NRW-Epidemie-Gesetz Aus dem Boden gestampft

Düsseldorf · Wie das nordrhein-westfälische Landeskabinett das umstrittene Epidemiegesetz einstielte und damit selbst in den Reihen der CDU/FDP-Regierungsfraktionen für Überraschung sorgte. Und wie das Gesetz diese Woche doch noch den Landtag passieren könnte.

 Das NRW-Kabinett in Corona-Zeiten (Archiv-/Symbolbild).

Das NRW-Kabinett in Corona-Zeiten (Archiv-/Symbolbild).

Foto: dpa/Federico Gambarini

Der 28. März 2020 ist für die Landesminister in Nordrhein-Westfalen ein arbeitsreicher Tag. Obwohl ein Samstag und trotz wunderschönen Wetters tagt am frühen Nachmittag das Landeskabinett. Nicht lange, und die Minister verabschieden einen Gesetzentwurf, der es in sich hat: das Epidemiegesetz. Es soll der Landesregierung in der Corona-Krise weitreichende Kompetenzen einräumen – zum Teil am Parlament vorbei.

Am späten Abend desselben Tages erreicht eine Mail die Fraktionen. Sie hat einen sperrigen Inhalt: „Gesetz zur konsequenten und solidarischen Bewältigung der COVID-19-Pandemie in Nordrhein-Westfalen und zur Anpassung des Landesrechts im Hinblick auf die Auswirkungen einer Pandemie“. Zu diesem Zeitpunkt erregt dies kaum Aufmerksamkeit, auch weil eine leicht verständlichere Zusammenfassung fehlte, wie aus informierten Kreisen verlautete. Das sei sonst bei Gesetzentwürfen durchaus üblich.

Zwar hatte wenige Tage zuvor Staatskanzleichef Nathanel Liminski, die rechte Hand von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), in einer Ältestenratssitzung mitgeteilt, dass ein solches Gesetz kommen würde. Ein Landesgesetz, das lediglich eins zu eins Bundesrecht abbilde, so haben es Teilnehmer der Sitzung offenbar verstanden. Und Fraktionskollegen speicherten ab: „Da muss man nicht besonders genau hinschauen.“

So beschäftigt sich manch führendes Fraktionsmitglied mit dem neuen Gesetzentwurf wohl erst am Montagmorgen richtig gründlich. Und ist sofort alarmiert. Warum ist das Epidemiegesetz nicht befristet? Warum wird das Parlament in seinen Rechten beschnitten? Und wie kann es sein, dass medizinisches Personal zwangsverpflichtet werden soll?

Es gibt Redebedarf. Der Fraktionen untereinander, der Fraktionen mit der Staatskanzlei. In Telefonschalten machen sie ihrer Empörung Luft. Der Tenor: Das sei mit den Fraktionen so nicht abgesprochen. Nicht einmal mit den Regierungsfraktionen. So, wie er da steht, wollen sie den Gesetzentwurf nicht mittragen, sind sich die Fraktionsvorsitzenden überwiegend einig. Und auch das überstürzte Vorgehen wollen sie blockieren. Denn nach dem Willen der Landesregierung soll das Gesetz an einem einzigen Tag ohne Hinzuziehung von Sachverständigen verabschiedet werden. Einzelne seien mehr als überrascht gewesen, dass Minister der eigenen Partei einen solchen Gesetzentwurf mitunterzeichneten.

Absicht wird der Landesregierung dabei nicht unterstellt. Jeder Minister habe zu sehr nur sein eigenes Ressort gesehen und das große Ganze des Gesetzes aus den Augen verloren, heißt es in informierten Kreisen. Warum dann aber die übergroße Eile? Dafür haben Insider eine überraschende Erklärung: Es habe eindringliche Warnungen von Gesundheitsämtern und Krankenhäusern gegeben, Gründonnerstag oder Karfreitag könne in NRW ein Zustand erreicht sein wie in Italien. Daher sei es ganz dringend notwendig, beispielsweise medizinisches Personal schnell zwangsrekrutieren zu können.

Diese Prognosen werden wohl nicht eintreffen – zum Glück. Zugleich bewirkte die Kritik von Rechtswissenschaftlern und der Protest der Opposition wie der FDP-Fraktion, dass alles noch einmal auf den Prüfstand kam.

Am Donnerstag nun soll das Gesetz verabschiedet werden. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass sich die Fraktionsvorsitzenden von CDU, FDP, SPD und Grünen am heutigen Mittwoch auf Kompromisse einigen. Es könnte darauf hinauslaufen, dass die beabsichtigte Zwangsverpflichtung für medizinisches Personal gestrichen wird. Stattdessen könnte ein Freiwilligenregister kommen, das auch SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty begrüßen würde. „Es darf in Deutschland keine Zwangsarbeit mehr geben“, sagte der Oppositionsführer unserer Redaktion. Das Gesetz könnte unter Parlamentsvorbehalt gestellt und zunächst auf acht oder zwölf Wochen befristet werden. Das heißt: Der Landtag würde entscheiden, wann der Epidemiefall eintritt und wie lange das Epidemiegesetz gelten darf. An Laschet dürfte es nicht scheitern. Der Ministerpräsident stellte am Dienstag klar, dass es nur eine einstimmige Gesetzgebung geben werde: „Ich bin zuversichtlich, dass man eine gemeinsame Lösung hinkriegt.“

(kib)
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