keine Hau-drauf-Politikerin, spielt selten auf Risiko. Sie gilt trotz "Funkloch-Affäre", Beamtenbesoldung und Neuverschuldung in der SPD als unumstritten, wird menschlich und politisch geschätzt. So mancher sagt allerdings auch, dass man als Chefin des bevölkerungsreichsten Bundeslandes mehr leisten sollte.

Genau das versucht Kraft in China. Die Reise ist eine Wirtschaftsmission, daran besteht kein Zweifel. Mit dabei sind Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) und eine 43-köpfige Delegation. Kraft macht Politik für die Wirtschaft, die im ungemein wichtigen China-Geschäft mit praktischen Problemen wie Plagiaten und Zoff in gemeinsamen Unternehmen zu kämpfen haben. Fast täglich öffnet die Ministerpräsidentin ihr NRW-Musterköfferchen: Nach den Niederlanden sei China größter Handelspartner. Die Hälfte aller deutschen Direktinvestitionen aus dem Riesen-Reich gehe nach NRW. 850 chinesische Tochterunternehmen hätten in ihrem Bundesland Fuß gefasst. Kraft ist überzeugt davon, dass die Chinesen das nordrhein-westfälische Kofferschloss knacken wollen: "Es geht um das Wohl beider Regionen." Ein Satz, den Kraft auf ihrer Reise zu einem Mantra macht.

Das Klima für die Mission ist günstig. China will nachhaltiger werden, ökologischer, energieeffizienter. Schmutzig, billig und alt war gestern. Strukturwandel ist auch in dem 1,4-Milliarden-Land das Stichwort. Man wolle sich an den Vorzeigeprojekten aus NRW orientieren. Kraft bekommt keine Garantie, dass China seine Pläne umsetzt, ebnet aber den Weg dafür: indem sie sich für den Mittelstand einsetzt, Kooperationen in der Bergbau-Zulieferung anstößt und Netzwerke ermöglicht. Und sie schafft es, dass sich Wang Yang, als Vize-Ministerpräsident einer der 25 mächtigsten Politiker des Landes, selbst ins Ruhrgebiet einlädt. Auch um mit ihr Fußball zu gucken, wie sie begeistert erzählt.

Ohnehin seien deutscher Fußball und deutsches Bier zwei Dinge, die die Chinesen besonders schätzten, findet Kraft. Ein Erfahrungswert, der Duin auf die Idee bringt, Hopfen und Malz aus NRW nach China zu bringen. Er wolle die Bierproduzenten im Land anschreiben und nachfragen, wie sie ihre Chancen auf dem chinesischen Markt einschätzten, sagt er. Als Journalisten Nachfragen stellen, verrät Krafts Körpersprache, dass sie lieber wieder über Ernsteres spräche. Eine NRW-Bier-Mission für China ist nicht ihr Ding.

Kraft hat einmal gesagt, sie mache Politik, um die Welt zu verbessern. Für diese Aussage wurde sie in Berlin - wo sie nach eigenem Bekunden als Politikerin nicht hingehört - als weltfremd bezeichnet. Kraft stört das nicht. Sie sagt, was ihr am Herzen liegt, oder wenn sie etwas stört. Auch in China: Sie habe keine Schwierigkeiten, das delikate Thema Menschenrechte anzusprechen. Den Fall der chinesischen Journalistin Gao Yu, die wegen angeblicher Weitergabe geheimer Regierungsunterlagen an ausländische Medien zu sieben Jahren Haft verurteilt worden ist, habe sie mit Spitzenpolitiker Wang "offen diskutiert".

Zwei Tage später steht Kraft an Deck eines Schiffes, das die Delegation durch die Abenddämmerung Shanghais fährt. Die Kameras sind aus, das letzte Interview ist gegeben, im Wasser spiegeln sich die Lichter Hunderter Wolkenkratzer - und die Ministerpräsidentin genießt den Moment. Für ein paar Minuten wirkt sie unangestrengt, weniger mütterlich, zufrieden. Und man merkt: Die vergangenen Monate müssen hart gewesen sein.

Durch ihre China-Reise, die heute endet, gibt sie der NRW-SPD kein neues Programm, aber das gute Gefühl, außenwirtschaftliche Herausforderungen meistern zu können. Wahrscheinlich lieben die Sozialdemokraten im Land die Mülheimerin gerade wegen solcher weicher Faktoren so sehr. Bleibt nur die Frage, ob sie 2017 von den Wählern für ihre Botschaften zurückgeliebt wird. Für Kraft spielt das keine Rolle. Sie, die nur 16 Jahre vom Eintritt in die Partei bis zur Ministerpräsidentin gebraucht hat, glaubt an ihren Führungsstil. Und daran, dass am Ende wieder die anderen verlieren.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort