Fall Mesut Özil Türkeistämmige fühlen sich laut Studie mehr mit Türkei verbunden

Düsseldorf · NRW-Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) möchte sich mit den Fußballern Mesut Özil und Ilkay Gündogan treffen. Özil hatte am Sonntag seinen Rücktritt aus der Nationalelf bekannt gegeben.

 Bei der Fußball-WM 2018 noch im Trikot der Nationalelf: Wenige Tage nach Turnierende gab Mesut Özil seinen Rücktritt bekannt.

Bei der Fußball-WM 2018 noch im Trikot der Nationalelf: Wenige Tage nach Turnierende gab Mesut Özil seinen Rücktritt bekannt.

Foto: dpa/Ina Fassbender

„Wir leben in einer offenen Gesellschaft. Für uns ist es egal, woher die Großeltern kommen“, sagte Joachim Stamp. Er stellte am Montag in Düsseldorf eine neue Studie zur Integration von NRW-Bürgern mit türkischem Migrationshintergrund vor. Der NRW-Integrationsminister kündigte an, er wolle nach der Sommerpause gemeinsam mit den jungen Männern über ihre Diskriminierungserfahrungen sprechen. Eine Debatte solle den jungen Menschen aus Einwanderungsfamilien die Identifikation mit Deutschland ermöglichen. Özil habe sich nicht glücklich verhalten, sagte Stamp. „Wir müssen in einer offenen Gesellschaft auch Kontroversen aushalten.“

Die beiden Fußballer stehen seit Mai in der Kritik, weil sie ein gemeinsames Foto mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan veröffentlicht hatten. Mesut Özil hatte am Sonntagabend in einer langen Stellungnahme auf Twitter seinen Austritt aus der deutschen Fußballnationalmannschaft erklärt und darin Rassismusvorwürfe geäußert.

Der Fall Mesut Özil ist aus wissenschaftlicher Sicht ein Paradebeispiel für Integrationshürden und heimatliche Zerrissenheit der „Deutsch-Türken“. Charakteristisch sei ein sogenanntes Integrationsparadoxon, erklärte Haci-Halil Uslucan, Leiter des Essener Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung. Demnach empfinden sich gerade objektiv besser Integrierte, wie der gebürtige Gelsenkirchener Özil, häufig als nicht zugehörig, weil sie besonders sensibel für gesellschaftliche Diskriminierung seien. „Sie meinen, eine aktive Integrationsarbeit geleistet zu haben und bekommen dennoch die Quittung: ‚Nee, du gehörst doch nicht dazu. Du bist nur Pass-Deutscher‘“, beschreibt er. Özil hatte am Sonntag in seiner Rücktrittserklärung geschrieben: „Ich fühle mich ungewollt und denke, dass das, was ich seit meinem Länderspiel-Debüt 2009 erreicht habe, vergessen ist.“

Nach der aktuellen Studie des Zentrums für Türkeistudien steigt bei Diskriminierungserfahrungen das Zugehörigkeitsgefühl zur Türkei. Haci-Halil Uslucan sagte, seit 2012 und verstärkt seit dem Referendum 2016 beobachte er einen steigenden Trend zur heimatlichen Verbundenheit mit der Türkei. Die meisten Menschen fühlten sich aber sowohl mit Deutschland als auch der Türkei verbunden. Das Zentrum für Türkeistudien befragt seit 1999 Türkeistämmige zum Stand ihrer Integration. Die aktuelle repräsentative Umfrage analysiert die Identifikation und politische Partizipation in NRW und Deutschland.

Uslucan sieht jedoch kritisch, dass jeder zweite Türkeistämmige die türkische Regierung und Migrantenorganisationen als Interessensvertreter wahrnimmt - von der Bundesregierung hingegen fühlen sich lediglich 37 Prozent vertreten. „Das ist für uns nicht hinnehmbar“, sagte Stamp. Deutsche Institutionen werden der Studie zufolge vor allem vor Ort wahrgenommen, wie etwa Bürgermeister (40 Prozent). Von dem Integrationsminister fühlten sich weniger als jeder dritte Türkeistämmige (28 Prozent) vertreten.

Stamp kündigte eine Wertedebatte mit einer gezielten Öffentlichkeitskampagne und Diskussionsveranstaltungen an. Außerdem warb er für eine vereinfachte Einbürgerung und das Ermöglichen der doppelten Staatsangehörigkeit.

(mba/epd/dpa)
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