NRW-Behörden Sonderermittler sieht im Fall Amri keine Versäumnisse

Düsseldorf · Möglichkeiten, den Attentäter Anis Amri abzuschieben oder in Haft zu nehmen, habe es entweder nicht gegeben oder sie seien nicht umsetzbar gewesen. Zu diesem Ergebnis kommt der von der nordrhein-westfälischen Regierung beauftragte Sonderermittler.

 Der Gutachter Bernhard Kretschmer während der Pressekonferenz in Düsseldorf.

Der Gutachter Bernhard Kretschmer während der Pressekonferenz in Düsseldorf.

Foto: dpa, fg axs

Der Sonderermittler im Fall Anis Amri, Bernhard Kretschmer, hat keine wesentlichen Versäumnisse der nordrhein-westfälischen Behörden feststellen können. Erhebliche Mängel, die den Anschlag ermöglicht haben, habe er nicht entdeckt, berichtete der Staatsrechtsprofessor am Montag bei einer Pressekonferenz. "Da ist nichts, womit man ihn strafrechtlich hätte fassen können." Die Behörden hätten es aber versucht. Kretschmer war von der Landesregierung beauftragt worden.

Auf der Pressekonferenz in Düsseldorf legte Kretschmer die Ergebnisse seines Gutachtens umfassend dar. Die zentrale Frage war, ob man Amri frühzeitig hätte abschieben oder in Abschiebehaft nehmen können. Es habe Hinweise darauf gegeben, dass Amri möglicherweise einen Anschlag plane, allerdings seien die nach Einschätzung Kretschmers vage gewesen. So habe er in einem Chat geschrieben "Wir treffen uns im Paradies", was auf einen Selbstmordanschlag hindeuten könnte, aber kein stichhaltiger Beweis sei. Auch habe er im Internet zum Thema Sprengstoff recherchiert. "Es gab Anhaltspunkte, aber sie haben sich nicht verdichtet", sagte Kretschmer.

Unterdessen sei Amri mehrfach als Krimineller aufgefallen. Der Generalstaatsanwalt in Berlin habe gegen Amri wegen versuchter Anstiftung zum Mord ermittelt. In Berlin sei er an einer gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung im Drogenmilieu beteiligt gewesen. Es habe Verstöße gegen das Ausländerrecht gegeben, diese bezeichnete Kretschmer als "Routine". Am 30./31. Juli 2016 habe Amri versucht, in die Schweiz auszureisen, dabei habe er falsche Ausweise bei sich gehabt, also eine Urkundenfälschung begangen. Amri sei zudem mit diversen Diebstählen, Schwarzfahren und Geldwäsche aufgefallen. Es habe auch den Verdacht eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz gegeben, der habe sich aber nur aus einer vagen Andeutung aus der Telefonüberwachung ergeben.

Kretschmer nahm außerdem zu dem Verdacht Stellung, Amri habe 14 Identitäten gehabt. Der Gutachter vermutet, dass einige der Identitäten durch Schreibfehler der Behörden entstanden sein könnten. Er selbst habe sechs Identitäten für Anis Amri ermitteln können. Im Zusammenhang mit diesem Punkt sagte Kretschmer, dass man Amri früher hätte auf die Spur kommen können, wenn das System in Europa besser funktioniert hätte. 2011 hatte Italien Amri nicht ins System aufgenommen. Die Mehrfach-Identitäten seien so erst 2016 aufgefallen.

Im Februar 2016 hatten die Behörden versucht, Amri abzuschieben. Doch es habe laut Kretschmer keine gute Möglichkeit dazu gegeben. Das Dublin-Verfahren sei ausgeschieden, und Amri abzuschieben, weil von ihm eine Gefahr ausgehe, sei deshalb gescheitert, weil die Hinweise gegen ihn alle aus verdeckten Ermittlungen stammten und vor Gericht nicht hätten herangezogen werden können. Die Verwendung für ausländerrechtliche Zwecke sei vom Generalbundesanwalt untersagt gewesen. "Das war im Nachhinein vielleicht falsch, aber damals durchaus wohlerwogen", sagte Kretschmer.

Nachdem Amris Asylantrag abgelehnt worden war, habe die zuständige Ausländerbehörde in Kleve versucht, die Abschiebung in die Tat umzusetzen. Dabei sei sie aber zu der Einschätzung gekommen, dass die Abschiebung innerhalb von drei Monaten kaum möglich sei. Die Zentrale Ausländerbehörde in Köln habe bislang nur in zwei Fällen Tunesier innerhalb von drei Monaten außer Landes gebracht. Und dies seien beides Sonderfälle gewesen, sagte Kretschmer. Zudem habe Tunesien auf die Anfrage der deutschen Behörden am 27. Oktober 2016 mitgeteilt, man kenne Amri nicht. Erst einige Tage nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin gaben die tunesischen Behörden zu: Wir kennen ihn doch.

(lsa/lnw)
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