Vorgezogene Anmeldeverfahren Neuer Ärger um Gesamtschulen in NRW

Düsseldorf · Die FDP will die vorgezogenen Anmeldeverfahren für einzelne Schulformen abschaffen. Die Liberalen argumentieren, dass Städte nur darauf zurückgreifen, um integrierte Schulen zu stärken. Der Vorstoß löst Entrüstung aus.

 Schülerinnen und Schüler einer fünften Klasse sitzen während des Unterrichts in ihrem Klassenzimmer (Symbolbild).

Schülerinnen und Schüler einer fünften Klasse sitzen während des Unterrichts in ihrem Klassenzimmer (Symbolbild).

Foto: dpa/Philipp von Ditfurth

Für Familien der heutigen Viertklässler steht bald die Entscheidung über die weiterführende Schule an. Immer am Anfang des Jahres nach Ausgabe der Halbjahreszeugnisse laufen die Anmeldefristen. In vielen Städten beginnen sie zuerst an den Gesamtschulen. Erst wenn die Verfahren dort abgeschlossen sind, folgen die anderen weiterführenden Schulen. Die FDP im Landtag will dem ein Ende machen: Sie beantragt, dass die Landesregierung die sogenannten vorgezogenen Anmeldeverfahren abschafft. Der Vorstoß löst Empörung aus: „Das wäre der Tod der Gesamtschulen“, sagte Stephanie Helder-Notzon von der Landeselternschaft der integrierten Schulen.

Vorgezogene Anmeldeverfahren können eingerichtet werden, wenn zu erwarten ist, dass es an einer Schulform in einer Stadt deutlich mehr Anmeldungen als Plätze geben wird. Das ist keineswegs den Gesamtschulen vorbehalten, es ist dort nur häufig der Fall. Sinn der Sache ist es, dass die relativ vielen abgelehnten Familien anschließend immer noch gleichzeitig mit allen anderen bei den übrigen Schulen in der Stadt vorsprechen können.

Die FDP sieht darin eine Bevorzugung. „In der Realität werden vorgezogene Anmeldeverfahren von einigen Schulträgern genutzt, um Gesamtschulen zu stärken und die hohen Anmeldezahlen dann als Grund zu nehmen, weitere Gesamtschulen zu bauen“, sagte Fraktionschef Henning Höne unserer Redaktion. Gymnasien und Realschulen verzeichneten weniger Interessenten, „nachdem die Gesamtschulen einen Großteil der Schülerinnen und Schüler bereits aufgenommen und dem Verfahren entzogen haben“, heißt es im Antrag der Fraktion. Folglich gebe es bei ihnen vielfach keine Anmeldeüberhänge mehr. „Diese Schulen sind dann gezwungen, ihre Klassen auch mit nicht für diese Schulformen geeigneten Schülerinnen und Schülern zu füllen.“ Das schwäche die Leistungsfähigkeit des gegliederten Schulsystems insgesamt.

Interessenvertretungen der integrierten Schulen reagieren entrüstet. Die Gesamtschulen wollen auf eine ausgewogene Mischung von Kindern mit Gymnasial-, Realschul- und Hauptschulempfehlung kommen. Sollte der FDP-Vorstoß umgesetzt werden, „dann kriegen wir diesen Mix nicht mehr hin“, fürchtet Elternvertreterin Stephanie Helder-Notzon. Aus Angst, nach der Ablehnung an der Wunsch-Gesamtschule für einen Platz an Gymnasium oder Realschule zu spät zu kommen, würden sie sicherheitshalber direkt dorthin gehen.

„Die FDP-Initiative geht sowohl in die falsche Richtung als auch ins Leere“, kritisierte Achim Fischer, Vorsitzender der Schulleitungsvereinigung der Gesamtschulen in NRW. Vorgezogene Anmeldeverfahren gebe es nicht selten auch für Gymnasien, und das aus gutem Grund: „Wenn ich nachgefragte Schulen nicht ins vorgezogene Verfahren schicke, macht es das Verfahren nachher viel komplizierter.“ Schließlich müsste man dann sehr viel mehr Kinder nach dem regulären Prozedere in einem zweiten Anlauf neu koordinieren: „Das dauert alles viel länger.“ Vor allem aus der Perspektive der Familien sei das einfach schlecht.

Seit Jahrzehnten sei es landesweit nicht gelungen, die Nachfrage nach Gesamtschulplätzen auch nur annähernd zu befriedigen, bemängelte Andras Tempel, Vorsitzender des Landesverbands der Integrierten Schulen GGG (Gemeinnützige Gesellschaft Gesamtschule): „Dann soll man das doch bitte machen. Dann bräuchten wir auch kein vorgezogenes Anmeldeverfahren auf den Weg zu bringen.“

Nach Zahlen aus dem Landesschulministerium wurden zum Schuljahr 2021/2022 in 124 NRW-Kommunen vorgezogene Anmeldeverfahren genehmigt. Dabei ging es in 84 Fällen um Gesamtschulen. „Das vorgezogene Anmeldeverfahren hat sich in der Vergangenheit bewährt und ist für die Schulträger ein wichtiges Instrument zur Entzerrung der Schülerströme“, hieß es aus dem Ministerium. Das eigentliche Problem sei der Mangel an Plätzen an den bevorzugten Schulen.

Auslöser für den Vorstoß der FDP waren massive Probleme bei den Schulanmeldungen in der Stadt Köln. Die Liberalen haben das Ziel, das gegliederte Schulsystem zu sichern und, in eigenen Worten, eine „Ungleichbehandlung“ von Schulformen zu beenden. Das war auch in der vergangenen Legislaturperiode so, als die FDP mit Yvonne Gebauer die Schulministerin stellte. Auch in jenen Jahren bliebt es allerdings beim System der vorgezogenen Anmeldeverfahren. Der Landtag befasst sich am Mittwoch mit dem Antrag der FDP.

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