Finanznot trotz Rekordzuweisungen Geknebelte Kommunen

Düsseldorf · Das Land wird den Städten und Gemeinden in NRW im kommenden Jahr Geld in Rekordhöhe überweisen. Doch die Herausforderungen sind so gewaltig, dass die Mittel kaum ausreichen werden. Warum, schildert der Präsident des Städte- und Gemeindebunds NRW.

 Mit einem Motivwagen von Jaques Tilly protestieren NRW-Bürgermeister in Berlin für Entlastungen.

Mit einem Motivwagen von Jaques Tilly protestieren NRW-Bürgermeister in Berlin für Entlastungen.

Foto: Bündnis "Für die Würde unserer Städte"/Andreas Endermann / Bündnis "Für die Würde unserer Städte"

Auf den ersten Blick sieht es recht rosig aus für die Kommunen in NRW. Nimmt man die Eckpunkte des Gemeindefinanzierungsgesetzes, können sich die Kämmerer im kommenden Jahr auf Zuweisungen von rund 15,35 Milliarden Euro und damit rund 1,3 Milliarden Euro mehr als im laufenden Jahr einstellen. Ein Grund zum Jubeln? Mitnichten.

Unterhält man sich in diesen Tagen mit Eckhard Ruthemeyer (CDU), dem Bürgermeister der Stadt Soest und Präsidenten des Städte- und Gemeindebunds NRW, ist da wenig Euphorie zu hören angesichts der Rekordsumme, die das Land den Städten, Gemeinden, Kreisen und Landschaftsverbänden überweisen will. Auf den ersten Blick stimme der Tenor ja, dass nie mehr Geld für die Kommunen da war, räumt auch er ein, „aber zugleich blendet das aus, dass die Belastungssituation nie größer war als heute“.

Genau wie viele Bürger stünden in dieser Krise auch die Kommunen mit dem Rücken zur Wand, sagt er: „Die Inflation trifft sie mit ähnlich großer Wucht. Allein der Energieverbrauch für den Betrieb von Schulen, Kitas, Turnhallen oder auch Verwaltungsgebäuden schlägt massiv auf die kommunalen Haushalte durch.“ Bisher müssten die Kommunen dafür bundesweit fünf bis sechs Milliarden Euro aufbringen. „Wenn nun die Preise für Strom und Gas durch die Decke gehen, werden die Kosten sich vervielfachen.“ Im Baubereich macht der Präsident astronomische Verteuerungen aus, die weit über der Inflationsrate liegen. „Im Rohbau kosten Stahl- und Betonarbeiten 25 Prozent mehr als vor einem Jahr. Die Planansätze in vielen Kommunen dürften erheblich überschritten werden.“

Für zahlreiche Aufgaben können sich die Kommunen zwar auf das sogenannte Konnexitätsprinzip berufen, das vereinfacht ausgedrückt besagt: „Wer bestellt, bezahlt“. Übertrgt das Land den Kommunen aufgaben, muss auch das Land mit entsprechenden Mitteln geradestehen. Aber die Berechnungen dafür sind inzwischen vielfach Makulatur. „Betriebs- oder Investitionskosten wurden häufig viel zu niedrig angesetzt“, sagt Ruthemeyer. Bei der Rückkehr von G8 zu G9 etwa habe das Land für die zusätzlich nötigen Räume Mittel zur Verfügung gestellt. „Da sagen uns die Kämmerer schon jetzt: ,Mit dem, was da ursprünglich berechnet wurde, komme ich vorne und hinten nicht mehr hin.‘“

Zudem richtet sich die Kommunen auf steigenden Tarife für das Personal im öffentlichen Dienst ein. Der Tarifvertrag im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen läuft im Dezember aus. Dann werden die Karten neu gemischt. Die Abschlüsse dürften deutlich nach oben gehen. „Verständlicherweise angesichts der Inflation“, sagt auch Ruthemeyer. „Für den Haushalt der Kommune bringt das aber erhebliche Zusatzkosten mit sich, von denen noch niemand weiß, wie man das auffangen soll.“

Zudem entwickelt sich außerdem eine sichere Einkommensquelle der Vergangenheit zum Problem: die Stadtwerke. Die müssen jetzt für Gas ein Vielfaches bezahlen. „Bis vor kurzem waren das kerngesunde kommunale Unternehmen, deren Gewinne den kommunalen Haushalten zugutekamen. Diese Stütze bricht jetzt in vielen Kommunen weg, erste Stadtwerke rufen um Hilfe“, sagt der Kommunalvertreter. Bund und Land müssten für sie jetzt genauso einen Rettungsschirm aufspannen wie für Uniper und andere Großunternehmen. Die Stadtwerke seien als Nahversorger unverzichtbar.

Massive finanzielle Zusatzbelastungen gibt es zudem im Bereich der Krankenhäuser. „Soweit sie kommunal getragen sind oder mit kommunalen Bürgschaften abgesichert sind, reißt das weitere, gewaltige Lücken.“ Und dann kommen noch erhebliche finanzielle Belastungen durch die steigende Zahl von Geflüchteten aus der Ukraine und anderen Ländern hinzu. Die Kosten für Unterbringung und Versorgung gehen in einer Kommune schnell in die Millionen. „Und ich fürchte, im Herbst und Winter wird sich die Situation weiter verschärfen“, sagt der CDU-Politiker.

Hinzu kommen Entwicklungen, die mit der Krise nichts zu tun haben, aber in vielen Kommunen gigantisch drücken: Durch die neue Rechtsprechung zur Kalkulation von Abwassergebühren müssen die Kommunen ihre Berechnungen anpassen, verlieren aber in der Regel an Liquidität. Ähnliches droht beim Wegfall der Straßenausbaubeiträge. Die Folge sind Millionendefizite in den Haushalten.

„Man muss sich dabei immer klar machen, dass damit noch kein Cent in die großen Transformationsprojekte wie den Klimaschutz, die Mobilitätswende oder den offenen Ganztag geflossen ist“, sagt Ruthemeyer. Und neues Ungemach bescherte die EZB am vergangenen Donnerstag den Kommunen, indem sie den Leitzins gerade erst weiter erhöhte und die Finanzierungsbedingungen dadurch weiter verschärfte. „Ich gehe davon aus, dass uns noch harte Diskussionen ins Haus stehen“, prophezeit Ruthemeyer. „Am Ende führt kein Weg daran vorbei, dass die Kommunen eine deutlich bessere finanzielle Grundausstattung brauchen, im Kern einen größeren Anteil an den Steuereinnahmen.“

Dass sich dieser Wunsch erfüllt, ist jedoch höchst unwahrscheinlich. Vielmehr hatte Ministerin Scharrenbach für die Kommunen bei Vorlage der Eckpunkte einen Tipp parat: „Angesichts großer Unsicherheiten wie der weiteren Entwicklung der Inflation und der Zinsen, möglichen steuerlichen Entlastungspaketen für Bürger und Unternehmen, den Auswirkungen des Ukraine-Krieges, nachhaltig gestörte Lieferketten sowie weiterer Entwicklungen beim Mega-Thema Energie, wird den Kommunen und der Kommunalpolitik empfohlen, etwaige höhere Zuweisungen aus der Gemeindefinanzierung 2023 auf die Seite zu legen und damit im eigenen kommunalen Haushalt Vorsorge zu treffen.” Dieser Rat gehe an der Realität der Kommunen vorbei, sagt Ruthemeyer. „Wir haben derart massive Zusatzausgaben, dass die Zuwächse schon wieder mehrfach aufgezehrt sind.“

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