Weltfrauentag 2021 „Es ist Zeit: Mehr Gerechtigkeit, mehr Gleichstellung“

Meinung · Die Hälfte der Bevölkerung sind Frauen, sie sollten auch die Hälfte der Macht haben. Anja Weber, Vorsitzende DGB NRW, und Mona Neubaur, Vorsitzende Grüne NRW, sagen in einem Gastbeitrag, was sich ändern muss – bei Bezahlung, Care-Arbeit und Chancengleichheit.

 Der 8. März ist der Internationale Weltfrauentag und wurde zum ersten Mal 1921 begangen.

Der 8. März ist der Internationale Weltfrauentag und wurde zum ersten Mal 1921 begangen.

Foto: dpa/Christian Charisius

Wie gut ist es um eine Demokratie bestellt? Das lässt sich auch an ihrem Umgang mit Frauen ablesen, wie weit die gleiche Anerkennung von Frauen und Männern gediehen ist. Ein Blick zurück zeigt: Hier wurde schon viel erreicht. Im 19. und 20. Jahrhundert wurde das Wahlrecht und die gesetzliche Gleichstellung der Frauen erkämpft, nicht zuletzt durch starke Wegbereiterinnen wie Olympe de Gouges, Louise Dittmar oder Rosa Luxemburg. Jetzt gilt es, einen wichtigen Schritt weiter zu gehen: Die Hälfte der Bevölkerung sind Frauen, sie sollten auch die Hälfte der Macht haben. Damit das gelingt, müssen Arbeiterbewegung und bürgerliche Frauenbewegung eine starke Einheit bilden. Für eine echte Gleichstellung der Frau.

Die Corona-Krise hat wie unter einem Brennglas gezeigt, dass wir hier noch lange nicht am Ziel sind: Frauen halten den Laden am Laufen – im Job und zu Hause. Und trotzdem ziehen sie häufig den Kürzeren. Es sind in dieser beispiellosen Krise erneut überproportional Frauen davon bedroht, als wirtschaftliche und soziale Verliererinnen hervorzugehen. Vor allem sie arbeiten in unterbezahlten Berufen, die zugleich systemrelevant sind. Im Lebensmitteleinzelhandel, Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Kindergärten oder Vorschulen. Ohnehin arbeitet fast jede dritte abhängig beschäftigte Frau in NRW zu einem Niedriglohn – also unter 11,21 Euro die Stunde. Kommt jetzt noch Kurzarbeit hinzu, führt das häufig direkt ins Jobcenter. Gleichzeitig führt die Schließung von Schulen, Betreuungseinrichtungen und Pflegediensten dazu, dass über Nacht die alte Arbeitsteilung wieder herrscht: Frauen bleiben wieder mehr zu Hause, als sie es bisher sowieso schon taten. Sie kümmern sich um Kinder und Küche – und die Männer sich weiterhin mehr oder weniger um ihre Karriere.

Dieses Phänomen wurde durch die Krise verstärkt, ist aber nicht neu. 2019 verwendeten Frauen täglich 52 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit als Männer. Bei Paaren mit Kindern lag diese Lücke bei 83 Prozent. Sind wir auf dem Weg zu einer entsetzlichen Retraditionalisierung? Mehr Macht für Frauen sieht auf jeden Fall anders aus.

 Mona Neubaur (Archivbild).

Mona Neubaur (Archivbild).

Foto: dpa/NRW-Grüne

Die Corona-Krise ist auch Brandbeschleuniger einer weiteren, ohnehin existierenden eklatanten Ungerechtigkeit: Die Ungleichheit auf der Gehaltsabrechnung, die dringend beendet werden muss. Wer dabei Geld und Macht nicht als Einheit sieht, ist auf dem Holzweg, denn Geld bedeutet Einfluss. Deshalb brauchen wir gleichen Lohn für gleiche Arbeit, damit diese unsägliche Diskriminierung endlich ein Ende hat. Wenn Frauen durchschnittlich rund 19 Prozent weniger verdienen als Männer, ist das ein Skandal. Minijobs, Teilzeit und schlechter bezahlte Arbeit sorgen in vielen Fällen dafür, dass der Gender Pay Gap weiterhin ein brandaktuelles Thema bleibt. Eine Möglichkeit, diesen effektiv einzudämmen, sind Tarifverträge. Durch sie fällt die Entgeltlücke zwischen Frauen und Männern deutlich kleiner aus. Dazu bringen sie höhere Gehälter, Sonderleistungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld und bessere Arbeitszeitregelungen.

Gerade letzteres ist dabei ein entscheidender Schlüssel auf dem Weg zu mehr Geschlechter-Gerechtigkeit, denn wir brauchen dringend Arbeitszeiten, die zum Leben passen. Hier gibt es bereits gute Vorreiter, wo sich im Rahmen von Tarifverträgen auf kluge Modelle geeinigt wurde. Das muss Schule machen, denn bei der Arbeitszeit ist ein Weggucken keine Option. In der „neuen Normalität“ kann Homeoffice die Regel und stundenlange Präsenzsitzungen und Veranstaltungen zu Ausnahmen werden. Anderes Arbeiten mit mehr Flexibilität und neuen Arbeitszeitmodellen, die die Vereinbarkeit von Sorge-Arbeit und Beruf erleichtern, stellt mehr Chancengleichheit her. Und neben konkreten Meilensteinen, die Frauen zu mehr Macht und damit Gleichberechtigung verhelfen, brauchen wir dringend auch eine andere Kultur: Wenn man bei uns Karriere machen will, muss man viele Stunden da sein. In Skandinavien gilt: wenn man um 17 Uhr nicht zu Hause ist, hat man seine Arbeit nicht gut organisiert. Auch als Führungskraft! Das sollte zu Denken geben.

 Anja Weber (Archivbild).

Anja Weber (Archivbild).

Foto: dpa/dpa, mg wst

Macht ist aber nicht nur monetär spürbar, sondern hängt ganz entschieden von der beruflichen Position ab. Hier ist der Nachholbedarf der deutschen Wirtschaft in Sachen Geschlechtergerechtigkeit immens – auch und gerade im internationalen Vergleich. Nur 28 der insgesamt 193 Dax-Vorstände sind Frauen. Das sind 15 Prozent. Männlich, 55 Jahre, deutsche Herkunft und lange Jahre im Unternehmen – so gleichförmig zeigen sich deutsche Chefetagen. Dabei lohnt sich Vielfalt, und das nicht nur sozial, sondern auch wirtschaftlich. Je diverser, desto erfolgreicher – wie Studien belegen. Unternehmen mit hoher Geschlechtervielfalt haben demnach eine um 25 Prozent und damit signifikant größere Wahrscheinlichkeit, überdurchschnittlich profitabel zu sein. Vielfalt hat einen Mehrwert, gemischte Teams sind besser, weil sie besser sind im Lösen von Problemen.

„Frauen, wenn wir heute nichts tun, leben wir morgen wie vorgestern.“ Dieser Satz von Annemirl Bauer (Malerin und Regimekritikerin in der DDR) ist immer noch ein Dauerbrenner. Neben ökonomischen müssen auch ökologische, soziale und gesellschaftliche Entwicklungen sowie Sorgearbeit bei unserer Wohlstandsmessung zu Grunde gelegt werden. Wohlstand ist mehr als Konsum, nämlich auch Freizeit, Bildung, Familie, Gemeinschaft und Gesundheit. Wir brauchen Strategien, wie Corona in der Geschlechterfrage zum Game-Changer werden kann. Die Mängel sind durch den weltweiten Shutdown so offensichtlich, da kann es kein weiter wie bisher geben.

Weltfrauentag 2021: So äußern sich prominente Feministinnen
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So äußern sich prominente Feministinnen zum Weltfrauentag

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Foto: Mirza Odabaşı

Und auch für unsere Demokratie sind Frauenrechte ein kostbares Gut, das der Widerstandsfähigkeit bedarf. Mit dem Anstieg von Hetze im Netz, die sich oft genug gegen die Demokratie, ihre Institutionen und ihre VertreterInnen aus Zivilgesellschaft, Parteien und Regierung richtet, gehen verbale Entgleisungen gegen Frauen einher. Sie werden oft genug nicht nur wegen ihrer Positionen angegriffen, sondern auch, weil sie Frauen sind, mit sexualisierter Gewalt bedroht.

Gleichberechtigung fällt weder vom Himmel noch ist sie gegeben, auch nicht mit einer Quote. Aber wir brauchen sie. Denn sie ist zwar nicht das Allheilmittel, aber sie kann eines von den Instrumenten sein, die zur strukturellen Gleichberechtigung der Geschlechter beitragen. Es geht um die Verteilung von Macht, und auch bei uns geben nur die Wenigsten freiwillig Macht ab. Es sind die Frauen, die sich zusammentun und sich gegenseitig stärken und stützen. Es sind junge Frauen, die mit einer bewundernswerten Selbstverständlichkeit Diskriminierung nicht akzeptieren. Und es bildet sich echter Austausch mit den „älteren“ über die Kämpfe der Vergangenheit und die der Gegenwart und wo sie zusammenhängen und wo es Unterschiede gibt. Für die Rechte aller Frauen in ihrer Unterschiedlichkeit zu streiten, ist das gemeinsame Ziel. Und die Zahl der Männer, die unsere gleichberechtigte, emanzipierte Kultur besonders schätzen, wächst erfreulicherweise. Auch hier speziell unter den jungen Männern.

Gleichberechtigung heißt nicht nur gleiche Rechte für Frauen und Männer. Es braucht vor allem gleiche Chancen, damit die Macht in Zukunft wirklich hälftig verteilt ist. Und Chancengleichheit heißt, Ungleiches auch ungleich zu behandeln! Jetzt, im 21. Jahrhundert, müssen wir die Errungenschaften vieler starker Frauen fortführen und weiterentwickeln. Wir wollen ein neues Miteinander, anders arbeiten und anders leben. Dann kommen wir dahin, was schon längst im Duden steht: Macht ist feminin!

Der Gastbeitrag stammt von Anja Weber, Vorsitzende DGB NRW, und Mona Neubaur, Vorsitzende Grüne NRW.

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