Hohe Kosten, schwierige Organisation NRW-Städte fordern mehr Hilfe für Flüchtlinge

Düsseldorf · Die Landesregierung hat immer wieder betont, dass Kommunen für die Ausgaben entschädigt werden, die sie durch die Versorgung Geflüchteter haben. Aber es fehlt an klaren Zusagen. Unterdessen laufen Kosten auf.

 Ukrainische Geflüchtete bei der Ankunft in Hamburg (Archiv-/Symbolbild).

Ukrainische Geflüchtete bei der Ankunft in Hamburg (Archiv-/Symbolbild).

Foto: dpa/Marcus Brandt

Die Zahl der Menschen, die seit Ausbruch des russischen Angriffskriegs aus der Ukraine nach Deutschland geflohen sind, hat am Wochenende offiziell die Marke von 300.000 überschritten. Tatsächlich dürfte sie allerdings deutlich höher liegen, denn die Einreisenden werden nicht vollständig erfasst. In Nordrhein-Westfalen sind laut NRW-Flüchtlingsminister Joachim Stamp (FDP) im Laufe der vergangenen fünf Wochen gut 100.000 Geflüchtete aufgenommen worden.

Die Städte, in denen die Menschen ankommen, fordern deutlich mehr Unterstützung – nicht zuletzt in finanzieller Hinsicht. „Die Pauschalen des Landes sind für die Städte nicht auskömmlich“, beklagt Pit Clausen, Oberbürgermeister von Bielefeld und Vorsitzender des Städtetages NRW, gegenüber unserer Redaktion. Es fehlten noch immer klare Zusagen über die Übernahme von Kosten. Etwa dafür, „dass der Aufwand für die Einrichtung von Notunterkünften erstattet wird“. Und er pocht auf Planungsgrundlagen. „Auch wenn Prognosen schwierig sind: Wir brauchen in der aktuellen, sehr dynamischen Lage eine Verständigung über Szenarien für die weitere Entwicklung, damit wir uns auf weitere Flüchtlinge vorbereiten können. Die Städte brauchen eine Grundlage, um weitere Unterkünfte anzumieten, aber auch um Schul- und Kitaplätze planen zu können.“

Nicht zuletzt kritisiert Clausen hinderliche Vorgaben des Bundes: Es sei nicht nachzuvollziehen, warum Menschen, die mit ihrem biometrischen Pass unterwegs seien, genau so umständlich registriert werden müssten wie solche ohne Papiere. Dadurch brauche man für jeden Vorgang etwa eine Dreiviertelstunde, „sonst ginge das bei den meisten Geflüchteten in fünf Minuten. Darauf weisen wir seit einem Monat hin“.

Man erkenne aber das Bemühen des Landes an, enger mit den Kommunen zusammenzuarbeiten. So werde nun ein wöchentlicher Austausch mit den Landesministerien etabliert: „Das ist dringend nötig.“

Zugleich ergreifen Städte selbst die Initiative, um organisatorische Missstände zu lösen. So wie in Duisburg: In einem Schreiben ans Flüchtlingsministerium, das unserer Redaktion vorliegt, schildert der dortige Stadtdirektor, dass zugewiesene Schutzsuchende von zentralen Einrichtungen einfach mit dem öffentlichen Nahverkehr losgeschickt würden und dann „unkoordiniert durch NRW fahren“. Die Leute kämen dann irgendwann verspätet in Duisburg an, mitunter auch gar nicht. Die Stadt setze jetzt selbst Busse ein, um sie abzuholen.

Anderswo fürchtet man aus der Erfahrung heraus, auf Kosten sitzen zu bleiben. So sagt Frank Meyer, Oberbürgermeister der Stadt Krefeld: „Ich habe mir das für Krefeld mal für die Jahre 2015 bis 2018 darstellen lassen, wie groß das finanzielle Delta war zwischen dem Geld, was wir erstattet bekommen haben, und der Summe, die wir tatsächlich ausgegeben haben. Bei uns waren das über 40 Millionen Euro.“

In der kommenden Woche wird sich die Politik im Düsseldorfer Landtag der Flüchtlingssituation intensiv widmen. Die SPD fordert die Landesregierung auf allen denkbaren Feldern zum Handeln auf. Es müssten „sofort wirksame Maßnahmen ergriffen werden“, um die Kommunen zu entlasten. Unter anderem schlägt die SPD zudem vor, eine Reihe Runder Tische einzurichten, um Akteure zu vernetzen – zum Schutz der Flüchtenden vor Gewalt und Ausbeutung, zur Koordinierung ehrenamtlicher Arbeit oder, um Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen.

Das Land müsse „die Gesamtverantwortung übernehmen“. Auch bei ganz praktischen Problemen, wie sie SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty anspricht: „Die Geschäftemacher sind bereits auf den Plan getreten“, stellt er fest. Die Kosten für Wohncontainer etwa hätten sich seit Kriegsbeginn verfünffacht. „Das ist nicht nur moralisch fragwürdig, sondern überfordert die Kommunen finanziell“, so Kutschaty. „Warum beschafft die Landesregierung nicht zentral die Dinge, die für die Unterbringung elementar sind, wie zum Beispiel Matratzen, Decken, Betten, Wohncontainer oder auch das Sicherheitspersonal.“

Flüchtlingsminister Joachim Stamp erklärt, er habe „volles Verständnis für die Ungeduld der Kommunen, die bereits Großartiges geleistet haben. Sie erwarten von Bund und Ländern präzise Antworten zu Fragen der Finanzierung, Gesundheitsversorgung, Registrierung und nicht zuletzt zur Verteilung“. Am kommenden Donnerstag wollen Bund und Länder sich zu Finanzierungsfragen festlegen. „Die Umsetzung wird die Landesregierung unmittelbar danach mit den Kommunen besprechen.“ Das Land werde sie nicht im Stich lassen.

Immer wieder haben Kommunen und die Opposition im Landtag auch gefordert, die Landesregierung möge wegen der Fluchtbewegung und zur Vernetzung aller zuständigen Stellen einen Krisenstab einrichten. Das hält Stamp jedoch weiter nicht für sinnvoll: Er verweist auf einen eigenen Stab in seinem Ministerium. „Der Stab in unserem Ministerium hat den Charakter eines für die gesamte Dauer der Fluchtbewegung angelegten operativen Krisenstabs. Dabei sind alle betroffenen Ministerien, die kommunalen Spitzenverbände, die Krisenstäbe der Bezirksregierungen und alle relevanten Akteure eingebunden“, betont er. Die gegenwärtigen Herausforderungen würden das Land noch über Monate beschäftigen. „Darum ist die von uns gewählte Organisationsform besser geeignet als der formale Krisenstab des Landes, der auf eine kurzfristige Katastrophenlage, etwa nach einem Terroranschlag, angelegt ist.“

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