Hambacher Forst „Bagger meinen Wald nicht an“

Buir · Zehntausende Menschen gegen den Tagebau im Hambacher Forst und ein Grünen-Parteitag an der Abbruchkante: Eindrücke von einem denkwürdigen Wochenende.

Hambacher Forst: Bilder von der Kundgebung am 06. Oktober 2018
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So lief die friedliche Kundgebung am Hambacher Forst

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Foto: AFP/SASCHA SCHUERMANN

Menschen in Eichhörnchen- und Superman-Kostümen sind im Rheinland nichts Ungewöhnliches. Doch da die fünfte Jahreszeit noch nicht begonnen hat und die Verkleideten nicht in der Düsseldorfer Altstadt, sondern auf einem staubigen Acker zwischen Aachen und Köln herumlaufen, lässt sich doch von einem Ausnahmezustand sprechen: „Es ist die mit Abstand größte Demo, die das Rheinische Braunkohlerevier je gesehen hat“, sagt Dirk Jansen, NRW-Geschäftsführer des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) vor 50.000 Menschen. Aus allen Himmelrichtungen, über Feldwege und aus dem Wald strömen Menschen an diesem Samstag zum Hambacher Forst.

Beinahe Festival-Atmosphäre

Dort herrscht ein Wettrüsten der Plakate. Slogans wie „Bagger meinen Wald nicht an“, „Run Forest, run“ und „Hambi bleibt“ gehören zu den Favoriten. Einige verschenken Umarmungen und auf der Bühne spielen Bands wie Revolverheld, Tonbandgeräte und Cat Ballou. Fast herrscht Festival-Atmosphäre, doch dann spricht Ingo Bajerke: „Stellen Sie sich vor, Sie besitzen Haus und Land, ein Zuhause für Ihre Familie und plötzlich steht ein Bagger vor Ihrer Haustür und will Ihnen all das wegnehmen.“ Es ist totenstill auf dem Acker. Bajerke (45) hat seinen Geburtsort bereits an die Bagger verloren. Für ihn ist der Tag ein „kleines Wunder“ – sind doch 90 Prozent des Hambacher Forstes bereits gerodet.

Das Ehepaar Pesch aus Viersen kommt regelmäßig zu den Demonstrationen – es wolle der nachfolgenden Generation „eine gute Welt hinterlassen.“ Für Familie Bach aus Alfter ist es sogar „logische Konsequenz“, bei der Demonstration mit dabei zu sein. Alle Familienmitglieder setzen sich für den Umweltschutz ein. Der Weg zu Arbeit und Schule wird mit dem Rad bestritten, häufig gibt es vegetarisches Essen und „selbstverständlich“ wird Ökostrom genutzt.

Neue Besetzungen in der Nacht

„24 Grad im Oktober – der Klimawandel ist mit uns“, witzelt eine Passantin. Und obwohl die Feuerwehr Wasser an die Demonstranten herausgibt, bimmeln bei den Anwesenden angesichts der Temperaturen die Alarmglocken – beziehungsweise Schnecken. Denn in eine footballgroße Meeresschnecke bläst Milan Schwarze vom Bündnis „Ende Gelände“ ins Bühnenmikrofon, für die Menschen, die ihre Inselstaat-Heimat durch den Klimawandel verlieren könnten. Den Wald haben er und die anderen Aktivisten noch in der Nacht auf Sonntag wieder besetzt und Barrikaden aus Baumstämmen und Bodenrillen gebaut.

Für Christoph Bautz, Mitbegründer der Organisation „Campact“, ist das Ziel eindeutig: „Bis 2020 soll die Kohleenergie um die Hälfte zurückgefahren werden.“ Großkonzerne und Politik dürften nicht alleine entscheiden, da sind sich auch Frowin Stemmer (37) und Anne Zaun (32) einig. Die beiden waren schon an den letzten drei Wochenenden bei den Demonstrationen am Forst dabei und tragen ein Schild mit dem Slogan: „Armin lass‘et!“ vor sich her. Sie sehen die Verantwortung bei der Landesregierung und feiern den vorläufigen Rodungsstopp. Die Demonstration bleibt den gesamten Tag über friedlich, auch wenn zwischenzeitlich die Autobahn 4 und der Bahnhof Buir wegen Überfüllung gesperrt werden. Ein Gefühl überwiegt an diesem Tag: Hoffnung, auf einen schnellen Kohleausstieg und den Erhalt des Hambacher Forsts.

Grünen-Parteirat mit Leitantrag zum Kohleausstieg

Aus Grünen-Sicht ist der vorläufige Rodungsstopp ein Zwischenerfolg, den es jetzt mit einem dauerhaften Rodungsverbot des Hambacher Forsts weiterzuentwickeln gelte. Das sagt die Grünen-Landesvorsitzende Mona Neubaur vor 80 Delegierten und 120 Gästen auf dem Landesparteirat, der am Sonntag nahe des Hambacher Forsts stattfindet. Verschiedene Redner räumen ein, dass die bisherige Braunkohle-Politik ein wunder Punkt der NRW-Grünen sei: Vor zwei Jahren stimmte die damals noch mitregierende Partei der Entscheidung zu, die zwar eine Verkleinerung des Tagebaus erwirkte, aber nicht die Aufhebung der Pläne. Mehr sei damals angesichts der  Sitzverteilung im Landtag für die Grünen nicht drin gewesen, sagt Reiner Priggen, ehemaliger NRW-Grünen-Fraktionschef. Mit der schwarz-gelben Landesregierung geht er wiederum hart ins Gericht: „Was hat NRW-Innenminister Reul geritten, mit 4000 Polizisten gegen 150 Aktivisten in Baumhäusern anzurücken?“

 Für Familie Bach aus Alfter gehört Umweltschutz zum Alltag: Man fährt Rad, isst gerne vegetarisch und kommt zur Demo an den Hambacher Forst.

Für Familie Bach aus Alfter gehört Umweltschutz zum Alltag: Man fährt Rad, isst gerne vegetarisch und kommt zur Demo an den Hambacher Forst.

Foto: Ludwig, Marie
 Georg und Ulla Pesch aus Viersen haben zwei Zöglinge aus dem eigenen Garten für den Hambacher Forst mitgebracht.

Georg und Ulla Pesch aus Viersen haben zwei Zöglinge aus dem eigenen Garten für den Hambacher Forst mitgebracht.

Foto: Ludwig, Marie
 Aufräumen nach aufregenden Wochen im Hambacher Forst: Aktivisten tragen einen Baumstamm.

Aufräumen nach aufregenden Wochen im Hambacher Forst: Aktivisten tragen einen Baumstamm.

Foto: dpa/Ina Fassbender

Das Votum für den Antrag des Landesvorstandes fällt danach einstimmig aus: Die NRW-Grünen fordern die Landesregierung auf, die Rodungen im Hambacher Wald mindestens so lange zu unterbinden, bis die Kohlekommission ihre Arbeit abgeschlossen hat. Außerdem müsse Schwarz-Gelb „spätestens mit dem Ergebnis der Kohlekommission eine neue Leitentscheidung zum Braunkohleabbau treffen.“

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