Kommentar zur Gewalt in Bottrop und Amberg Die Gewalttat als politisches Instrument

Die Terrorfahrt von Bottrop und Essen, die Prügelattacke von Amberg in Bayern. Das Jahr 2019 begann in vielerlei Hinsicht leider so wie das Jahr 2018 endete. Was jetzt wichtig ist.

 Lohnenswert: der Blick ins Grundgesetz.

Lohnenswert: der Blick ins Grundgesetz.

Foto: Jana Bauch/Jens Kalaene

Im 70. Jahr des Grundgesetzes sei ein Hinweis auf Artikel 3 gestattet. Er gerät im Geschrei des Alltags in Vergessenheit; der Glanz der Menschenwürde überstrahlt so manche Klugheit. Im dritten Absatz befindet sich der Hinweis, dass niemand wegen seiner Abstammung oder seiner Heimat und Herkunft anders behandelt werden darf. Das ist keine höfliche Bitte, sondern ein Befehl. Den Schreihälsen sei dieser Satz zur baldigen Lektüre empfohlen.

Das Jahr 2019 hat nicht gut begonnen; es startet dort, wo das alte Jahr endete: mit Unversöhnlichkeit, Streit, Gewalt. Und mit der politischen Instrumentalisierung dieser Gewalt. Von links und rechts. In Bottrop und Essen hat in der Silvesternacht ein 50-jähriger Deutscher mutmaßlich mit seinem Auto Jagd auf Ausländer gemacht und acht Menschen verletzt. Im bayerischen Amberg haben am Samstag vier junge Asylbewerber mutmaßlich wahllos Passanten verprügelt und zwölf Menschen verletzt. Beides ist entsetzlich und zu verurteilen. Warum nur fällt das so schwer?

Nach der Attacke in Amberg versucht die CSU, die AfD einmal mehr auf der asylpolitischen Flanke rechts zu überholen. Viele Unionspolitiker, auch Horst Seehofer, rufen nach schärferen Gesetzen und schnelleren Abschiebungen. Dass Seehofer dies nach jeder Attacke durch Asylbewerber tut, legt offen, dass ihm in diesem Bereich bislang keine wesentlichen Fortschritte gelungen sind. Asyl fällt in den Geschäftsbereich des Innenministers. Wenn Seehofer effizientere Abschiebungen will, warum sind sie es nicht? Viele Gesetze reichen hierfür aus; sie werden nicht hinreichend umgesetzt.

Nach der Gewalttat in Amberg wird ein Strauß an politischen Forderungen gebunden. Nach der Gewalttat in Bottrop nicht. Das ist auch nicht nötig. Allerdings wäre es zu begrüßen, wenn der Bundesinnenminister neben der Asylpolitik auch Rassismus zu einem viel diskutierten gesellschaftlichen Thema machen würde. Als Vorkämpfer gegen Fremdenfeindlichkeit trat Seehofer noch nicht explizit in Erscheinung. Das wäre zur Befriedung der Gesellschaft aber durchaus hilfreich.

In der Bewertung beider Fälle darf man es sich nicht zu einfach machen. Die Herkunft der Täter reicht als Erklärung für ihre Gewalt nicht aus. Es lohnt sich ein differenzierter Blick. Ein psychisch Kranker kann auch rechtsradikal sein; Rechtsradikalität ist keine Krankheit. Rechtsradikalität ist auch nicht durch „persönliche Betroffenheit“ (so NRW-Innenminister Herbert Reul) zu erklären. Selbst wenn der Bottroper Fahrer eine Psychose hatte, ist damit keine politische Haltung begründet. In beiden Fällen ist aber eines gewiss: Deutsche Gerichte werden urteilen. Die Justiz sieht alles etwas nüchterner, das ist heilsam.

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