Interview mit Knut Giesler "Keine Entlassungen in der Krise"

Düsseldorf · Seit Oktober steht Knut Giesler an der Spitze des NRW-Bezirks der IG Metall. Im Interview mit unserer Redaktion spricht er über seine Nominierung, seinen Vorgänger Oliver Burkhard, die anstehenden Tarifrunden, die Rente mit 67 und die Zukunft des Opel-Standorts Bochum.

Können Sie sich an den Anruf erinnern, bei dem Ihnen der Posten des Bezirkschefs angetragen wurde?

Knut Giesler: Der Zweite Vorsitzender der IG Metall, Detlef Wetzel, meldete sich. Ich habe dann am Wochenende mit meiner Familie diskutiert. Angesichts des Gestaltungsspielraums war die Entscheidung klar: Mach es!

Hat Sie der Wechsel Ihres Vorgängers Oliver Burkhard in das Management von ThyssenKrupp überrascht?

Giesler: Klar war es ein offenes Geheimnis, dass Oliver Burkhard irgendwann höhere Aufgaben übernehmen würde - aber da ging es um einen Posten an der IG-Metall-Spitze in Frankfurt. Dieser Wechsel war nicht vorhersehbar.

Können Sie sich auch vorstellen, in einen Konzernvorstand zu gehen?

Giesler: (lacht) Darum geht es nicht. Zudem: Ich hab es schon mal abgelehnt, Leiter einer Abteilung mit 600 Leuten zu werden. Für mich zählte die Betriebsrats- und Gewerkschaftsarbeit.

Wie groß ist der Schaden, den Burkhards Seitenwechsel der IG Metall zufügt?

Giesler: Es geht hier weder um Seitenwechsel noch um Schaden. Unser Mitbestimmungsvertrag zum Mitbestimmungsgesetz von 1976 gibt uns enorme Mitgestaltungsmöglichkeit bei ThyssenKrupp. Dass dann ein Guter aus den eigenen Reihen von uns als Arbeitsdirektorvorgeschlagen wird, gehört dazu.

Wird Burkhard eher die Arbeitnehmer- oder die Konzernseite vertreten?

Giesler: Er wird verantwortlich für die jeweils besten Lösungen arbeiten - und die sind nur mit uns zu finden.

Hört sich an, als könnte es auch Konflikte geben.

Giesler: Konfliktfähig sind wir zweifelsfrei. Mit Fahnen und Transparenten geht immer. Konstruktiv um die richtige Lösung zu ringen erfordert Augenhöhe. Die können wir im Einzelfall erstreiten und die haben wir ganz besonders mit der Mitbestimmung quasi institutionell hergestellt. Das ist ein schwierigerer, aber oft besserer Weg.

In Ihrer ersten großen Tarifrunde, in der Stahlbranche, fällt Burkhard als Ratgeber aus.

Giesler: Verhandeln habe ich in den vergangenen 20 Jahren gelernt. Und in dieser Stahltarifrunde weiß ich eine erfahrene Verhandlungskommission und Tarifkommission an meiner Seite.

Ausgerechnet vor den Tarifrunden Stahl und Metall und Elektroindustrie sieht es nach einer Konjunkturdämpfung aus.

Giesler: Wir werden die Steigerungsraten aus 2011 und 2012 nicht mehr haben, aber alles spricht für ein weiteres moderates Wachstum. Die Auslastung im Maschinenbau ist hoch. Rückgänge verzeichnen wir bisher nur bei einem Teil der Automobilzulieferbetriebe und den Herstellern, die vor allem in Südeuropa ihre Kunden haben. Für diese Betriebe und Beschäftigten ist nun die Politik gefordert, um vorzusorgen – mit der Verlängerung der Kurzarbeit auf bis zu 24 Monate, erleichterten Zugangsbedingungen und der Möglichkeit, zu qualifizieren statt zu entlassen.

Werden Sie Ihre Forderungen vor allem auf den Lohn konzentrieren?

Giesler: Unsere Tarifkommissionen werden rechtzeitig beraten, was wir fordern. Natürlich ist Lohn sehr wichtig. Doch in dem zuletzt größten wirtschaftlichen Einbruch haben wir mit dem Tarifvertrag "Zukunft in Arbeit" eine der sozialsten Forderungen umgesetzt: "Keine Entlassungen in der Krise". Jede Forderung und jeder Abschluss muss in die Zeit passen.

Was ist denn heute wichtiger: Beschäftigungssicherung, Lohnerhöhung oder kurze Laufzeit?

Giesler: Entgelterhöhung und Beschäftigungssicherung schließen sich nicht aus. Ich zitiere hier genüsslich FDP-Chef Philipp Rösler: "Die Stütze unserer Wirtschaft ist die Binnenkonjunktur." Die müssen wir jetzt stärken.

Herr Rösler sagt aber auch, dass die Löhne 2013 nur um 2,6 Prozent steigen.

Giesler: Darüber zu entscheiden ist die Sache der Tarifparteien, nicht der Politik.

Haben sie Ambitionen, den Pilotabschluss hinzubekommen?

Giesler: Bei den Tarifverhandlungen Stahl machen wir das, zusammen mit den Kollegen aus den Stahlwerken in Niedersachsen und Bremen. Im Übrigen haben wir das Selbstbewusstsein in NRW, dass wir in jeder Tarifrunde abschlussfähig sind.

Zuletzt war jede Tarifrunde mit einem qualitativen Thema verknüpft wie Leiharbeit oder Azubis. Machen Sie als nächstes Schluss mit Werkverträgen?

Giesler: Beim letzten Abschluss in der Metall- und Elektroindustrie haben wir mehr Fairness für Leiharbeit erzielt und Betriebsräten mehr Mitsprache bei deren Einsatz ermöglicht. Bei Werkverträgen werden wir genau prüfen, wie auch hier mehr Fairness sicher zu stellen ist.

Wie hoch war die Zahl der Neueintritte dank des Abschlusses für die Leiharbeiter?

Giesler: Monatlich erreichen uns derzeit zwischen 200 und 300 Beitrittserklärungen.

Und ab welcher Zahl wären Sie zufrieden?

Giesler: Wir wollen wachsen. Und das gelingt uns in den Betrieben. Doch wir haben in NRW den höchsten Altersschnitt. Bei einem Viertel aller IG-Metall-Mitglieder gibt es hier ein Drittel aller Sterbefälle. Das erfordert doppeltes Engagement, um unseren Zuwachs in den Betrieben zu einem in der Gesamtorganisation zu machen.

Was sind dafür die aussichtsreichsten Zielgruppen?

Giesler: Wir müssen mehr auf Hochqualifizierte setzen. Die werden wir noch gezielter ansprechen.

Sigmar Gabriel hat angekündigt, die Rente mit 67 abzuschaffen, sollten die Unternehmen nicht mehr Ältere einstellen. Ist es nicht Aufgabe der Tarifpartner, die Bedingungen für die Rente mit 67 zu schaffen?

Giesler: Die Rente mit 67 ist nicht die Lösung der Rentenproblematik. Ich habe allein in diesem Jahr 15 oder 16 Anträge für Sonntagsarbeit abgezeichnet. Das zeigt doch, wie hoch flexible die Arbeitszeiten heute sind. Wer so arbeitet, schafft es nicht mehr, mit 65 in Rente zu gehen - geschweige denn mit 67. Die Politik muss Möglichkeiten schaffen, damit Arbeitnehmer in Würde aus dem Arbeitsleben ausscheiden können, ohne Abschläge hinzunehmen. Völlig starre Systeme helfen uns nicht - egal mit welcher Altersgrenze.

Die Koalition will den Rentenbeitrag auf 18,9 absenken. Das müssten Ihre Mitglieder doch begrüßen?

Giesler: Ich bin da eher Anti-Zykliker. Im Moment konnten doch wirklich alle mit dem Beitragssatz gut leben. Wenn man jetzt vorsorgt ist das gescheiter als ein vorzeitiges, billiges Wahlgeschenk.

In der Koalition heißt es aber, die Rentenversicherung sei keine Sparkasse...

Giesler: Es sollen keine Milliarden angehäuft werden. Aber dass wir ein demografisches Problem haben, ist doch allen klar. Wir müssten mutiger sein und das neu justieren was dauerhaft vor Altersarmut schützt.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass Herr Gabriel 2013 in der Lage ist, die Rente mit 67 abzuschaffen?

Giesler: Meine Kristallkugel zeigt gerade nur dichte, graue Wolken. Aber ernsthaft: Genau darüber werde die Wähler mit der nächsten Bundestagwahl zu entscheiden haben.

Hat das Bochumer Opel-Werk noch eine Chance?

Giesler: Ja, auch wenn es immer schwieriger wird. Nicht nur Opel hat massive Probleme. Die Südeuropa-Krise sorgt inzwischen auch bei zahlreichen Zulieferern für Schwierigkeiten. Das Opel-Management schlingert nach wie vor. Das ist einerseits schlecht, weil es die Verhandlungen erschwert. Andererseits bedeutet das: Wir können noch Einfluss nehmen. Unsere Vorschläge sind nicht vom Tisch.

Welche Vorschläge?

Giesler: Zum Beispiel der, im Bochumer Werk auch Vor-Modelle zu fertigen, neben anderen. Autos die trotz Nachfolgemodellen noch auf den Märkten gefragt sind.

Haben die Arbeitnehmer in Bochum noch Druckmittel in der Hand?

Giesler: Man kann verhandeln, man kann mehr als verhandeln. Wir führen derzeit fast täglich auf sämtlichen Ebenen Gespräche. Und mit Stephen Girsky haben wir jetzt den Vize-Chef von General Motors an der Spitze des Opel-Aufsichtsrates.

Ist die Kooperation von Opel mit der französischen PSA eine zusätzliche Gefahr für Bochum?

Giesler: Die Kooperation bietet auch Chancen durch ein gemeinsames Auftreten auf demnächst sicher wieder wachsenden Märkten in Südeuropa. Das kann zu einer Stärkung der Opel-Standorte in Deutschland führen.

(maxi/tor)
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