Schulleiter kritisieren "Turbo-Abi" Jedes zehnte Gymnasium gegen G8

Düsseldorf · Die Schulleiter kritisieren die Lehrplan-Verdichtung beim "Turbo-Abi". Das zeigt eine exklusive RP-Umfrage.

Schulleiter kritisieren "Turbo-Abi": Jedes zehnte Gymnasium gegen G8
Foto: dpa, Tobias Kleinschmidt

Die Skepsis gegen die Verkürzung der Schulzeit von neun auf acht Jahre (G 8) ist auch an den Gymnasien im Rheinland verbreitet. Zwar ist die große Mehrheit der Schulleiter in der Region gegen eine Rückkehr zum Abitur nach neun Jahren (G 9), wie eine Umfrage unserer Zeitung unter den Gymnasien im Verbreitungsgebiet ergab. Jeder zehnte Direktor sprach sich aber für einen erneuten Systemwechsel aus. Insgesamt beteiligten sich 82 von 140 Schulleitern in unserer Region an der Umfrage; von diesen votierten 14 für eine Abkehr vom sogenannten Turbo-Abitur.

Hauptpunkt der Kritik ist die Verdichtung des Lehrplans im achtjährigen System. "Eine vertiefte gymnasiale Bildung würde von einer Rückkehr zu neun Jahren deutlich profitieren", sagte etwa Margret Peters vom St.-Bernhard-Gymnasium in Willich: "Eine Erhöhung der Schlagzahl beim Lernen ist auch für die Entwicklung von Selbstverantwortung und Mündigkeit nicht unbedingt förderlich." Eine Schulleiterin aus dem Raum Düsseldorf bemängelte, G 8 habe Geld sparen sollen. Der Effekt sei größere Unreife: "Wir entlassen hier Kinder mit dem Abitur. Die, um die es geht, nämlich die Schüler, kommen in der Debatte viel zu wenig vor."

Im neunjährigen Gymnasium "könnten die Schüler wieder mehr Kind sein", sagte eine Direktorin aus dem Kreis Kleve, "und am Nachmittag ihren Begabungen und Hobbys nachgehen." Das würden die Eltern bei G 8 vermissen. Vor allem die Eltern wünschten eine Rückkehr zu G 9, betonte auch ein Schulleiter aus dem Kreis Kleve. Eine Direktorin aus dem Kreis Wesel sagte, G 9 gebe "mehr Zeit und Raum, junge Persönlichkeiten heranreifen zu lassen". Zudem sei bei G 8 auch "schulisch einiges auf der Strecke geblieben, zum Beispiel die Bereitschaft, in der Mittelstufe eine dritte Fremdsprache zu erlernen, die Teilnahme an Arbeitsgemeinschaften oder einfach nur — altmodisch gesagt — Allgemeinwissen".

Hintergrund der Diskussion ist die fortgesetzte Kritik vor allem von Elterninitiativen, G 8 führe bei den Schülern zu Gesundheitsbelastungen wie Kopfschmerzen und Schlafstörungen. Zudem entschieden sich unter diesem Druck jüngst mehrere Bundesländer für G 8-Reformen, etwa Hessen, Bayern und Baden-Württemberg; Niedersachsen will sogar komplett zum G 9 zurückkehren. In einer Umfrage sprachen sich in NRW 63 Prozent der Befragten gegen das Turbo-Abitur aus.

Die Rheinische Direktorenvereinigung bekräftigte ihre Ablehnung einer Rückkehr zum neunjährigen System. "Die Probleme werden zu Unrecht auf G 8 zurückgeführt", sagte der Vorsitzende Konrad Großmann. Nun müsse abgewartet werden, welche Ergebnisse die Reform bringe: "Ohne eine präzise Evaluation fußen die Vorwürfe gegen G 8 nur auf subjektiven Empfindungen und Behauptungen."

Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) will am 5. Mai an einem runden Tisch mit Verbänden und Parteien über die Akzeptanz von G 8 in Nordrhein-Westfalen beraten. Bereits vor drei Jahren hatte die Landesregierung den Schulen versuchsweise erlaubt, zum neunjährigen System zurückzukehren. Auf dieses Angebot waren aber nur etwa zwei Prozent der Gymnasien eingegangen — auch deshalb, weil das neue neunjährige System eine höhere Stundenbelastung vorsah als das alte vor der G 8-Einführung.

Zu der Umfrage unter den Schulleitern sagte Löhrmann, das Ergebnis bestätige "den breiten Konsens, den es bis heute über die Schulzeitverkürzung gibt", beweise aber auch "Gesprächsbedarf". "Es muss auf jeden Fall Klarheit für die Gymnasien geben", sagte die Ministerin unserer Zeitung. Der runde Tisch biete Gelegenheit, "alle Fragen umfassend und sachlich zu erörtern". Eine Rückkehr zum alten G 9 sieht Löhrmann aber nicht als Möglichkeit: In allen weiterführenden Schulen, die ihre Schüler bis zur zehnten Klasse führen, betrage die Summe der Wochenstunden über die Jahre hinweg mittlerweile 188. Löhrmann: "Ich kann mir kaum vorstellen, dass die Gymnasien dahinter zurückbleiben wollen."

Für Peter Silbernagel, den Chef des Philologenverbands NRW, wird die achtjährige Gymnasialzeit oft zu Unrecht für Probleme an den Schulen verantwortlich gemacht: "Die Kollegen sind unzufrieden, dass immer mehr Aufgaben auf sie zukommen. Dem G 8 wird dann alles angeheftet, was man an Problemen hat." Man könne aber nicht "zurück in ein verlorenes Paradies", sagte Silbernagel. Beim runden Tisch müsse es deshalb um die Entlastung der Schüler im G 8-System gehen. Ein Mittel könne sein, den Nachmittagsunterricht zu begrenzen.

Heute befasst sich der Landtag auf Antrag der FDP mit dem Thema G 8.

(RP)
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