Personalkürzung in Ämtern geplant Vielen Menschen in NRW drohen längere Wartezeiten

Düsseldorf · Das Land plant Personalkürzungen, weil die Fallzahlen in den Ämtern zurückgegangen sind. Der Städtetag nennt das „absolut kurzsichtig“, Beobachter sehen bereits jetzt eine neue Antragswelle anrollen. Die Landkreise appellieren, die Kürzungen auszusetzen.

 Eine Schülerin im Rollstuhl (Symbolbild). Wer seine Rechte wegen einer Schwerbehinderung geltend machen möchte, hat Behördenangelegenheiten zu regeln. Das könnte noch komplizierter werden.

Eine Schülerin im Rollstuhl (Symbolbild). Wer seine Rechte wegen einer Schwerbehinderung geltend machen möchte, hat Behördenangelegenheiten zu regeln. Das könnte noch komplizierter werden.

Foto: dpa/Holger Hollemann

Wer wegen einer Beeinträchtigung beispielsweise auf Behindertenparkplätze angewiesen ist, besondere Ausstattung am Arbeitsplatz braucht, eine Begleitperson bei Bahnfahrten mitnehmen muss oder früher in Rente gehen will, muss sich darum nach dem Schwerbehindertenrecht bei Behörden bemühen. Anträge stellen, Änderungen veranlassen, nicht selten Widerspruch einlegen. Nun soll in den Städten und Kreisen Personal abgezogen werden, das für diese Vorgänge zuständig ist.

Kommunen sind in Sorge. Der Geschäftsführer des Städtetags NRW, Helmut Dedy, nannte das Vorhaben „absolut kurzsichtig“. Sozialverbände schlagen Alarm: „Die Babyboomer werden jetzt auf die Kommunen zukommen“, sagt Horst Vöge, Landesvorsitzender des Verbands VdK. „Wir vermuten, dass eine Schwemme von Anträgen bevorsteht.“ Schon heute seien die Bearbeitungszeiten in den Ämtern sehr lang: „Wir befürchten, dass sie bald immer länger werden.“

Grund für die Pläne ist ein Rückgang der Antragszahlen. Das zuständige Personal in den Ämtern wird vom Land finanziert. Alle drei Jahre wird geprüft, ob das Verhältnis zwischen Mitarbeitenden und Fallzahlen angemessen ist. Bei wesentlichen Abweichungen muss die Finanzierung angepasst werden, so sieht das Gesetz es vor.

Nun vergleicht das Land den Durchschnitt der  Jahre 2019, 2020 und 2021 mit den Ausgangszahlen der zugrunde liegenden Regelung aus dem Jahr 2011 und kommt auf einen Rückgang der Fallzahlen um fast 16 Prozent. „Danach verringert sich der Personalschlüssel landesweit um 120,84 Vollzeitäquivalente“, heißt es aus dem Sozialministerium. Die Finanzierung soll also so weit gekappt werden, dass es 120,84 Vollzeitstellen entspricht, verteilt auf die Belegschaften aller zuständigen Ämter im Land.

Man habe es aber ganz klar mit einem Corona-Effekt zu tun, sagt Michael Spörke vom Sozialverband SoVD. So gab es in den NRW-Behörden 2018 und 2019 noch jeweils über 600.000 Fälle im Aufgabenbereich des Schwerbehindertenrechts. 2020 sackte der Wert auf unter 554.000 ab, 2021 noch einmal deutlich auf unter 524.000. „Die Menschen haben sich einfach nicht getraut, irgendwohin zu gehen“, so Spörke. Vor allem nicht zu Ärzten, die zur Begutachtung konsultiert werden müssen.

 Es sei „eindeutig ein Corona-Knick“, sagte Helmut Dedy vom Städtetag unserer Redaktion: „Seit Ende 2022 steigen die Zahlen bereits wieder an. Und viele schwerbehinderte Menschen, die in der Corona-Zeit keinen Antrag gestellt haben, werden das in den kommenden Monaten nachholen. Außerdem werden die Anträge angesichts des demografischen Wandels ohnehin weiter zunehmen. Wenn jetzt eingearbeitetes Personal gekürzt werden muss, lässt sich dieser Verlust in Zukunft nur schwer wieder ausgleichen.“

Auch die Landkreise plädieren für eine Aussetzung des Absenkungsmechanismus. „Das Land sollte – wie in zahlreichen anderen Fällen praktiziert – gegebenenfalls kurzfristig das entsprechende Gesetz mit einer Corona-Ausnahmeklausel versehen“, forderte der Sozialdezernent des Landkreistages NRW, Kai Zentara. Das Land trage eine besondere Verantwortung.

Die SPD im Düsseldorfer Landtag fürchtet eine gesellschaftliche Fehlentwicklung: „Die Stellen in der Versorgungsverwaltung zu kürzen, wäre ein klare Benachteiligung von Menschen mit Behinderung“, befand die sozialpolitische Sprecherin Lena Teschlade. Würden sie dennoch gestrichen, so wäre das ein „Beleg dafür, dass es die schwarz-grüne Landesregierung mit Sozialpolitik gar nicht ernst meint und Minister Laumann für die CDU nur ein Feigenblatt ist“. Mit einer Anfrage an die Landesregierung, deren Entwurf unserer Redaktion vorliegt, will  sie in Erfahrung bringen, wie viel Geld das Land mit der Streichung der gut 120 Stellen sparen würde – und wie teuer es würde, müsste das Rad nach weiteren drei Jahren wieder zurückgedreht werden.

Die Landesregierung führt an, dass es bereits langjährig ein Absinken der Fallzahlen gegeben hat, wenn auch ein sehr langsames. Bei der letzten turnusmäßigen Prüfung im Jahr 2020 habe man jedenfalls einen Rückgang um 7,8 Prozent registriert. Die Schwelle, bei der Änderungen fällig werden, liegt bei zehn Prozent. Darum sei damals schon zu erwarten gewesen, dass ab 2023 am Personal gekürzt werden muss. Man sei aber mit den Sozialverbänden und mit den Kommunalen Spitzenverbänden im Austausch, das Beteiligungsverfahren laufe. Auch wolle das Land die Kommunen intensiver als bisher unterstützen, zum Beispiel durch Schulungen, Qualitätszirkel oder regionale Arbeitskreise.

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