Messerangriff in Münster Verdächtiger sollte eigentlich gar nicht in NRW sein
Düsseldorf · Nach dem Messerangriff auf der Kirmes in Münster wird klar: Der mutmaßliche Täter sollte einer früheren Bewährungsauflage zufolge eigentlich in Niedersachsen leben. Nach dem Willen der Ausländerbehörde sollte er allerdings nicht mal in Deutschland sein.
Der wegen Körperverletzung vorbestrafte 21-Jährige, der auf der Kirmes Send in Münster einen 31-jährigen Familienvater erstochen haben soll, hat offenbar schon im Frühjahr vergangenen Jahres gegen Bewährungsauflagen verstoßen und sollte nach dem Willen der Ausländerbehörde das Land verlassen.
Nach Informationen unserer Redaktion war der junge Mann als Kind im Zuge einer Familienzusammenführung aus Kasachstan nach Deutschland gekommen. Im Jahr 2017 wurde er wegen eines Gewaltdeliktes zu einer mehrjährigen Jugendstrafe verurteilt, die er Herford verbüßte. Im Juli 2021 wurde er vorzeitig auf Bewährung entlassen – die dreijährige Bewährungszeit läuft heute noch. Nach seiner Entlassung wurde der junge Mann in einer Einrichtung des betreuten Wohnens im Kreis Osnabrück in Niedersachsen untergebracht. Solche Arrangements werden durch Gerichte mitunter getroffen, damit junge Straftäter ihrem ehemaligen Umfeld fernbleiben.
Nach Angaben des Kreises Osnabrück blieb der Heranwachsende dort aber nicht einmal ein Jahr. Er sei im Mai 2022 eigenmächtig weggezogen, sagte ein Sprecher. Das sei ein Verstoß gegen Bewährungsauflagen gewesen: „Wir haben das deshalb sofort an das Amtsgericht Herford weitergeleitet.“ Schon während des etwa elfmonatigen Aufenthaltes des heute 21-Jährigen in Niedersachsen habe es eine Ausreiseverfügung gegen ihn gegeben, die der Kreis Coesfeld erwirkt habe. Dagegen habe der Mann aber geklagt: „Bis über diese Klage entschieden ist, hat sie eine aufschiebende Wirkung“, so der der Sprecher aus Osnabrück. Daher kam eine Abschiebung nicht infrage, das Verfahren ist ebenfalls bis heute offen.
Das Amtsgericht Herford gab keine Auskunft dazu, ob und, falls ja, welche Schritte folgten, nachdem der junge Mann den Wohnort gewechselt hatte. Es verwies auf den besonderen Schutz von Jugendstrafverfahren vor der Öffentlichkeit.
Am Donnerstag war das tödliche Geschehen auf der Kirmes Thema im Landtag. Politiker aller Fraktionen sprachen den Hinterbliebenen des 31-jährigen Opfers ihr Mitgefühl aus. „Die junge Familie wollte auf der Kirmes Spaß haben, Freude haben. Stattdessen wurde ein Leben gewaltsam viel zu früh beendet – mit Folgen für Angehörige, die den Rest ihres Lebens damit kämpfen müssen“, sagte Innenminister Herbert Reul (CDU). Es habe ein Sicherheitskonzept auf der Kirmes gegeben, doch solche Taten ließen sich auch durch beste Vorbereitung nicht hundertprozentig ausschließen.
Reul regte nun auch persönlich an, das Waffenrecht zu verschärfen. „Man könnte ernsthaft darüber nachdenken, das Verbot von Messern bei solchen Veranstaltungen ab einer Klingenlänge von vier Zentimetern auszusprechen“, sagte er.
Kritik wurde daran laut, dass die Ermittlungsbehörden nicht schon viel früher Fahndungsfotos des zunächst flüchtigen Verdächtigen veröffentlicht hatten. Dies habe Spekulationen angeheizt, sagte Marc Lürbke (FDP). „Gerüchte kursierten, es sei ein Südländer gewesen mit schwarzen Haaren“, erinnerte er: Das sei eine Steilvorlage für Rechte und Rechtsextreme gewesen.
Der gesuchte 21-Jährige hatte sich am Mittwochmorgen der Polizei gestellt, in Begleitung eines Anwalts und seines 24-jährigen Bruders, der bei dem Vorfall auf der Kirmes dabei war und als Zeuge ebenfalls gesucht wurde. Beide Brüder haben in dem Verfahren das Recht, die Aussage zu verweigern.
Offen ist bislang, ob es auf der Kirmes einen Streit zwischen dem späteren Opfer und dem mutmaßlichen Täter gegeben hatte oder ob der Familienvater getötet wurde, nachdem er eine Auseinandersetzung schlichten wollte. Es gebe diverse Berichte, sagte der Oberstaatsanwalt Martin Botzenhardt aus Münster: „Wir führen entsprechende Ermittlungen durch“, es würden Zeugen befragt. Die Tatwaffe wurde bislang nicht gefunden.