Demonstration mit Tausenden Teilnehmern Verletzte bei Protesten am Hambacher Forst

Hambach · Die Polizei hat am Sonntag im Hambacher Forst mehrere Baumbesetzer festgenommen, bei Rangeleien wurden Demonstranten und Beamte verletzt. Ein Teil der Baumhäuser ist geräumt. In der Nacht auf Montag ist es ruhig geblieben.

Räumung im Hambacher Forst - Tag 4
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Tag 4 der Polizeiaktion im Hambacher Forst

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Foto: dpa/Henning Kaiser

Mehr als 4000 Menschen haben nach Polizeiangaben am Sonntag den Baumbesetzern des Hambacher Forsts ihre Unterstützung bekundet. Die Veranstalter, verschiedene Aktionsgruppen, zählten sogar 5000 bis 9000 Teilnehmer. Die Demonstranten, die den Wald mit den besetzten Bäumen nicht betreten durften, protestierten gegen die geplante Abholzung des Hambacher Forsts durch den Essener Energieversorger RWE. Der Konzern plant, mit der Rodung ab Mitte Oktober zu beginnen. Sie ist laut RWE nötig, um den Abbau der Braunkohle im Tagebau Hambach fortzusetzen. Der genehmigte Betriebsplan für den Tagebau sieht vor, dass der Energieversorger das Recht besitzt, den auf Firmeneigentum befindlichen Wald zu fällen. Die Demonstrationsteilnehmer forderten hingegen ein schnelles Ende der Kohleverstromung in Deutschland ein.

Die Polizei setzte ungeachtet der Proteste die seit Donnerstag laufende Räumung des Hambacher Forstes fort. Insgesamt wurden seit Beginn der Maßnahmen 28 Baumhäuser geräumt und 19 davon abgebaut.

Über die Angaben der Baumbesetzer, die in Gewahrsam genommen wurden, gibt es unterschiedliche Angaben. Zunächst hieß es, dass die Beamten 34 Personen in Gewahrsam genommen und zehn später wieder freigelassen hätten. Laut der Presseagentur AFP seien sechs Menschen in Gewahrsam genommen worden, es habe 14 Festnahmen und 27 Platzverweise gegeben. Die Polizei war auch in der Nacht weiterhin mit Einsatzkräften vor Ort.

Nach Polizeiangaben demonstrierte die überwiegende Anzahl der Protestteilnehmer am Sonntagmittag friedlich für den Erhalt des Hambacher Forstes. Einige seien aber in den Wald vorgedrungen. Dabei hätten sie teils "unter Anwendung massiver Gewalt" an mehreren Stellen versucht, die polizeiliche Absperrung zu durchbrechen.

In einigen Fällen hätten die Beamten "körperliche Gewalt, Schlagstock und auch Reizgas einsetzen müssen, um das unkontrollierte Vordringen in den Gefahrenbereich des Forstes zu verhindern". Einigen Demonstranten gelang es demnach trotzdem, in den Wald zu gelangen. Die Demonstranten hätten bis in den Abend hinein versucht, zu den bereits geräumten Baumhäusern vorzudringen. Dabei sei es immer wieder zu Konfrontationen mit Polizeibeamten gekommen. Fünf Demonstranten und drei Beamte wurden verletzt, wie die Polizei in der Nacht zum Montag mitteilte.

Die Räumungsaktion wird auch die nächsten Tage noch andauern. Im Hambacher Forst will die Polizei am Montag ab 7.00 Uhr die Räumung der Baumhäuser von Braunkohlegegnern fortsetzen. „Wir haben noch Arbeit vor uns“, sagte eine Polizeisprecherin am frühen Morgen. Nach den Auseinandersetzungen am Sonntag sei es in der Nacht ruhig geblieben.

Politischer Konflikt

Unterdessen ist ein heftiger politischer Streit um das Ende der Kohleverstromung in Deutschland ausgebrochen. Ausgelöst hatte ihn ein Bericht des „Spiegel“, wonach einer der Vorsitzenden der Kohlekommission, der frühere Kanzleramtschef und heutige Bahn-Vorstand Ronald Pofalla, ein Ende des Einsatzes von Kohle in der Stromproduktion zwischen 2035 und 2038 für möglich hält. Die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ soll bis Jahresende eine Strategie zum Kohleausstieg vorlegen. Den Fahrplan dazu hatte Pofalla laut Magazin mit seinen Vertrauten und anderen Mitgliedern der Kommission besprochen. Zurzeit produzieren die etwa 100 Kohlekraftwerke in Deutschland noch ein Drittel des Stroms. Im Jahr 2027 soll überprüft werden, ob das Projekt noch im Zielpfad liegt.

Die Umweltorganisation Greenpeace nahm den Bericht zum Anlass, einen sofortigen Stopp der Räumungsaktion zu verlangen. Es wäre sinnvoll, so Greenpeace, zuerst die endgültigen Ergebnisse der Kohlekommission abzuwarten. „Vielleicht muss der Hambacher Forst dann gar nicht mehr gerodet werden“, sagte Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser, der zugleich Mitglied der Kohlekommission ist.

NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) kritisierte den Kompromissvorschlag Pofallas. Etliche Sachverhalte in der Kohlekommission seien noch nicht geklärt. „Umso unverständlicher ist es, dass zu so einem frühen Zeitpunkt Ausstiegsdaten genannt werden“, sagte der Minister. Noch schärfer geht der Vorsitzende der Gewerkschaft IG Bergbau Chemie Energie, Michael Vassiliadis, mit Pofalla ins Gericht. „Wenn der Co-Vorsitzende der Kommission, Ronald Pofalla, mit irgendwelchen Ausstiegsdaten jongliert, die nichts mit den in der Kommission besprochenen Sachverhalten zu tun haben, dann kappt er fahrlässig das zarte Pflänzchen des Vertrauens, das sich in dem Gremium gerade erst gebildet hatte“, sagte der Gewerkschaftschef unserer Redaktion. Er erwarte von der Bundesregierung eine Klarstellung, dass die Veröffentlichung keine Grundlage für die weitere Arbeit darstellten.

Auch RWE hält einen Ausstieg im Jahr 2038 für „nicht akzeptabel“. In einer gemeinsamen Erklärung der Betriebsräte des Konzerns wird das mögliche Aus ebenfalls scharf kritisiert. „Ein Enddatum 2035 bis 2038 ist das K.O.-Kriterium für eine seriöse Debatte über die Zukunft der Kohleverstromung in Deutschland“, sagten Leonhard Zubrowski, RWEKonzernbetriebsratsvorsitzender, und Harald Louis, Gesamtbetriebsratsvorsitzender der RWE Power, die die Kraftwerke des Konzerns betreibt.

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter ist der Vorschlag hingegen viel zu ambitionslos, weil die Pariser Klimaziele damit verfehlt würden. Seine Parteifreundin, die Grünen-Innenexpertin Irene Mihalic forderte Bund und Land auf, den Konflikt um den Hambacher Forst zu entschärfen. „Anstatt unter fadenscheinigen Gründen die Profitinteressen von RWE auf dem Rücken der Polizei durchzusetzen, sollten Landes- und Bundesregierung den gewaltfreien Protest ernst nehmen und unbedingt für eine Lösung sorgen“, erklärte die Grünen-Bundestagsabgeordnete. Sie warnte vor Auswirkungen im Bund: „Die Arbeit der Kohlekommission gerät zur Farce, wenn RWE durch eine schnelle Rodung Fakten schafft.“

Unions-Innenexperte Mathias Middelberg zog eine Verbindung zwischen rechtsextremistischen Ausschreitungen und der Gewaltbereitschaft im Hambacher Forst. „Molotowcocktails auf Polizeibeamte werfen oder Hetze auf Flüchtlinge – beides sind widerliche Straftaten“, sagte der CDU-Politiker unserer Redaktion. Der vermeintliche Zweck heile gar nichts. „In beiden Fällen muss der Rechtsstaat konsequent und sichtbar reagieren,“ unterstrich Middelberg. (mit dpa / AFP)

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