Stimmen Flüchtlinge: NRW-Bürgermeister zur Lage in ihrer Stadt

215 Bürgermeister aus NRW haben im Oktober 2015 in einem Brandbrief an Kanzlerin Angela Merkel geschrieben, ihre Städte seien bei der Unterbringung von Flüchtlingen am Ende ihrer Leistungsfähigkeit. Wie einige von ihnen die Situation in ihren Kommunen in den vergangenen Wochen beschreiben, haben wir einmal zusammengefasst.

Angelika Mielke-Westerlage, Meerbusch, am 22. Oktober 2015
"Als Kommune tragen wir derzeit die Hauptlast bei der Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge", kritisiert Meerbuschs Bürgermeisterin. "Entgegen den Prognosen lässt die Zuwanderung nicht nach, der Druck nimmt immer weiter zu. Für uns wird es immer problematischer, geeignete Unterbringungsmöglichkeiten zu finden, unsere Festbauten für Asylbewerber sind voll, wir haben bereits drei Sporthallen als Notunterkunft für das Land belegt, die über Monate hinweg nicht mehr für den Schul- und Vereinssport zur Verfügung stehen." Und sie sagt: "Wir verfügen über keine geeigneten Gebäude, die schnell für eine Nutzung für Flüchtlinge zu qualifizieren sind. Unsere Kapazitäten sind erschöpft." Der Brandbrief sei "ein richtiges Signal zum richtigen Zeitpunkt".

Dietmar Persian, Hückeswagen, am 22. Oktober 2015
"Meine Mitarbeiter sind an der Belastungsgrenze angekommen", sagte der Bürgermeister. Wöchentlich kämen neue Flüchtlinge, immer mehr als in der Woche zuvor. "Wir können uns nicht mehr so um die Menschen kümmern, die zu uns kommen, wie wir es uns eigentlich wünschen." Und auch der ehrenamtliche Bereich habe seine gewissen Grenzen.

Klaus Konrad Pesch (links), Ratingen, am 22. Oktober 2015
"Man denkt wahrscheinlich, dass diese Herausforderung angesichts der Größe der Verwaltung mit 1200 Mitarbeitern zu stemmen ist." Doch es sei in Wahrheit ein sehr überschaubares, an den Grenzen der Belastbarkeit stehendes Team, das sich um das Thema Flüchtlinge kümmere. "In dieser Form", betont Pesch, "können wir das Tempo nicht mehr mitgehen. Wir stehen bei der Flüchtlingsunterbringung schon jetzt komplett vor dem Prellbock."

Frank Gellen (links), Brüggen, am 3. September 2015
Brüggen sagte in einer Ratssitzung: "Die Sozialkosten für Flüchtlinge entwickeln sich erschreckend, da werden wir absolut alleine gelassen."

Michael Pesch (Mitte), Schwalmtal, am 15. Oktober 2015
"Ich sehe die Willkommenskultur gefährdet, wenn wir anfangen, Turnhallen zu belegen", sagte Pesch. Sollte aber die Gemeinde im Rahmen der Amtshilfe 150 Flüchtlinge auf einmal unterbringen müssen, und das innerhalb von zwei Tagen, werde ihr nichts anderes übrigbleiben. Noch frage die Bezirksregierung so kleine Kommunen wie Schwalmtal nicht, aber was noch komme, wisse keiner. "Administrativ könnten wir das gar nicht leisten", fürchtet Pesch. "Wir brauchen das Geld jetzt, aber wir haben kein Cash. Also müssen wir Kassenkredite aufnehmen." Man würde sich wünschen, dass die Kommunen an dieser Stelle nicht allein gelassen würden, "aber wir fühlen uns allein gelassen".

Thomas Goßen (Mitte), Tönisvorst, am 6. Oktober 2015
"Die hohen Zahlen und die Geschwindigkeit der Zuweisungen führen zu Entwicklungen, in der innerhalb von Tagen und Stunden sämtliche Planungen gegenstandslos werden." Inzwischen seien die Kapazitätsgrenzen erreicht.

Günter Steins, Kranenburg, am 5. August 2015
"Noch kommen wir mit den Flüchtlingszahlen zurecht, aber die Lage wird auch bei uns in Kranenburg langsam kritisch", sagte Steins noch im August. Jetzt hat auch er den Brandbrief unterzeichnet. Schon im August sagte er auch, dass die "Erstunterbringung auf Länderebene besser organisiert und die Finanzausstattung der Kommunen zur Schaffung von menschenwürdigen Unterkünften verbessert werden" müsse.

Theo Brauer (Mitte), Kleve, am 3. Oktober 2015
"Mit den hohen Finanzaufwendungen ist die Stadt Kleve auf Sicht überfordert. Die vom Bund angekündigten Kompensationen werden nicht ansatzweise reichen. Vielleicht werden wir die Steuern erhöhen müssen"

Christian Wagner, Nettetal, am 22. Oktober 2015
"Auch wir in Nettetal brauchen Unterstützung und können die auf uns zukommenden Aufgaben alleine nicht bewältigen. Nur so können wir uns dann auch vor Ort in Nettetal gemeinsam mit den Freiwilligen weiterhin gut um die Flüchtlinge kümmern und vor allem deren Integration erreichen."

Frank Schneider, Langenfeld, am 2. Oktober 2015 im Rat
"Ich möchte keine weitere Halle (Sporthalle Anm. d. Red.) in Beschlag nehmen, kann es aber nicht ausschließen.
Die Vize-Chefin des Rathauses, Marion Prell, sagte ebenfalls in der Ratssitzung: "Wie lange sollen wir das noch durchhalten?" Und: "Wir sind am Rande der Überforderung."

Jan Heinisch, Heiligenhaus, am 15. Oktober 2015
"Menschen, deren Bleibeperspektive praktisch gen Null geht, sollten nicht aufwendig durch die Republik geschickt und verteilt werden", sagt Heinisch. "Wir Städte wollen uns auf unsere Integrationsarbeit konzentrieren.“

Harald Zillikens, Jüchen, am 20. Oktober 2015
"Die dramatische Entwicklung der Flüchtlingszahlen war in dieser Dimension nicht abzusehen. Die Bundesrepublik muss mit der EU sicherstellen, dass wir schnellstmöglich zu regulären Verhältnissen zurückfinden. Der unbegrenzte Zuzug nach Deutschland und damit in die Städte und Gemeinden kann sehr bald nicht mehr verkraftet werden und muss beendet werden."

Erik Lierenfeld, Dormagen, am 20. Oktober 2015
Kommunale gesetzliche Verpflichtungen könnten aktuell nur noch zeitverzögert oder sehr eingeschränkt erfüllt werden. "Das ist leider auch in Dormagen so", so Lierenfeld. "Es muss eine zeitnahe Dynamisierung der Erstattungsleistungen für die Zahl der Flüchtlinge geben. Steigende Zahlen führen zu steigenden Kosten."

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