Der doppelte Abi-Jahrgang kommt Mehr Studenten sorgen für Geldnot an Unis

Düsseldorf · Der doppelte Abitur-Jahrgang strapaziert die Hochschulen in NRW organisatorisch und finanziell. Kräftige Zuschüsse für Studienplätze reißen Löcher in die Uni-Haushalte – das klingt paradox, ist aber vielerorts Realität.

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Foto: ddp

Der doppelte Abitur-Jahrgang strapaziert die Hochschulen in NRW organisatorisch und finanziell. Kräftige Zuschüsse für Studienplätze reißen Löcher in die Uni-Haushalte — das klingt paradox, ist aber vielerorts Realität.

Die erste Klippe ist fast umschifft beim doppelten Abiturjahrgang in Nordrhein-Westfalen: Die Klausuren sind geschrieben, die mündlichen Prüfungen laufen, bald werden die Zeugnisse verteilt. Einmal knirschte es kräftig, als nämlich massenhafter Protest der Mathe-Abiturienten gegen die Klausuraufgaben laut wurde — das offenbarte plötzlich die ganze Sorge der 2013er, zu kurz zu kommen, weil die Chancen deutlich schlechter sein könnten als vorher und nachher. Die Wut aber blieb (vorerst) Episode.

Am Horizont zeichnet sich jetzt, gut vier Monate vor dem Start des Wintersemesters, immer deutlicher das eigentliche Problem ab: Bewältigen die Hochschulen den Andrang? Die Kultusministerkonferenz (KMK) rechnet für 2013 mit fast 123.000 Studienanfängern in NRW. Das wären nur etwa 4000 mehr als 2012; andere Schätzungen gehen von bis zu 140.000 aus. Bisher wurden die KMK-Prognosen stets von der Realität übertroffen — 2012 beispielsweise um ein Fünftel. Das hieße für 2013: fast 150.000 Erstsemester.

"Es wird eng" aber "Panik ist nicht angebracht"

Noch weiß niemand, wie viele Abiturienten überhaupt noch dieses Jahr studieren wollen. 2010 etwa ließ sich in NRW mehr als die Hälfte der Schulabsolventen mit allgemeiner Hochschulreife länger Zeit. Eins aber ist nicht nur im notorisch optimistischen Wissenschaftsministerium ("Unterm Strich sind die Universitäten und Fachhochschulen gut vorbereitet", sagt Ressortchefin Svenja Schulze, SPD), sondern auch vor Ort zu hören: Es wird eng, aber es könnte ohne den großen Knall abgehen. "Panik ist unangebracht", sagte jüngst der Präsident der Hochschule Niederrhein, Hans-Hennig von Grünberg. Ursula Nelles, Rektorin der Uni Münster, bilanziert so: "Die Katastrophen sind auch bei der Bewältigung der bisherigen doppelten Abitur-Jahrgänge, etwa in Niedersachen, ausgeblieben. Wir sind auf das kommende Wintersemester gut vorbereitet." Sie erlaubt sich daher die Hoffnung: "Es wird nicht chaotisch werden."

Sollte es so kommen, wäre das ein Erfolg, allerdings ein teuer erkaufter. Einerseits buchstäblich: Der Bund hat bis 2015 zusätzliche 2,2 Milliarden Euro für den "Hochschulpakt" zugesagt, für den Bund und Länder bis 2018 rund 20 Milliarden Euro ausgeben. Andererseits, was die Chancen an den Hochschulen angeht: Für fast zwei Drittel der Fächer gilt im Wintersemester ein Numerus clausus — Bewerber werden dort vor allem nach Abi-Schnitt ausgewählt.

Dennoch wird man in den meisten Hochschulen noch kein erleichtertes Durchatmen hören können. Denn die Zahl der Studienanfänger dürfte nach 2013 nur langsam sinken — erst 2045 soll sie nach einer Prognose der Berater von CHE Consult in Deutschland wieder den Stand von 2005 erreichen, des "Jahrs null" für die Rechnungen des Hochschulpakts. Und trotz der zusätzlichen Studienplätze werden die Finanzprobleme vieler Hochschulen größer statt kleiner.

Zum Beispiel Münster, mit etwa 40.000 Studenten die drittgrößte Uni in NRW. Kanzler Matthias Schwarte rechnet vor. "Der Hochschulpakt sieht vor, dass wir 20.000 Euro pro Erstsemester bekommen." Keinen Cent gebe es allerdings für die Gruppe der Hochschulwechsler, die ihr Studium an einer anderen Universität begonnen hätten. Die Gruppe macht dem Betriebswirt zufolge 20 bis 25 Prozent der Studierenden aus. "Vor dem Hintergrund, dass die 20.000 Euro bereits knapp kalkuliert sind und wir für rund ein Viertel der Anfänger somit überhaupt kein Geld bekommen, kann sich jedermann ausrechnen, dass wir große Probleme damit haben, mit dem Geld aus dem Hochschulpakt alle Ausgaben decken zu müssen", sagt der Kanzler.

Neue Mittel lösen neue Kosten aus

Schwartes schwerwiegendste Klage aber betrifft eine auf den ersten Blick paradoxe Wirkungskette: Mehr Studenten gleich mehr Geld von Land und Bund. Mehr Geld gleich mehr Studienplätze. Mehr Studienplätze gleich mehr Kosten für die Uni. Im Klartext: Neue Mittel lösen neue Kosten aus. "Wir sind froh darüber, dass wir über verschiedene Programme zusätzliches Geld eingeworben haben." Diese meist nur über wenige Jahre laufenden Sonderprogramme seien aber oft mit zahlreichen Auflagen versehen. So dürften beispielsweise ausschließlich Personalmittel damit bestritten werden. Die neuen Lehrkräfte benötigten aber von der Uni anzumietende, beheizte Räume, Strom und Laptops. "Und dieses Geld müssen wir uns jedes Mal wieder aus der Grundfinanzierung herausschneiden."

Gleiches gelte für die Betriebskosten der 220 Uni-Gebäude: "Steigen die Strom- oder Heizkosten, müssen wir allein dafür geradestehen, denn wir sind nur Mieter des Bau- und Liegenschaftsbetriebs NRW", sagt Schwarte. Die Lücke bei den Betriebskosten liege bei jährlich 6,5 Millionen Euro. "Und es wird auf absehbare Zeit kaum besser werden, denn 80 Prozent der Gebäude liegen jenseits jeder Energiesparverordnung." Die Mehrausgaben müssten an anderer Stelle wieder "abgeknapst" werden, sagt der Kanzler — etwa beim Service der Uni-Bibliothek. Die hat jetzt nicht mehr bis Mitternacht, sondern nur noch bis 22 Uhr geöffnet.

Die Aufstockung des Hochschulpakts gebe den Hochschulen "die notwendige Planungs- und Finanzierungssicherheit", erwidert Schulze, räumt aber ein: "Wir sehen zunehmend, dass bei der Drittmitteleinwerbung erfolgreiche Hochschulen sich ,zu Tode siegen', weil sie die Drittmittelvorhaben oftmals mit ihren Grundmitteln gegenfinanzieren müssen." Hier müsse die Grundfinanzierung noch mehr entlastet werden.

Das Problem, das Schwarte beschreibt, heißt Auszehrung — im Fachjargon "strukturelle Unterfinanzierung" genannt. Als "geradezu groteskes Missverhältnis" bezeichnete es Hochschul-Präsident von Grünberg, dass die Hochschule Niederrhein ihre Grundeinnahmen 2013 zu 55 Prozent aus "dauerhafter und verlässlicher" Quelle, nämlich der Grundfinanzierung des Landes, bestreitet. Der Rest sei "temporär" — Ersatzmittel für die Studiengebühren und Geld aus dem Hochschulpakt. Von Grünberg: "Die heutige kurzatmige Finanzierung passt in keiner Weise zu dem auf Dauer und Stetigkeit angelegten Wesen einer Hochschule."

Die Ministerin wirbt für einen Kurswechsel — auf Kosten des Bundes: "Die Länder können auf Dauer nicht alleine die Mittel für den Ausbau der hochschulischen Infrastruktur aufbringen", sagt Schulze und nennt den wachsenden Geldbedarf der Studentenwerke und die vielerorts nötige Gebäudesanierung. Das freilich erfordert eine Grundgesetzänderung, die Schwarz-Gelb in dieser Form ablehnt.

Die Ruhr-Uni Bochum weist für 2013 ein Haushaltsdefizit von sechs Prozent aus — wäre sie ein Euro-Staat, die Politik wäre alarmiert. An mancher Hochschule macht sich schon Galgenhumor breit. "Eigentlich könnten wir ja munter Schulden machen", sagt ein Rektor und verweist auf die Gesetzeslage: "Dass eine Hochschule pleitegeht, ist nicht vorgesehen. Dann hinterlassen wir eben ein paar Rechnungen."

(RP/felt)
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