SPD-Politiker im Porträt Das ist Thomas Kutschaty

Düsseldorf · Thomas Kutschaty hat eine sozialdemokratische Bilderbuchkarriere hingelegt: aus „kleinen Verhältnissen“ in den Landtag. Unter Hannelore Kraft war er Justizminister, jetzt will er selbst Regierungschef werden.

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Das ist Thomas Kutschaty

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Foto: dpa/Federico Gambarini

Das laute Brüllen – das ist nicht sein Ding. Seine Stimme will das einfach nicht. Man merkt es, wenn er gezwungen ist, es zu tun. Etwa, wenn er beim Wahlkampfauftakt des SPD-Landesverbands in Essen die Sprechchöre und Trillerpfeifen demonstrierender Impfgegner übertönen muss: „Es geht um den Wohlstand der vielen, nicht der wenigen“, kämpft er dagegen an.

Thomas Kutschaty - Freund der ruhigeren Töne und überlegten Sätze, bei denen seine Stimme geschmeidig bleibt – ist Landesvorsitzender der SPD in Nordrhein-Westfalen, stellvertretender Vorsitzender der Bundespartei, seit 2005 im Landtag, dort Chef seiner Fraktion. Von 2010 bis 2017 war er sieben Jahre lang Justizminister unter Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Jetzt will er selbst Regierungschef werden.

Warum, das begründet er mit seinen Wurzeln. Geboren wurde der heute 53-Jährige im Juni 1968 in „kleinen Verhältnissen“ in Essen-Borbeck: Vater Eisenbahner, Mutter Verkäuferin. Als erster in der Familie machte er das Abitur. Dann Jurastudium, Aufstieg in der SPD. Bildungskarrieren, wie er sie hingelegt hat, seien heute in NRW schwieriger als damals, und gesellschaftliche Gräben seien eher größer geworden als kleiner. „Wir erleben immer mehr Parallelwelten“, sagt Kutschaty.

Bis heute wohnt er mit seiner Familie in Essen, nur zwei Kilometer entfernt von der Siedlung, in der er aufgewachsen ist. Wenn er mit der Straßenbahn durch die Stadt fahre, sehe er auf halber Strecke die Fahrgäste mit den teuren Klamotten aussteigen. Dafür stiegen andere ein: jüngere und sichtbar ärmere und mehr Migranten. Manche Menschen aus dem wohlhabenden Essener Süden kämen nur in den Norden, wenn’s in der Zeche Zollverein ein Konzert gebe.

Wenn Thomas Kutschaty hingegen das Lebensgefühl seiner Kindheit und Jugend schildert, klingt es schon ein bisschen verklärt. Er erzählt von Gemeinschaft und Zusammenhalt in seiner kirchlichen katholischen Jugendgruppe und später bei den Jusos. Aber es sei eben wirklich so gewesen, versichert er: Da wurde der Freund in einer Villa groß und er selbst in der Eisenbahnersiedlung, „das war wirklich völlig schnuppe“. Und bei den Jusos, bei denen er kurz nach dem 18. Geburtstag einstieg: „Da war’s auch egal, ob ich studiert habe oder der Kollege die Ausbildung bei Deichmann gemacht hat.“ Der mit der Ausbildung hatte übrigens schon einen VW Scirocco, „während ich noch Straßenbahn gefahren bin“.

Es treibe ihn an, dieses Gesellschaftsbild wiederherzustellen, sagt Kutschaty. Auf seinem Onlineauftritt bei der SPD schreibt er: „Herkunft entscheidet über Zukunft. Das ist ein gesellschaftlicher Skandal, mit dem wir uns niemals abfinden dürfen. Ich finde mich damit nicht ab. Echte Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit sind keine Träumerei, sondern realistische Ziele.“

Der Landespolitiker sagt von sich selbst, dass er einfache Dinge zu schätzen wisse. Camping-Urlaube zum Beispiel: Das erde einen. „Ich brauch‘ nicht das Luxushotel mit den Mahagoni-Vertäfelungen und dem hochflorigen Teppich.“ Überhaupt neige er wohl zum Minimalismus.

Das scheint zu stimmen, schaut man sich in seinem Büro im Düsseldorfer Landtag um. Da ist alles akkurat aufgestellt: Obstschale auf dem Konferenztisch, Skulpturen auf der breiten Fensterbank. Auf dem großen Schreibtisch ein einsamer, ordentlicher Stapel Akten, Papier und Stift – alles picobello. Darauf angesprochen reagiert Kutschaty jedoch ernsthaft verblüfft: „Ach, finden Sie? Das ist für meine Verhältnisse eher unaufgeräumt.“

An der Wand hinter dem Arbeitsplatz hängt großformatige Kunst: Ein Graffito auf Leinwand, Flächen in Grüntönen, comicartige Linien. Das ist „Knast-Kunst“: Das Bild stammt aus einer Ausstellung von Werken, die hinter Gittern entstanden. Er hat es als Justizminister angeschafft; er fand, das Ministerium könne mal ein bisschen Farbe vertragen.

Bevor ihn die politische Karriere so weit führte, arbeitete Thomas Kutschaty mehr als zehn Jahre lang als Rechtsanwalt. In der SPD ging es zugleich Schritt für Schritt aufwärts für ihn: Eine ganze Reihe von Posten erst bei den Jusos, dann in der Kommunalpolitik hatte er absolviert, bevor er 2005 erstmals in den Landtag gewählt wurde.

Bei den Jusos hat Thomas Kutschaty eines Montagabends auch seine Ehefrau Christina kennengelernt: Das Beste, was seine Partei ihm serviert habe, sagte er mal im Scherz. Er sieht sich selbst als Familienmenschen. Nachdem 1995 der erste Sohn zur Welt kam, ging er in den Erziehungsurlaub. Immerhin zu einer Zeit, in der es ungewöhnlich war, dass Väter die Sorgearbeit in der Familie übernahmen.

Die politische Karriere – das haben seine Frau und er gemeinsam in Kauf genommen – hat ihn viel Familienzeit kostete. „Das ist ein hoher Preis, den man zahlt“, gibt Kutschaty zu. Er habe eben nicht auf dem Fußballplatz gesehen, wie sein Sohn das erste Tor der Saison schoss. Oder den Musikvortrag des zweiten Sohnes oder die Tanzveranstaltung der Tochter. „Das sind schon Momente, an denen man nagt. Weil es auch Erlebnisse sind, die man nicht mehr wiederholen kann.“ Heute sind beide Söhne erwachsen und aus dem Haus, die Tochter noch nicht.

Mit seinem persönlichen Werdegang verkörpert Thomas Kutschaty vieles, was die Sozialdemokratie sich auf die Fahnen schreibt. Die Chance auf Aufstieg durch Bildung, die Verbundenheit mit dem Ruhrpott, die Siege im Wahlkreis in Essen. Die SPD-Wahlwerbung will mit diesen Pfunden wuchern: Sie rückt das Persönliche offensiv in den Mittelpunkt. „Ich weiß, welche große Verantwortung da auf meinen Schultern liegt“, sagte Thomas Kutschaty vorm Start des Wahlkampfes über sein Ziel, Regierungschef zu werden. „Aber ich darf sagen: Ich hab‘ auch richtig Bock drauf.“

Erstellt wurde der Artikel am 30.12.2021.

(zim)
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