Vor zehn Jahren: Machtwechsel in NRW Erinnern Sie sich noch?

Düsseldorf · Vor zehn Jahren kam es zum Machtwechsel in NRW. Viele Reformen der Regierung von Jürgen Rüttgers wurden später zurückgedreht.

Jürgen Rüttgers: Was macht seine Regierung heute?
14 Bilder

Was macht Rüttgers' Regierung heute?

14 Bilder

Der Wahlsieger frohlockte: "Der eigentliche Vorsitzende der Arbeiterpartei in Nordrhein-Westfalen bin ich", rief Jürgen Rüttgers (CDU) nach der Landtagswahl vom 22. Mai 2005. Die Union hatte die meisten Stimmen geholt, während die SPD wegen der Hartz-IV-Gesetze starke Einbrüche vor allem bei der Arbeitnehmerschaft hinnehmen musste. Erstmals seit 39 Jahren stellte die CDU wieder den Ministerpräsidenten. Rüttgers bildete eine Koalition mit der FDP.

"Demokratische Parteienkonkurrenz erfordert Regierungswechsel: So war eine CDU/FDP-Regierung gut für NRW", sagt der frühere NRW-Verkehrsminister Christoph Zöpel (SPD). Als positiv bewertet er die frühzeitige Beendigung des Steinkohlenbergbaus 2018. Kritisch sieht er dagegen die Privatisierung des Wohnungsunternehmens LEG. Was also ist geblieben von fünf Jahren Schwarz-Gelb?

Kindergarten

Unter Schwarz-Gelb wurde die Zahl der Kita-Plätze für Kinder unter drei Jahren von 11.000 auf rund 80.000 aufgestockt (heute sind es etwa 155.000 Plätze). Das Land überließ es damals den Städten, über die Höhe der Elternbeiträge zu entscheiden. Das hat zu einem Gebühren-Flickenteppich geführt, der bis heute andauert.

Schule

Pikant: Die Regierung Rüttgers nahm den Eltern die Entscheidung über die weiterführende Schule. Hierfür sollte das Grundschulgutachten ausschlaggebend sein. Rot-Grün machte damit ebenso Schluss wie mit den Kopfnoten. Geblieben ist Englisch ab der ersten Grundschulklasse. Eisern hielt die Regierung Rüttgers am gegliederten Schulsystem fest. 2011 kam es zum Schulkompromiss, der das gegliederte System, aber auch integrative Schulen absicherte. Schwarz-Gelb setzte die Verkürzung der Gymnasialzeit von neun auf acht Jahre um, allerdings zulasten der Sekundarstufe eins. Dabei ist es geblieben.

Hochschulen

Den Hochschulen wurde es freigestellt, Studiengebühren bis zu 500 Euro pro Semester einzuführen - allerdings mit einer sozialen Komponente: Wer nicht zahlen konnte, erhielt ein zinsgünstiges Darlehen der NRW Bank. Die Einnahmen sollten den Hochschulen für Lehre und Forschung zugutekommen. Die jetzige rot-grüne Landesregierung schaffte die Gebühren ab und erstattet den Hochschulen den Ausfall mit jährlich 249 Millionen Euro. Das "Hochschulfreiheitsgesetz" von CDU und FDP gab den Einrichtungen weitgehende Autonomie. Rot-Grün schaffte auch dieses Gesetz a und nahm die Hochschulen an die (finanzielle) Kandare.

Finanzen

Mehrfach holte sich Finanzminister Helmut Linssen (CDU) eine "Klatsche" vom Verfassungsgerichtshof. So bereits für seinen Nachtragsetat 2005, der die in der Landesverfassung vorgesehene Grenze um 1,4 Milliarden Euro überschritt. Nicht zuletzt wegen der florierenden Konjunktur schaffte es der Minister aber binnen weniger Jahre, die Neuverschuldung auf eine Milliarde Euro zu senken - der beste Haushaltsabschluss seit 1975. Doch die Auswirkungen der Lehman-Pleite trafen auch das Land NRW. Zur ernsten Belastung für Schwarz-Gelb wurde die Schieflage der zum Teil landeseigenen WestLB. Die Düsseldorfer Großbank hatte sich mit internationalen Geschäften übernommen, litt unter der Fehlspekulation eines ihrer Aktienhändler, der Verluste im dreistelligen Millionenbereich eingefahren hatte, und stand schließlich in der Finanzkrise von 2008 vor der Pleite. Nur eine Milliardenspritze der Landesregierung, an der sich auch der Bund beteiligte, konnte die marode Großbank retten. Auch das verhagelte Linssen den Haushalt. Die WestLB ist inzwischen Historie.

Wirtschaft

Neue Akzente setzte die Regierung Rüttgers in der Wirtschaftspolitik. Das Ruhrgebiet war plötzlich nicht mehr Alleinempfänger von strategischen Subventionen der Landesregierung. Für die teure Steinkohle fand Rüttgers gemeinsam mit Bund, Gewerkschaften und dem Kohlekonzern RAG eine Lösung, um bis 2018 aus den Milliardenhilfen für den heimischen Energieträger auszusteigen. Im Übrigen galt für Schwarz-Gelb die Devise "privat vor Staat". Die Ladenöffnungszeiten wurden liberalisiert. Die Geschäfte konnten an Wochentagen nach Belieben geöffnet sein. Dabei ist es geblieben.

Personal

Unter Schwarz-Gelb wurde die Regelung eingeführt, dass jährlich 1,5 Prozent des Personals einzusparen sind. Ausgenommen waren die Bereiche Schule, Polizei und Justiz. Rot-Grün hat es später den Ressorts überlassen, bei der Einsparung von 1,5 Prozent der Stellen (ohne Polizei, Lehrer und Justiz) zu bleiben oder sie durch andere Kürzungen im gleichen Volumen in ihren Ressorts zu erreichen. Nach Angaben des Finanzministeriums hat die Regierung Rüttgers‘ bis 2010 insgesamt 11 889 zusätzliche Stellen eingerichtet. Ihnen standen 14 305 Stellenabgänge gegenüber. Im Saldo wurden damit 2416 Stellen im Landeshaushalt abgebaut. Seit Regierungsübernahme von Rot-Grün wurden bislang 6590 zusätzliche Stellen eingerichtet. 6874 Stellen entfielen. Per Saldo reduzierte sich damit die Stellenzahl um 284 Stellen.

Kommunen

Zu den gravierenden Fehlern der schwarz-gelben Regierung zählte der Umgang mit den Kommunen. Die Hilferufe auch aus unionsgeführten Städten wurden zumeist mit dem Hinweis abgetan, dass das Land so viel Geld bereitstelle wie noch nie. Rot-Grün zog mit dem Solidarpakt Stadtfinanzen praktische Konsequenzen. Allerdings ist der "Kommunal-Soli", den steuerstarke Städte an arme Kommunen zahlen müssen, höchst umstritten.

Union und FDP setzten durch, dass die Wahlen von Stadtrat und Hauptverwaltungsbeamten (Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landrat) entkoppelt wurden, indem ab 2009 die Amtszeit der Hauptamtlichen auf sechs Jahre verlängert wurde. Die Hoffnung auf mehr Bürgerbeteiligung erfüllte sich nicht. Rot-Grün drehte auch hier zurück: Ab 2020 werden Räte und Bürgermeister wieder an einem Tag für fünf Jahre gewählt.

Das Ende

Im Wahlkampf 2010 machten die CDU und Rüttgers schwere Fehler. Rüttgers beschimpfte rumänische Arbeiter mit dem Satz: "Die kommen und gehen, wann sie wollen." Das wurde gefilmt und ins Internet gestellt. Aus der Düsseldorfer Parteizentrale gelangten interne Papiere nach außen, die zum Teil vom Blog "Wir in NRW" verbreitet wurden. Als dann durch Parteiunterlagen der irrige Eindruck entstand, Rüttgers sei käuflich, beschleunigte sich der Abwärtstrend. Aber da war auch noch die Parteivorsitzende, Bundeskanzlerin Angela Merkel, die den Griechen kurz vor der NRW-Wahl Milliarden-Zusagen machte. Möglicherweise war die herbe Niederlage, die die Wähler Rüttgers am 9. Mai 2010 bereiteten, auch als Denkzettel fürs Kanzleramt gedacht.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort