Harter Job in Düsseldorf Unterwegs mit dem Gerichtsvollzieher

Düsseldorf · „Busch, Gerichtsvollzieher“: Seit knapp 20 Jahren zieht Stefan Busch so durch Düsseldorf. Mittlerweile wünscht er sich eine Schutzweste. Wir haben ihn bei seiner Arbeit begleitet.

 Gerichtsvollzieher Busch, 58, unterwegs in Düsseldorf.

Gerichtsvollzieher Busch, 58, unterwegs in Düsseldorf.

Foto: Endermann, Andreas (end)

Die Hoffnung liegt auf dem Müll. Es ist eine Videokassette, die an bessere Zeiten erinnert. An einen Alltag, in dem Frau S. Episode Vier aus der „Star Wars“-Reihe anschalten konnte: „Eine neue Hoffnung“. Aber diesen Alltag gibt es nicht mehr. Die Kassette muss raus. Und mit ihr Frau S. Sie klammert sich an zwei Wolldecken. Das einzige, was hier noch ihr gehört.

Die Küche, das Wohnzimmer, das Schlafzimmer, der Keller, der Dachboden mit der Videokassette – Frau S. verabschiedet sich leise davon. Die Tränen kullern zögerlich unter ihrer Brille hervor. „Ganz ruhig“, sagt Stefan Busch. Zwei Wörter Empathie inmitten eines Verwaltungsakts. Für mehr ist kein Raum an diesem sonnigen Montag auf diesem Dachboden in Düsseldorf-Rath.

Hinter Busch knallt die Haustür ins Schloss, er steht jetzt auf der Straße. „Booooooh“, entfährt es ihm. Er kennt Frau S. Geschäftspartner, gewissermaßen. Keine 15 Minuten hat Stefan Busch für seinen Job benötigt. Ein paar Unterschriften, Fotos, Schlüssel von Wohnung, Haustür, Keller wechseln. Für den Briefkasten gibt es keinen, der ist kaputt. Stefan Busch hat die Wohnung von Frau S. geräumt. Das heißt vor allem: Er hat Frau S. ausgeräumt.

Stefan Busch ist Gerichtsvollzieher. Räumungen, Zwangsvollstreckungen, Pfändungen, das ist sein alltägliches Geschäft. Wenn er klingelt, öffnet niemand gern die Tür. Es sind immer schlechte Nachrichten, die er verkündet. Sie stecken zumeist in blauen Klarsichtfolien, von denen Busch eine nach der anderen aus seiner Tasche zieht.

Beinahe 20 Jahre übt Busch diesen Beruf aus. Er war zwölf Jahre bei der Luftwaffe, später beim Staatschutzsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf, bis er sich verändern wollte. „Gerichtsvollzieher ist der geilste Job“, sagte sein Ausbilder damals. Der Satz, findet Busch, 58, ist auch heute nicht ganz falsch. Aber verändert hat sich schon etwas. Mittlerweile wünscht er sich für den Dienst eine Schutzweste.

Busch klingelt einmal, zweimal, dreimal. Ein großer Schritt vor, drei kleine Schritte zurück. Als niemand öffnet, drückt er nacheinander auf alle zwölf Namen des Mehrfamilienhauses. Es summt. Busch sucht jetzt den Namen aus seiner Klarsichtfolie. Aber an den Wohnungstüren stehen keine Namen, nur ein paar antikapitalistische Kampfsprüche. Im vierten Stock schüttelt Busch den Kopf, das war nichts. „Wenigstens haben wir etwas für unsere Wadenmuskulatur getan“, sagt er. Nur kein Frust.

Im Laufe des Vormittags geht das fünf-, sechsmal so. Busch klingelt, keiner macht auf. Er will Geld von den Leuten, ihre Schulden eintreiben. Von Handyverträgen, der Staatsanwaltschaft, der Stadtkasse. Eigentlich, sagt Busch, sind Pfändungen seltener geworden. Aber manche Gläubiger halten daran fest. So richtig versteht er nicht, warum. Es gibt eh keine Wertgegenstände in den Wohnungen, zu denen er geht. Fernseher, ja, okay. „Aber nix von Wert“, sagt Busch. Den berühmten „Kuckuck“ hat er zwar noch dabei, aber schon länger nicht mehr eingesetzt.

Manchmal kennt der Gerichtsvollzieher die Namen auf den Briefen. Er weiß dann, wen und was er zu erwarten hat. Aber wenn er 22.000 Euro für die Staatsanwaltschaft eintreiben soll und nicht weiß, wer aufmacht, dann fühlt er sich manchmal ein bisschen unwohl. Könnte ja sein, dass das Geld im Zusammenhang mit einem Gewaltverbrechen steht. Und der- oder diejenige hinter der Tür eine flinke Faust hat. Oder eine Waffe.

So wie im November 2018 in Bochum. Eine 34 Jahre alte Frau attackierte eine Gerichtsvollzieherin, die dabei schwer verletzt wurde. In der Wohnung der Angreiferin lagen zudem eine Schusswaffe, eine Machete, eine Harpune, ein Tomahawk-Beil und ein Elektroschocker. Die Gerichtsvollzieherin sollte die Schulden für den Angriff auf eine Kollegin eintreiben. Die 34-Jährige hatte bereits in Dortmund eine Gerichtsvollzieherin verletzt. Man wusste also, dass die Frau gefährlich ist. Nur die Gerichtsvollzieherin wusste von nichts.

Die nächste Räumung, vertretungsweise in Düsseldorf-Unterbilk. Stefan Busch wartet vor der Tür, er ist ein bisschen zu früh. Aus dem Haus kommen nacheinander ein junger Herr mit engem Anzug und Ledertasche und eine junge Frau mit Thermobecher. Auf der anderen Straßenseite zieht ein Grüppchen mit Rollkoffern vorbei. Ein Set wie in einer Airbnb-Werbung.

Im ersten Stock schraubt der Schlosser die Wohnungstür auf. Vor einem Jahr ist der Mieter verschwunden, hat seitdem keinen Cent mehr gezahlt. Die Vermieter wollen sich den Raum nun zurückholen. Stefan Busch weiß nicht, was hinter der verschlossenen Tür lauert. Im Hochsommer hat er einmal fünf Katzen in einer Wohnung gefunden, nur ein bisschen Wasser hatte der Besitzer hingestellt. Ein anderes Mal hat er eine Leiche gefunden. In Unterbilk findet er zerbrochene Teller, Sperrmüll, verschimmelte Lebensmittel, giftige Chemikalien. „Das ist normal“, sagt Busch, „hier fühlt man sich fast wohl.“ Er sagt oft „man“, wenn er „ich“ meint.

Das Einstiegsgehalt von Gerichtsvollziehern liegt bei etwa 2500 Euro brutto, es wächst im Laufe eines Berufslebens auf höchstens 3500 Euro brutto an. Etwa 900 dieser Justizbeamten gibt es in Nordrhein-Westfalen. Und die Angriffe auf sie häufen sich. 288 waren es im vergangenen Jahr – 5,5 Prozent mehr als 2017. Was da passiert, kann man in einer Liste des Justizministeriums nachlesen.

9. Januar 2018: „Wennse komms, knall isch disch ab, Alta.“

Januar 2018: „Bei unserem nächsten Treffen brauchen Sie ein neues Gebiss.“

Februar 2018: „Wenn Sie nicht sofort verschwinden, schlage ich Sie tot.“

8. April 2018: „Schuldnerin hat Strafantrag bei russischer Militärstaatsanwaltschaft gestellt.“

18. Juni 2018: „Du Schlampe kommst hier nicht rein, Ihr seid ja alle Arschlöcher.“

8. September 2018: „Wenn Sie kommen, werden wir beide nicht mehr weggehen. Nur Gott weiß, was passieren wird.“

7. November 2018: „Schuldnerin zieht Taschenmesser hervor und droht: Ich stech euch alle ab.“

Nicht immer bleibt es bei Worten.

Stefan Busch verteilt jetzt ein paar „Pfübse“, Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse. Er lenkt sein Auto in eine enge Lücke. „Das einzige, was man in dem Beruf lernt, ist Einparken“, hat ein Kollege mal zu ihm gesagt. Rein in die Firma, auf zur Personalabteilung. Der Gerichtsvollzieher will das Gehalt eines Mitarbeiters pfänden. „Herr K? Der arbeitet hier nicht mehr“, sagt die Personalchefin. Es ist kein besonders erfolgreicher Tag von Stefan Busch, aber ein besonders gewöhnlicher.

Er könnte viel mehr vom Schreibtisch aus machen, Briefe verschicken, faxen, telefonieren. Aber Busch fährt raus, zwei, drei Tage die Woche. „Ich will wissen, was in meinem Bezirk los ist“, sagt er. An einer Ampel sagt Busch: „Ah, Frau P., lange nicht gesehen.“ Sein Bezirk, das ist Rath im Düsseldorfer Norden. Nicht angesagt, aber auch nicht katastrophal. Der Anteil an Sozialhilfeempfängern ist hier überdurchschnittlich hoch. Jeder Fünfte bekommt staatliche Hilfen. In nur vier Düsseldorfer Stadtteilen lag der Wert 2017 höher.

Weil er so oft draußen ist, bekommt Stefan Busch den Wandel genau mit. „Die Zündschnur“, sagt er, „ist kürzer geworden.“ Respektlosigkeiten erlebt er immer häufiger, sagt er. „Dass man beschimpft wird, das muss man als gegeben hinnehmen“, sagt Busch. „Das Zusammenwirken in der Gesellschaft war früher besser. In der heutigen Zeit sind für gewisse menschliche Dinge keine Zeit mehr“, sagt Busch.

Warum aber sinkt die Hemmschwelle? Der Gerichtsvollzieher denkt einen Moment nach. Erst sagt er: „Das ist halt unsere Gesellschaft.“ Dann ergänzt er: „Die Sprache der Politiker verroht auch.“ Im Auto beschlägt allmählich die Scheibe. Wenn Stefan Busch sich aufregt, dann wird er nicht laut, nicht aggressiv, er redet einfach weiter. „Das Problem mit den Gerichtsvollziehern wird wahrgenommen wie Regen“, sagt er. Kann man nix machen.

Was man da vielleicht doch machen kann, erörtert das Ministerium gerade. Die Staatsanwaltschaften sollen zum Beispiel auf ihren Briefen Sicherheitshinweise anbringen. Die Gerichtsvollzieher sollen im Bundeszentralregister nachschauen können, ob es sich vielleicht lohnen würde, zur Sicherheit Polizisten zum Hausbesuch mitzunehmen. Deeskalationstrainings und Selbstverteidigungskurse sollen ausgeweitet werden. Und eine Alarmierungs-App für die Gerichtsvollzieher will das Ministerium testen. Peter Biesenbach, so heißt es in seinem Ministerium, nehme das Thema sehr ernst.

Noch ein paar Pfändungen. Stefan Busch geht weiter von Tür zu Tür, aber niemand öffnet ihm. Auf den Klingelschildern fehlen die Namen, nicht immer ist das ein Zufall. Manche Bewohner stellen ihre Klingel auch ganz ab, sagt Busch. Mit großen Schritten geht er von Haustür zu Haustür, hinterlässt Briefe. Melden Sie sich binnen 14 Tagen, steht drin. Busch: „Da ist man auch nur ein besserer Postbote.“

Der Postbote hat Frau S. zum Abschied die Hand gereicht. Er weiß nicht, wie es mit ihr weitergeht. Er weiß nicht, ob sie eine neue Wohnung gefunden hat oder auf die Straße muss. Busch hat sie nicht gefragt. Er kann es nicht, sagt er. Ein bisschen sei es wie bei Ärzten, die könnten sich auch nicht alles zu Herzen nehmen. Die Leute hätten sich auch kümmern können. „Das menschliche Schicksal, so hart es ist, fällt manchmal hinten runter“, sagt Busch.

Er könnte damit auch sich selbst und seine Kollegen meinen. Apps, Verteidigungskurse, das Bundeszentralregister, alles sicher sinnvoll, aber es wird nicht alle Angriffe ausschließen können. Über die Schutzwesten, die Stefan Busch gern hätte, wurde auch mal diskutiert, aber sie sind recht teuer. „Was ist das menschliche Leben schon wert?“, fragt Busch. Er wirkt nicht, als wollte er eine Antwort haben.

(her)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort