Nach dem Aus für die NRW-Ampel Die Stunde des Jürgen Rüttgers

Er ist der heimliche Sieger der gescheiterten Sondierungsgespräche von SPD, Grünen und FDP über eine Ampelkoalition: NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers. Denn obwohl seine CDU knapp stärkste Kraft bei der Landtagswahl wurde, hatte sie im Ringen um eine Koalition bisher nicht das Heft in der Hand. Das könnte sich nun ändern.

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Foto: ddp/apn

Für Hannelore Kraft bleiben nicht mehr viele Optionen, um eine Koalition in NRW bilden zu können. Zwar forderte Linke-Chef Klaus Ernst am Tag nach den gescheiterten Verhandlungen über eine Ampel die SPD-Chefin auf, einen neuen Anlauf für ein rot-rot-grünes Bündnis zu schmieden. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass das passiert, ist äußerst gering. Denn nach dem Sondierungsgespräch hatten beide Parteien eine Koalition mit den Linken strikt abgelehnt.

Und auch eine Minderheitenregierung unter Tolerierung der Linken scheint für die SPD nicht die nächstbeste - wenn überhaupt noch eine - Lösung zu sein. Denn Kraft betonte am Freitag im WDR, dass ihre Partei nun beraten will, ob es doch noch zu einer Großen Koalition kommen soll. Denn: Es gebe nur noch diese Option, wie Kraft sagte. Eine Minderheitenregierung scheint sie nun also komplett auszuschließen. Zumal diese immer die Gefahr birgt, dass Vorhaben am Widerstand der Linken scheitern.

Kompromisse bei Bildung?

Rüttgers wird diese Aussage sicherlich wohlwollend vernommen haben. Denn die Große Koalition ist die Chance für die CDU, nicht nur an der Macht zu bleiben, sondern auch den Ministerpräsidenten zu stellen. Der CDU-Chef jedenfalls bot in der "Bild"-Zeitung der SPD bereits neue Gespräche an.

Rüttgers zeigt sich als der verantwortungsvolle Ministerpräsident. "Nordrhein-Westfalen braucht jetzt eine stabile Regierung", sagte er dem Blatt. Das hätten die letzten Tage und Wochen mit den Themen Sparpaket, Opel und Bildungsgipfel hinlänglich bewiesen.

Hannelore Kraft nahm dies zunächst zurückhaltend auf. Rüttgers habe sich nicht persönlich bei ihr gemeldet, sagte sie im WDR. Sie sei auch nicht sicher, wie ernst gemeint das Angebot sei.

Denn laut der Zeitung gibt sich Rüttgers kompromissbereit. Er legte einen Katalog an Punkten vor, in denen sich die beiden großen Parteien seiner Meinung nach einigen könnten. Dabei deutete Rüttgers auch eine Öffnung der CDU in der Schulpolitik an und sprach davon, dass "Entscheidungsmöglichkeiten der Kommunen in Schulfragen" eingeführt werden sollten.

Es sind Appetithäppchen, die der CDU-Chef an die SPD verteilt, um sie zurück an den Verhandlungstisch zu locken. Zumal es gerade die Schulpolitik war, in der sich die SPD kaum kompromissbereit zeigte - auch nicht in den Verhandlungen über eine Ampel-Koalition. Und kommt die CDU in diesem Punkt den Sozialdemokraten entgegen, dann könnten sich diese vielleicht auch in anderen Punkten erkenntlich zeigen.

Die Frage nach dem Personal

Wie in der von Anfang an umstrittenen Frage, wer den Ministerpräsidenten stellt. Denn beide Parteien beanspruchten schon kurz nach der Wahl den Posten für sich. Nachgiebig zeigte sich bis zum Schluss keiner. Auch stand immer zur Disposition, dass eine Koalition nur ohne Jürgen Rüttgers möglich sei.

Doch die Ausgangslage hat sich nun geändert. Wenn die SPD noch an die Macht kommen will, muss sie sich ebenfalls drehen. Auch wenn sie sicherlich alle ihre theoretisch möglichen Optionen als Verhandlungsargumente nutzen wird.

Die CDU aber kann den Sozialdemokraten mächtig gegen den Bug fahren und mögliche neue Gespräche scheitern lassen, sollte sie nicht Rüttgers als Ministerpräsidenten durchbekommen. Zumal es im parlamentarischen Gebrauch üblich ist, dass die stärkste Kraft den Ministerpräsidenten stellt. Und die CDU hat bei der Wahl immerhin gute 5800 Stimmen mehr als die SPD erhalten.

Und durch scheiternde Gespräche über eine Große Koalition braucht es der CDU noch lange nicht bange zu werden. Denn dann bleibt der SPD noch die Möglichkeit einer Minderheitenregierung oder von Neuwahlen.

Und sollte sich Hannelore Kraft doch auf das Wagnis einer Tolerierung einlassen, könnte ihr das gleiche Schicksal wie Andrea Ypsilanti in Hessen drohen, wo die Tolerierung durch Abweichler in den eigenen Reihen torpediert wurde.

Option Neuwahlen

Das hessische Ergebnis ist bekannt: Es kam zu Neuwahlen, und die CDU konnte nach dem ganzen Hin und Her viel Boden gut machen. Roland Koch blieb Ministerpräsident. Genau dieses Szenario könnte sich in NRW wiederholen, auch wenn die Frage "Wie halte ich es mit der Linken?" hier nicht ganz so scharf diskutiert wird wie damals in Hessen. Schließlich hatte Ypsilanti ein Zusammengehen mit der Linken vor der Wahl ausgeschlossen, Kraft dagegen nicht definitiv.

Das Hin und Her jedenfalls scheint an den Nerven der Wähler in NRW zu zehren, und das kann sich Jürgen Rüttgers zunutze machen - auch bei möglichen Neuwahlen. Er kann die SPD dafür verantwortlich machen wie einst Koch in Hessen. Stimmengewinne für die CDU sind dann durchaus möglich.

Auch spielt die Lage um Opel ihm nun in die Karten. Denn nachdem Kanzlerin Angela Merkel Hilfen für den angeschlagenen Autobauer abgelehnt hat, profiliert sich Rüttgers neben den anderen Ministerpräsidenten mit Opel-Standorten in ihrem Land als letzte Hoffnung der Mitarbeiter. Denn die sind von Merkel, die versprach, sie nicht fallenzulassen, zutiefst enttäuscht.

Rüttgers sagte, die Länder mit Opel-Standorten stünden dem Autokonzern für Gespräche zur Verfügung. "Wir wollen erreichen, dass kein Standort in Deutschland geschlossen wird." Auch das kann ihm wieder Sympathien beim Wähler einbringen.

Die Ausgangslage für den NRW-Ministerpräsidenten sind also nicht wirklich schlecht - solange die politischen Zänkereien in Berlin sich nicht als neuerliches Störfeuer erweisen.

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