Mobilität Machtkampf im VRR

Gelsenkirchen · Bis zum 13. Juni muss eine Lösung im Gerangel um den Vorstandschef Ronald Lünser her. Im Verwaltungsrat herrscht eine Patt-Situation. Schreiben vom Personalrat und der Landesverkehrsministerin belegen, dass der Manager durchaus Rückhalt genießt.

 Der Vorstand des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr, Ronald Lünser.

Der Vorstand des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr, Ronald Lünser.

Foto: Volker Hartmann/FUNKE Foto Servi

Europas größter Verkehrsverbund hat ein massives Problem. Das zeigen umfangreiche Recherchen unserer Redaktion, interne Dokumente und zahlreiche Gespräche mit Personen aus Kreisen des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr (VRR). Ende 2021 hat der VRR-Verbandsvorsteher, Hagens Oberbürgermeister Erik Schulz (parteilos), ein Verfahren eingeleitet, dass sich mit der Wiederwahl der VRR-Doppelspitze, Luis Castrillo und Ronald Lünser, beschäftigen muss. Allein das ist ungewöhnlich. Normalerweise laufen die Verträge der beiden Vorstände um ein Jahr versetzt aus. Zum Jahresende ginge es nur um die Vertragsverlängerung von Castrillo an. Warum also auch die Befassung mit Lünsers Vertrag?

Der CDU-Fraktion war ihr eigener Mann Lünser zu unbequem geworden. Sie versucht den Manager nun vorzeitig loszuwerden. Im Verwaltungsrat des VRR ist für solche Personalentschiedung eine Zweidrittel-Mehrheit nötig, also 30 Stimmen. Die CDU hat 23, die SPD 14 und die Grünen sieben. Bislang gab es eine Art Nicht-Angriffspakt zwischen SPD und CDU. Nach dem Motto: Wählt ihr unseren Kandidaten, wählen wir euren. Doch die Gesetzmäßigkeit der Vergangenheit gibt es so nicht mehr.

Am 23. März stimmte die Verbandsversammlung einstimmig dafür, dass man unmittelbar mit einem Verfahren zur Wiederwahl der beiden Vorstände anfängt – CDU-Fraktionschef Frank Heidenreich interpretierte dies im Gespräch mit unserer Redaktion allerdings anders: Die Verbandsversammlung habe dafür votiert, die Position von Lünser nach Ende seiner Vertragslaufzeit oder auch früher neu zu besetzen. Hier dürfte es sich jedoch um eine Überinterpretation handeln. Die Fraktionen stimmten lediglich dem Verfahren zu, über die Vertragsverlängerung beider Vorstände zu entscheiden. Sie stimmten mitnichten dafür, ob Lünser gehen soll oder nicht.

„Wir wünschen uns für den VRR, dass er sich stärker auf den Feldern Mobilitätswende, Dekarbonisierung und Integration des Niederrhein-Verkehrs entwickelt“, sagte Heidenreich jüngst den Zeitungen der Funke-Mediengruppe und forderte einen „Neuanfang für den VRR“. Keines der genannten Themen habe Roland Lünser „kommunikativ besetzen“ können.

Tatsächlich? Erst Ende des vergangenen Monats wurde der VRR mit Klimaplakette der Stadt Haltern am See ausgezeichnet. Die Allianz pro Schiene in Berlin vergab ihm den Verkehrswendepreis. Im April unterzeichnete der VRR mit großem Brimbamborium den Liefervertrag für 73 batterieelektrische Schienenfahrzeuge – die größte Flotte in Deutschland, im Februar wurden die Dieselfahrzeuge auf der Strecke Wesel – Bocholt in Rente geschickt, Elektrifizierung sei Dank.

Der Neuanfang, den Heidenreich fordert, will er laut VRR-Kreisen mit der Abteilungsleiterin Gabriele Matz erreichen, die im September allerdings 65 Jahre alt wird und seit 30 Jahren in der VRR-Verwaltung tätig ist. Nach Neuanfang klingt das nicht wirklich. Innerhalb des VRR heißt es, die eingeschaltete Headhunter-Agentur führen lediglich eine Auditing durch, mit dem nur untersucht werden soll, ob Matz geeignet ist. Eine echte Personalsuche fände nicht statt. Im VRR wird zudem kolportiert, dass Heidenreich selbst ein Auge auf den Posten des VRR-Chefs geworfen haben soll und Matz nach einer Übergangszeit beerben wolle.

Heidenreich selbst wollte sich zu den aktuellen Vorgängen im VRR nicht näher äußern und verwies lediglich auf das laufende Headhunting-Verfahren. Die Genervtheit der Beteiligten ist inzwischen gewaltig. Die Personalie steht im nächsten Verhandlungsblock am 13. Juni auf der Tagesordnung. Wird bis dahin keine Lösung gefunden, könnte es nicht nur schlecht aussehen für die beiden Vorstände. Dann könnte womöglich auch Verbandsvorsteher Schulz die Brocken hinwerfen, heißt es hinter den Kulissen. Schulz ließ eine Anfrage dazu unbeantwortet.

Axel Welp, Fraktionschef der SPD, sagte unserer Redaktion: „Das von der CDU angerichtete Personaltheater muss schnellst möglich aufhören, damit nicht am Ende der VRR beschädigt wird und dies womöglich dazu führt, dass sich Leistungsträger abwenden.“ Zudem müssen wir im Interesse unserer Kunden dringend wieder zu den zentralen Herausforderungen zurückkehren – zu Fragen der Mobilität der Zukunft, aber auch der dauerhaften Finanzierbarkeit der Leistungen. „Aus unserer Sicht stünde einer Wiederbestellung beider Vorstände nichts im Wege“, so der Sozialdemokrat. „Die CDU hat aber leider andere Vorstellungen. Wir würden uns einem Kompromiss nicht völlig verschließen und gestehen der CDU ein Vorschlagsrecht für den Vorstandssprecher zu. Ein Kompromiss würde aber auch beinhalten, dass sich die CDU bewegt.“

Norbert Czerwinski, Fraktionschef der Grünen im VRR, sagte: „Wir erwarten von der CDU, dass sie mit den machtpolitischen Spielchen aufhört, die nicht nur die Vorstände, sondern den VRR in Gänze beschädigen.“ Zwar hätten auch die Grünen in der Vergangenheit die Berufung von Ronald Lünser wegen seiner vorangegangenen Beschäftigung bei Abellio kritisch gesehen. Bei der Lösung des Abellio-Problems habe er aber überhaupt keinen Anlass gegeben, seine Integrität in Zweifel zu ziehen. „Im Gegenteil: Wir waren in der Situation froh, einen echten SPNV-Experten an Bord zu haben. Wir Grüne sind bereit, ihn bis zum Auslaufen seines Vertrags weiter zu halten und nicht unnötige Kosten durch eine Abfindungsregelung zu erzeugen.“ Für die Besetzung der Stelle nach Ablauf der Vertragslaufzeit müsse es ein offenes und transparentes Verfahren geben, um die bestmögliche Nachfolgerin oder Nachfolger zu finden. „Es muss jetzt darum gehen, die Verkehrswende beherzt anzugehen, dazu sollte man sich von der nicht mehr zeitgemäßen Idee eines Vorschlagsrechts der CDU-Fraktion verabschieden.“

Lünser selbst wollte sich auf Anfrage unserer Redaktion nicht zu den Vorgängen um seine Person äußern, hat aber in einem Brief eine vorzeitige Vertragsauflösung angeboten. In der Landespolitik sind sie zunehmend genervt vom Streit im VRR. Das Thema könnte auch in den Koalitionsverhandlungen angesprochen werden. Findet sich am 13. Juni keine Lösung, könnte eine Situation entstehen, in der das Land einspringen und den VRR etwa in SPNV-Angelegenheiten zwangsverwalten müssten. Die Landesregierung hat im Übrigen keine Bauchschmerzen bei Lünser. Das geht aus einem Schreiben von Verkehrsministerin Ina Brandes (CDU) an die Chefs der Verkehrsverbünde und der Schienenverkehrsunternehmen hervor, das unserer Redaktion vorliegt. Darin spricht die Ministerin nach der Abellio-Pleite lobend von „dem insgesamt sehr reibungslosen Übergang des Betreiberwechsels“, für den sie den Beteiligten „von Herzen“ dankt. So klingt tatsächlich niemand, der das Vertrauen ins Management verloren hätte.

Auch beim Personalrat des VRR herrscht nur noch Kopfschütteln. In einem Schreiben an die Verbandsversammlung schreibt deren Vorsitzender Olaf Yström mit Erstaunen: „Wir möchten betonen, dass wir beide Vorstände in den letzten Jahren als verlässliche, integre und fachkompetente Partner kennengelernt haben.“ Die Zusammenarbeit und der Umgang seien „zu jeder Zeit vertrauens- und respektvoll sowie auf einem hohen fachlichen Niveau“ gewesen. „Mit Bedauern müssen wir an dieser Stelle feststellen, dass aus für uns nicht nachvollziehbaren Gründen, diese Arbeit seitens der Politik offenbar nicht erkannt oder gar gewürdigt wird.“ Für den VRR wird der 13. Juni nun zum Schicksalstag.

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