Ein Delikt am Tag Land lässt Antisemitismus in NRW beleuchten
Düsseldorf · Mit einer sogenannten Dunkelfeldstudie will die Antisemitismusbeauftragte aufdecken, wie weitverbreitet Judenhass in NRW ist. Antisemitische Straftaten geschehen nach Angaben des Innenministers täglich – und seien nur die Spitze des Eisbergs.
Die Antisemitismus-Beauftragte der Landesregierung, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), will Auskunft darüber erhalten, wie weit Antisemitismus in der Bevölkerung Nordrhein-Westfalens verbreitet ist. Gemeinsam mit NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) gab sie deshalb eine sogenannte Dunkelfeldstudie in Auftrag. 1200 Bürger in NRW sollen von Wissenschaftlern der Universitäten Düsseldorf und Passau dazu befragt werden.
Es ist nicht die erste Studie zu dem Thema. Schon nach der Kontroverse um die Düsseldorfer Rapper Farid Bang und Kollegah, die in der Einstellung des Musikpreises Echo mündeten, hatte Leutheusser-Schnarrenberger eine Studie zu judenfeindlichen Äußerungen im Gangster-Rap beauftragt. Deren Ergebnisse hätten gezeigt, dass man den Blick noch weiten müsse, sagte sie bei der Vorstellung der Studie in der Staatskanzlei.
Die Landesregierung rechnet mit Kosten von etwa 250.000 Euro, die insbesondere für die Befragung ausgegeben werden sollen. „Antisemitismus ist alltäglich“, sagte die FDP-Politikerin. Man erlebe ihn unterschiedlich, etwa in sozialen Medien oder auf dem Schulhof. Nach Angaben von Minister Reul gab es allein in der ersten Jahreshälfte 146 antisemitisch motivierte Delikte. Das sei unerträglich und nicht akzeptabel, sagte Reul. Sein Haus beteiligt sich mit der eigenen Forschungseinrichtung und will den Wissenschaftlern über sie Datenmaterial zur Verfügung stellen. Zudem will sein Ministerium bei der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit unterstützten. Reul erhofft sich neben einer besseren Beschreibung von Entwicklung und Verbreitung des Antisemitismus in der Bevölkerung eine Handlungsempfehlung für gezielte präventive Maßnahmen sowie eine Stärkung des Vertrauens in staatliche Institutionen.
Leutheusser-Schnarrenberger verspricht sich von der Studie eine bessere Datenbasis. Schon jetzt erlebe man, dass täglich bei den im April eingerichteten Meldestellen für Antisemitismus in Düsseldorf, Dortmund und Köln Anrufe von Betroffenen eingingen. Mit ersten Zwischenergebnissen rechnet sie im Frühjahr 2024. Nach Angaben der Forscher wird nun mit der Erstellung des Fragebogens begonnen, die eigentliche Befragung werde voraussichtlich im Frühjahr 2023 beginnen. Derzeit befinde man sich in der Auswahl des Meinungsforschungsinstituts, das die Umfrage mithilfe von Interviews im häuslichen Umfeld der Teilnehmer durchführen werde. Das Institut sei auch für die repräsentative Auswahl der Stichprobe verantwortlich.
Bislang gebe es kaum repräsentative Studien zum Thema, sagte der Passauer Professor Lars Rensmann. Das jetzt geplante Projekt sei einzigartig in Deutschland, da mit experimentellen Methoden unter anderem versucht werden solle, auch „modernisierte Formen des Antisemitismus zu erfassen“. Dazu zählten neben Holocaust-Relativierungen auch Judenfeindlichkeit, wie sie sich heute etwa in Corona-Protesten teilweise manifestiere, sowie „israelbezogener Antisemitismus“. Die neue repräsentative Studie werde über Nordrhein-Westfalen hinaus Bedeutung haben, sagte der Wissenschaftler. Nach Angaben des Düsseldorfer Professors Heiko Beyer wird die Studie so konzipiert, dass man mit verschiedenen Techniken „die wahre Meinung herauskitzeln“ könne – etwa dadurch, dass antisemitische Aussagen in größere Situationen eingebettet würden.