Hannelore Kraft gerät in die Defensive Die Frau, die sich nicht traut

Lange Zeit konnte sich Hannelore Kraft als klug taktierende Siegerin fühlen. Im Machtpoker in NRW hielt sie alle Trümpfe in der Hand. Nach ihrer Entscheidung für den Verbleib in der Opposition schlägt nun die Kritik über ihr zusammen. Selbst der erklärte Partner, die Grünen, spart nicht mit scharfen Worten. Tenor: Kraft ist eine Frau, die sich nicht traut.

"Typisch" - Leser zum Machtpoker in NRW
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Foto: ddp

Mehrere Optionen hatte die Chefin der NRW-SPD zum Jonglieren auf der Hand. Zeitweise sah es so aus, als könne sie in den Gesprächen über die Regierungsbildung für Düsseldorf die anderen Parteien gegeneinander ausspielen und damit möglichst viel für die Sozialdemokraten heraushandeln. Gegenüber der CDU hielt sie die Ampel mit Grünen und FDP in der Hinterhand und umgekehrt.

Nun bleibt ein klarer Machtwechsel aus. Das bevölkerungsreichste Land findet sich im politisch Ungefähren wieder. Aus der Opposition heraus will Kraft Veränderungen anstreben, die Regierung Rüttgers bleibt geschäftsführend im Amt.

Nur als letztes Drohmittel bleibt ihr die Minderheitsregierung mit den Grünen übrig. Die Karte will sie erst ziehen, wenn es beispielsweise gelte, im Bundesrat gegen Pläne von Schwarz-Gelb Position zu beziehen, bekräftigte Kraft am Mittwoch gegenüber dem Fernsehsender N24 ihre Position. Denn stimmberechtigt bleibt die Regierung Rüttgers dort auch, wenn sie im Düsseldorfer Landtag keine Mehrheit hat.

Diese Haltung bringt Kraft nun jede Menge Ärger ein.

Die Grünen Zu ihren schärfsten Kritikern zählt ausgerechnet der erklärte Lieblingspartner: Die Grünen werfen ihr im Kern ein demokratiefeindliches Verhalten vor. Von Kraft zeichnen sie ein Bild von einer Frau, die sich nicht traut. Kraft — die Verweigerin. Wenn sie das Wagnis einer rot-grünen Minderheitsregierung scheut, müsse die SPD eben in eine Große Koalition mit der CDU gehen. Was sich in den letzten Tagen abspiele, sei ein "Förderprogramm für Politikverdrossenheit", sagte die Grünen-Politikerin Sylvia Löhrmann.

Die SPD Hinter vorgehaltener Hand rätseln auch SPD-Abgeordnete. Kritiker in der Fraktion gaben im Gespräch mit unserer Redaktion zu bedenken, der Kurs sei "riskant." "Wir planen ein Übergangsszenario, von dem keiner weiß, wie es für uns ausgeht", sagt ein Abgeordneter. Sollte sich die SPD-Chefin angesichts anstehender Bundesrats-Entscheidungen dazu gedrängt sehen, eine rot-grüne Minderheitsregierung zu bilden, so werde diese nicht von langer Dauer sein. "Spätestens bei der Aufstellung des Haushalts würde keine ausreichende Mehrheit zustande kommen", so eine Abgeordnete. "Dann würde Hannelore Kraft als eine gescheiterte Regierungschefin in den Wahlkampf gehen." Es sei fatal, wenn der Eindruck entstehe, die SPD habe sich auf ein "Gewürge" eingelassen.

Die Presse Auch in den deutschen Medien kommt Hannelore Kraft mit ihrer Taktik schlecht weg. Die sonst eigentlich der SPD aufgeschlossen gegenüberstehende Süddeutsche Zeitung hält ihr vor, ein der SPD unwürdiges Spiel zu betreiben. Kraft sei geradezu besessen von der Idee, Jürgen Rüttgers aus dem Amt zu drängen. Das bestärke bei vielen den Eindruck, "dass die im Landtag nur ihre Spielchen treiben." Der Berliner Tagesspiegel erkennt eine "Pervertierung der Demokratie" und der Bonner Generalanzeiger fragt hintersinnig: "Was wäre von einem Autofahrer zu halten, der sich an einer Weggabelung weigert, das Fahrzeug nach rechts oder nach links zu lenken und stattdessen lieber auf die Bremse tritt?"

Die Wähler Noch liegen keine repräsentativen Umfragen vor, die die Unkenrufe der Grünen und der Presse stützen würden. Doch gehört nicht sonderlich Wagemut dazu, angesichts des Düsseldorfer Hickhacks eine wachsende Politikverdrossenheit vorauszusagen. Das belegt allein ein Blick in die Kommentare unserer Leser: "Die Gespräche mit der Linken und auch mit der CDU waren doch nur eine Farce", schimpft einer, ein anderer empört sich über den "ekelhaften Machtpoker."

Fazit Kraft ist nicht zu beneiden. Das machtpolitische Dilemma der SPD hat sie in Geiselhaft genommen. Ohne die Linke reicht es nicht für eigene Mehrheiten, mit der Linken droht ein Aufstand in der eigenen Partei. Auch die andere Machtoptionen, die Große Koalition, für die die CDU die Tür nach wie vor offen hält, kann sie sich aus partei-internen Gründen nicht erlauben. Zu groß sind die Widerstände bei den Genossen im Land. Wie auch immer sich die frühere Unternehmensberaterin in den kommenden Monaten entscheidet — es wird die Partei in weitere Turbulenzen stürzen. Am kommenden Dienstag wollen SPD und Grüne im Landtag über das weitere Vorgehen beraten.

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