Spitzenkandidatin macht den Unterschied Kraft führt SPD zum Überraschungssieg

Die SPD hat bei den Landtagswahlen in NRW ein noch schlechteres Ergebnis hingelegt als 2005. Trotzdem gehören die Sozialdemokraten um Hannelore Kraft zu den Gewinnern des Tages. Die SPD wird als stärkste Fraktion die Ministerpräsidentin stellen. Die Aufholjagd haben sie vor allem ihrer Spitzenkandidatin zu verdanken.

Landtagswahl 2010: Jubel im SPD-Lager
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"Schade, Jürgen, alles ist vorbei", dröhnt es in der SPD-Parteizentrale, als die ersten Hochrechnungen über die Bildschirme flimmern. Bei 34,5 bis 35 Prozent liegen die Sozialdemokraten je nach Prognose. "Das ist ein guter Tag für Nordrhein-Westfalen. Schwarz-Gelb ist abgewählt", ruft eine sichtlich erregte Hannelore Kraft ihren Anhängern in der Patreizentrale zu. Und: "Die SPD ist wieder da."

"Wir haben eine tolle Aufholjagd hingelegt seit der Bundestagswahl", erklärt Kraft. Zwar hat die SPD gegenüber 2005 weiter an Stimmen verloren, doch jetzt ist sie in der Pole Position. Trotzdem ist noch nicht klar, ob es für die rot-grüne Wunschkoalition reichen wird. Die Prognosen sagen ein knappes Rennen voraus. "Die Zahlen sind eng, der Abend wird lang", sagte Kraft weiter. Am Ende könnten gar die Ausgleichsmandate den Ausschlag geben. Im "ZDF" wollte Kraft sich nicht festlegen, wie es nun weitergeht - vor allem in Hinblick auf eine mögliche Regierungsbeteiligung der Linkspartei. Das werde am Montag besprochen.

Dass die SPD derzeit so nah an der Macht ist, ist vor allem Kraft zu verdanken. Die Frontfrau der Sozialdemokraten galt lange als politisches Leichtgewicht. Das hat sich in den letzten Monaten geändert. Mit jedem Prozentpunkt, den sie auf ihren Rivalen Jürgen Rüttgers (CDU) gut machte, wurde auch die Unternehmenberaterin aus Mülheim stärker in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Jetzt hat sie die Arbeit der letzten Monate selbst gekrönt. Dieses Ergebnis hatten ihr nur Optimisten zugetraut.

Langer Weg an die Spitze

Bis dahin war es ein langer Weg. Nach der historischen Wahlschlappe der NRW-SPD wurde Kraft 2005 Fraktionsvorsitzende im Landtag. Anfang 2007 übernahm sie auch den Landesvorsitz - und wurde zur Herausforderin von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) ausgerufen. Krafts Aufstieg wurde auch dadurch erleichtert, dass sie weder zum rechten noch zum linken SPD-Flügel zählt. In Medienberichten wurde sie zudem als "Trümmerfrau" der einstmals stolzen und mächtigen NRW-SPD bezeichnet. Ohne den Niedergang der Sozialdemokraten in ihrem alten Stammland wäre es wohl kaum möglich gewesen, dass eine Seiteneinsteigerin so schnell nach oben kommt.

Seit Herbst 2009 ist Kraft stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende. Indirekt ebnete ihr das Debakel der SPD bei der Bundestagswahl 2009 den Weg. Nach dem Fehlstart von Schwarz-Gelb in Berlin und NRW-Affären um Sponsoring und Spenden sowie veröffentlichten Interna aus der Parteizentrale holte die SPD gegenüber der CDU sprunghaft in den Umfragen auf. Zuvor hatte die NRW-SPD über Jahre in den Erhebungen deutlich hinter den Christdemokraten gelegen.

Kraft verstand es zudem geschickt, die Seele der Sozialdemokraten nach den desaströsen Debatten um Themen wie Hartz IV und Rente mit 67 zu streicheln. Auch bei den Wählern kam der Schwenk zurück nach links gut an: Laut einer WDR-Analyse sagen 70 Prozent, dass die SPD zu ihren Wurzeln zurückgefunden habe. Nach dem Desaster bei den Bundestagswahlen im letzten September hat sich die SPD in ihrem einstigen Stammland stabilisiert - Kraft ist ihre neue Hoffnungsträgerin.

SPD will regieren

Guntram Schneider, DGB-Vorsitzender in NRW und Mitglied des Kompetenzteams für Arbeit und Soziales, zeigte sich über den Erfolg hocherfreut: "Ich habe Rüttgers gewarnt. Welcher Ministerpräsident hat in NRW über zehn Prozent verloren? Das hat es noch nie gegeben. Die Arbeitnehmer haben begriffen, dass Jürgen Rüttgers kein Arbeiterführer ist. Jetzt haben sie wieder SPD gewählt."

Ralf Jäger, Stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD-Landtagsfraktion, richtet den Blick bereits nach vorn: "Ein Absturz auf der ganzen Linie für die CDU. Jetzt machen wir es besser. Wir wollen regieren!" In welcher Konstellation das sein wird, ist derzeit offen. Rot-Rot-Grün scheint unwahrscheinlich, ein Zweierbündnis mit den Grünen steht auf des Messers Schneide. Und eine Liaison mit der CDU wollen beide Partner nicht - eigentlich.

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