Gastbeitrag von Alexander Vogt Fakten gegen Viren

Meinung | Düsseldorf · Der medienpolitscher Sprecher der SPD-Fraktion im NRW-Landtag fordert in der Corona-Krise einen Open-Data-Katalog mit frei zugänglichen Informationen für jeden, der sich über die Situation in Deutschland informieren will.

 Probenentnahme in einem Testzentrum für Corona-Verdachtsfälle.

Probenentnahme in einem Testzentrum für Corona-Verdachtsfälle.

Foto: dpa/Jens Büttner

Gerade erst haben Frankreich, Italien und Deutschland ihre Anti-Corona-Maßnahmen verlängert. Auf welcher Grundlage genau diese unterschiedlichen Entscheidungen gefällt wurden, verstehen nur die Wenigsten. Wann geht es in erster Linie um das Wohl der Bevölkerung und wann spielen wirtschaftliche Interessen eine größere Rolle?

Fest steht: Um die Zahl Corona-bedingter Todesfälle zu begrenzen, wurde das Gesundheitssystem in Deutschland hoch- und die Wirtschaft sowie das öffentliche Leben heruntergefahren. Dies alles passierte in einer enormen Geschwindigkeit. Unter normalen Umständen wären die meisten Entscheidungen sehr viel ausführlicher betrachtet und diskutiert worden.

Wie geht es nun nach dieser ersten Welle von Maßnahmen weiter? Manche der bisher beschlossenen Maßnahmen sind mit tiefgreifenden Einschnitten in die Grundrechte aller verbunden gewesen, die akzeptiert wurden, weil sie einem gesamtgesellschaftlichen Ziel dienten. Je länger die Maßnahmen dauern, desto schwieriger wird es aber, diese Akzeptanz aufrechtzuerhalten. Am Beispiel der Umsetzung und Vermarktung der Corona-Studie über Fälle in der nordrhein-westfälischen Stadt Heinsberg erleben wir gerade, welcher Vertrauensverlust entsteht, wenn Entscheidungen von politischen und wissenschaftlichen Akteuren für die Bevölkerung nicht nachvollziehbar sind. Werden Maßnahmen dann angeordnet, werden sie dramatisch in Frage gestellt.

Für jedes politische oder staatliche Handeln ist also eine belastbare Basis notwendig, wenn Bürgerinnen und Bürger Einschränkungen verstehen und akzeptieren sollen. Hier helfen keine emotional aufgeladenen Fernsehbilder, sondern wir benötigen gut und verständlich aufbereitete Fakten.

Journalistinnen und Journalisten, die Daten aufbereiten und für alle verständlich einordnen, sind die wichtigsten Verbündeten derjenigen, die nach Akzeptanz für Maßnahmen zur Verhaltensänderung streben, um Leben zu retten.

Die in Deutschland nun anstehende Diskussion, welche Lockerungen und welche langfristigen Maßnahmen angemessen sind, muss breit geführt werden. Damit die Debatte in der Öffentlichkeit aber überhaupt nachvollzogen und mitgestaltet werden kann, müssen zuverlässige Daten allen zur Verfügung stehen. Besonders Medienschaffende und Verwaltungspersonal brauchen Zugang zu Zahlen, Daten und Fakten. Es wird ein Maß an Transparenz notwendig, das wir in Deutschland so bisher noch nicht gekannt haben.

Der Datenjournalist Michael Kreil hat vor einigen Tagen auf Twitter sinngemäß die Frage gestellt, woher man als Datenjournalist Daten zur Lage der Nation in Bezug auf Covid-19 bekommen würde. Nicht wenige wundert es, dass täglich unterschiedliche Zahlen des Robert Koch-Instituts und der Johns-Hopkins-Universität (USA) kommuniziert werden. Während das Robert Koch-Institut den normalen behördlichen Dienstweg abwartet, wertet die Johns-Hopkins-Universität öffentliche Quellen, meist Websites von Tageszeitungen, aus. Beides ist auf Dauer kein ausreichendes Vorgehen, da hierbei eine Reihe wichtiger Informationen fehlen. Lediglich die Zahl der Todesopfer und der getesteten Neuinfizierten zu berichten, reicht für viele Datenjournalisten und für eine mündige Öffentlichkeit nicht aus.

Also ist jetzt die Zeit, neue Wege zu gehen: Wir brauchen einen Open-Data-Katalog mit frei zugänglichen Informationen für alle: die Journalistin, den Verwaltungsbeamten und jede Bürgerin, die sich über die Situation in Deutschland informieren will.

Wie könnte ein solcher Open-Data-Katalog entstehen? Das Bundesministerium für Gesundheit entwirft ein simples Datenschema und definiert ein einheitliches Format für eine sogenannte .csv-Datei. Zusammen mit einer exakten Dokumentation stellt es das „Formular“ zum Download. Jede Arztpraxis, jedes Krankenhaus und jedes Gesundheitsamt kann sich nun diese Datei herunterladen. Jetzt befüllen sie täglich die Datei mit ihren Daten und stellen sie dezentral auf der eigenen Website zur Verfügung. Zu Beginn muss dann nur noch einmalig dem Bundesministerium in einem öffentlichen Zentralregister die Internetadresse mitgeteilt werden, wo die Datei abgelegt wird. Ein solches System ließe sich binnen 48 Stunden installieren und hochfahren.

Dieser Katalog müsste über alle Kliniken, Arztpraxen, Testlabore, Pflegeeinrichtungen und Gesundheitsämter ausgerollt werden, die für eine fundierte öffentliche Debatte täglich aktuelle Datenliefern.

Die Datensätze sollten beispielsweise enthalten, wie sich die Zahlen der getesteten Neuinfizierten entwickeln, wie viele Menschen eine COVID-19-Erkrankung gut überstanden haben, wie viele Betten belegt sind oder frei auf den normalen Krankenhausstationen und den Intensivstationen zur Verfügung stehen. Darüber hinaus brauchen wir mehr Daten über die Verstorbenen. Sie müssen Aufschluss darüber geben, welche „Risikogruppen“ existieren und ob sich diese verändern. All diese Informationen sind notwendig, um wirklich sinnvoll über Veränderungen der aktuellen Einschränkungen diskutieren zu können. Das kleinteilige Denken in Stadt-, Kreis oder Landesgrenzen muss dabei ein Ende haben. Sollte die Regierung erwägen, Material, wie Schutzkleidung und Desinfektionsmittel, zu beschlagnahmen, dann wären auch Zahlen zu Bedarf und Produktionskapazitäten in Deutschland notwendig.

Wenn jede genannte Institution die Daten in einem einheitlichen, offenen und maschinenlesbaren Format zur Verfügung stellen würde, könnten sowohl Behörden, Medien, aber auch alle Bürgerinnen und Bürger auf verlässliche Quellen zurückgreifen – und das in Echtzeit . Denn Diskussionen über Lockerungen oder Verschärfungen von Maßnahmen, die unsere Grundrechte einschränken, müssen von allen geführt werden können. Es muss hierzu eine verlässliche Quelle geben, auf die jede und jeder von uns zugreifen kann, um zu kontrollieren, ob eine Entscheidung in der eigenen Region sinnvoll und vertretbar ist.

Die dazu notwendigen Informationen und Daten dürfen kein Herrschaftswissen sein.

In den Medien wird derzeit viel über Sinn oder Unsinn einer wie auch immer gestalteten „Corona-App“ gestritten. Anfangs drehte sich die Diskussion um eine freiwillige Lösung, inzwischen fordern einige CDU-Politiker schon eine zwangsweise Installation einer solchen App auf allen Smartphones. Das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung e.V. (FIfF) verweist derweil auf überzogene Erwartungen des Technikeinsatzes.

„Öffentliche Daten nützen, private Daten schützen“ – nach diesem Leitgedanken muss ein Open-Data-Katalog der erste Schritt sein. Bevor der Staat auf sensible Daten aller Menschen in Deutschland zugreifen darf, sollte er die eigenen Daten so organisieren, dass sie frei zugänglich sind.

Das Plädoyer kann nur lauten: maximale Transparenz durch öffentliche Daten. Jetzt ist die Zeit von Open Data.

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