Erste Asienreise Hendrik Wüst in Japan – auf diplomatischem Parkett

Tokio · NRW-Ministerpräsident Hendrik lässt sich in Japan im Café von Robotern bedienen, besucht Projekte gegen Einsamkeit und vor allem: zeigt sich auf großer politischer Bühne.

 Der Rapper Blumio (links), bürgerlich Fumio Kuniyoshi, mit NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst.

Der Rapper Blumio (links), bürgerlich Fumio Kuniyoshi, mit NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst.

Foto: Marcel Kusch / Land NRW

Das sind vermutlich Termine, die man gerne macht als Ministerpräsident. Aufgeregte Kinder hüpfen in ihrem Gruppenraum um ihn her. Es ist Zeit für die Teezeremonie für den Gast aus Deutschland. Hendrik Wüst (CDU) lächelt in alle Richtungen und Kinderaugen, tritt im blauen Anzug und auf Socken auf die Reisstrohmatte und hockt sich aufs bereitgestellte niedrige Bänkchen. Ein Mädchen im hellblau gemusterten Kimono – Fu-cha, zehn Jahre alt – macht sich in höchster Konzentration ans Werk. Löffelt sattgrünes Matcha-Tee-Pulver in eine Schale, gießt Wasser aus einer schmucken Kanne dazu, verquirlt alles mit dem Bambusbesen. Danach hilft Körpersprache: Trinken? Jetzt? Ja? Hendrik Wüst nippt, nickt, lächelt, und als Nächstes wird musiziert. Die Kinder spielen Pan-Flöten und Trommeln, gleich hat der Ministerpräsident selbst eine Holzrassel in der Hand und rasselt mit. Die Melodie ist recht schwungvoll.

Der nordrhein-westfälische Regierungschef ist für eine knappe Woche zu Besuch in Japan. Die Visite eines sozialen Projektes für junge Menschen in Kawasaki, etwa eine Fahrtstunde entfernt vom Zentrum Tokios, ist am Dienstagmorgen offensichtlich einer der lockereren Terminen auf seiner mit Bedeutung aufgeladenen Reise. Es ist der erste Besuch eines nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten seit 15 Jahren in dem Land.

„Es war mal wieder Zeit“, sagte Wüst dazu. Allerdings ist diese Tour für ihn auch die Gelegenheit, sich auf weltpolitischem Parkett zu präsentieren. Gleich Montag traf er den japanischen Außenminister Yoshimasa Hayashi. Handschlag vor den Kameras – keine richtige Verbeugung, eher ein Nicken.

„Die Partnerschaft mit Japan ist es wert, ausgebaut zu werden.“, sagte Wüst: „Vor dem Hintergrund der geostrategischen Lage.“ Er habe mit dem Außenminister über das Vermeiden einseitiger Abhängigkeiten in Lieferketten gesprochen. „Ich habe auch noch mal Danke gesagt für den erfolgreichen G7-Gipfel.“ Das daraus hervorgegangene China-Papier sei ein Schulterschluss im Rahmen der Staatengemeinschaft, in der man zentrale Werte teile. Und er habe den Außenminister eingeladen, mal nach NRW zu kommen.

Staatsmännische Szenen und Worte, die ihn in Stellung bringen könnten für höhere Aufgaben. Wüst wird als Bewerber für eine Kanzlerkandidatur gehandelt. Zum G7-Gipfel war Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Mai in Hiroshima. Das dort beschlossene Ziel: Mehr Unabhängigkeit von China erreichen. Und erst im März war fast das halbe Bundeskabinett in Tokio, um in einer Abschlusserklärung mit der japanischen Regierung zu betonen, welche Werte man teile: Freiheit, Achtung der Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, offener, freier und fairer Handel.

„Nur Handel ohne Werte kann zu Problemen führen – immer dann, wenn Abhängigkeiten entstehen. Das haben wir ja am Beispiel Russland gesehen“, erklärte Wüst. Da habe es große Abhängigkeit, aber immer weniger gemeinsame Werte gegeben. Diese Erfahrung könne man nun auf China anwenden: „China ist Partner. China ist Wettbewerber. Und China ist Systemrivale.“ Als autokratischer Staat und Wirtschaftsmacht in Konkurrenz zu den westlichen Demokratien; mit diesem Spannungsfeld setze sich Japan in Asien schon viel länger auseinander als Europa das tue.

In ähnlichem Tenor sprach Wüst später bei einem Besuch in der Zentrale des Konzerns Fujifilm. „Fujifilm steht für das große Engagement japanischer Firmen bei uns in NRW“, sagte Wüst dort. Japan wie Deutschland stünden für Wachstum und Wohlstand, aber auch für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen NRW und Japan sind schon heute besonders eng. Speziell das Rheinland ist die Drehscheibe für die Aktivitäten japanischer Firmen in Europa. Mehr als 600 japanische Unternehmen haben Standorte in NRW, weit über 40.000 Menschen arbeiten bei ihnen. „Know-How zu teilen geht am besten, wenn man sich vertraut. In Japan und Deutschland genießen Innovationen hohen Schutz. Düsseldorf ist genau wie Tokio global führender Standort für Patentschutz“, sagte Wüst.

Bald darauf gab es allerdings auch wieder einen der lockeren Momente. Beim Test eines Ultraschallgerätes – Fujifilm ist eine Größe im Bereich der Medizintechnik – setzte Wüst das Gerät auf einen Dummy, einen Plastikblock mit gummiartiger Oberfläche, mit den Worten: „Wollen wir mal gucken, ob dieses Ding schwanger ist.“ Ungezwungen wurde es auch abends, beim Rundgang durch das Ausgehviertel Shibuya und der Fahrt auf die Aussichtsplattform Shibuya Sky Tower. Wüst ließ sich vom Rapper Blumio herumführen, einem Musiker mit Düsseldorfer Wurzeln. Für den Politiker ein bisschen Touristenprogramm nach einem Tag voller politischer Termine, für den Musiker Besuch aus der alten Heimat. Die beiden begrüßten sich mit lockerem Handschlag, dann ging es ins Getümmel.

Rapper und Regierungschef klapperten locker plaudernd die Must-See-Attraktionen der Vergnügungsmeile ab. Dabei erregten sie einige Aufmerksamkeit: Im Lichtermeer der Leuchreklamen und Dekoration zückten mehr und mehr Passanten die Mobiltelefone und filmten die beiden. Ob es daran lag, dass Blumio erkannt wurde, oder eher daran, dass Hendrik Wüst ohnehin schon von Fernsehkameras, Journalisten, Personenschutz und weiteren Begleitern verfolgt würde, war schwer zu sagen.

Blumio erzählte von seinen musikalischen Anfängen in Düsseldorf und seinen heutigen Erfolgen in Japan. Er führte Wüst sicher über die Kreuzung „Shibuya Scramble“. Das ist eine der größten Straßenkreuzungen der Welt, die vermutlich in so ziemlich jeder Tokio-Dokumentation eine Rolle spielt. Und natürlich machten die beiden ein Selfie vor der Statue des Hundes „Hachiko“. Diese Skulptur gilt in Japan als Sinnbild für unverbrüchliche Treue. Hachiko soll jeden Tag am Bahnhof von Shibuya auf die Rückkehr seines Halters von der Arbeitsstelle gewartet haben und dann, nach dessen Tod, noch weitere neun Jahre lang. Für Tokio-Reisende ein Treffpunkt und Fotomotiv. Zum Abschluss ging es zusammen auf die Aussichtsplattform „Shibuya Sky“ für einen atemberaubenden Blick über die Metropole.

Ein Schwerpunkt der Japanreise des Ministerpräsidenten ist – neben den Themenfeldern Wirtschaft und Außenpolitik – das Thema „Einsamkeit“. Diese zu bekämpfen hat Wüst sich auf seine politische Agenda geschrieben. Zwar geißelt die politische Opposition daheim, dass dabei bisher außer Ankündigungen noch nicht viel Konkretes herumgekommen sei. „Japan und Deutschland sind alternde Gesellschaften“, sagte Wüst nun. In Japan werde über Einsamkeit schon länger geforscht, davon könne man lernen: „Da ist ne Menge dabei.“

Die fröhlichen Kinder, die er am Dienstagmorgen getroffen hatte, waren in einem Projekt, das jungen Menschen Wege aus sozialer Isolation ebnet. Das ist ein nicht geringes Problem in Japan. Für Menschen, die sich sozial komplett von der Gesellschaft abkapseln, gibt es ein eigenes Wort: Hikikomori. Knapp 1,46 Millionen Menschen ab 15 Jahren sind nach einer Schätzung landesweit davon betroffen. Nach Zahlen der Initiative aus Kawasaki sind insgesamt rund 300.000 Grund-, Mittel- und Oberschüler „schulabsent“: Sie besuchen die Schule nicht oder nicht mehr, weil sie es nicht können oder wollen.

Später am Tag besuchte Wüst das mittlerweile recht berühmte Avatar Robot Café Dawn, in dem Roboter Bestellungen aufnehmen und servieren – ferngesteuert von Menschen, die ihr Zuhause nicht verlassen können oder wollen. „Tolle Idee. Wirklich erwägenswert, so was auch zu uns nach Deutschland zu holen“, wertete Wüst.

In den kommenden Tagen werden wirtschaftliche Kooperationen im Mittelpunkt stehen. So stehen Besuche in Fukushima und Osaka an. Begleitet wird die Reise durch eine Wirtschaftsdelegation: Vertreter von Firmen aus NRW sind dabei.

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