Interview mit der DGB-Chefin „Das Geld fürs Braunkohlerevier wird zweckentfremdet“

Düsseldorf · Die DGB-Chefin von NRW, Anja Weber, kritisiert Fehler in der Förderpolitik. Mittel, die für neue Arbeitsplätze für die beschäftigten der Braunkohle vorgesehen seien, würden für Bahn-Projekte wie die Kölner Westspange ausgegeben. Das sei grundfalsch, kritisiert die Gewerkschafterin.

 DGB-Chefin Anja Weber im Düsseldorfer DGB-Haus.

DGB-Chefin Anja Weber im Düsseldorfer DGB-Haus.

Foto: dpa/dpa, mg wst

Frau Weber, beim Thema Braun­kohle ist der Eindruck, dass genug Geld für den Strukturwandel da ist.

Weber Den Eindruck hatten wir auch immer. Das hat sich mit der Aufsichtsratssitzung der Zukunftsagentur Rheinisches Revier im Dezember aber geändert. Da hat die Landesregierung aufgezeigt, wofür sie das Geld einplant: Und da waren wir doch etwas erstaunt, dass vor allem Infrastrukturprojekte im Vordergrund stehen.

Was genau meinen Sie?

Weber Die Westspange rund um Köln, fraglos ein wichtiges Schienenverkehrsprojekt für die gesamte Republik. Aber muss das ausgerechnet mit Mitteln gestemmt werden, die für neue Arbeitsplätze im Braunkohlerevier vorgesehen sind? Ich denke nicht. Das wäre eher eine Aufgabe, die der Bund zu Schultern hätte.

Wie viel Prozent der Mittel, würde denn die Westspange verschlingen?

Weber Von den 14,8 Milliarden würde allein die Westpange 2,6 Milliarden Euro verschlingen. Hinzu kommen weitere Verkehrsprojekte, die sich auf insgesamt 40 Prozent summieren. Das konterkariert das gesamte Vorhaben.

Stellen Sie die Westspange infrage?

Weber Nein, sie muss dringend umgesetzt werden. Aber es ist grundfalsch, dafür Braunkohlemittel zu nehmen. Und es gibt mehr Beispiele.

Welche wären das?

Weber Die Landesregierung legt einen zu großen Fokus auf Forschungsprojekte. Die sollen dann in der Region angesiedelt werden. Auch das ist grundsätzlich völlig in Ordnung. Aber geht einmal mehr an dem Sachzweck der Strukturmittel vorbei. Sie können keine Menschen, die vorher in Braunkohletagebau gearbeitet haben, als Ingenieure in Forschungseinrichtung einsetzen. Das ist illusorisch.

Sie sind da in einer schwierigen Situation. Forschungsprojekte sind dringend nötig...

Weber ...Das bestreiten wir auch gar nicht. Aber ich habe den Eindruck, dass viele Transformationsprojekte des Landes plötzlich mit Mitteln gestemmt werden sollen, die für den Braunkohletagebau benötigt werden. Natürlich müssen wir bei der Digitalisierung vorankommen; natürlich müssen wir Meter bei der Dekarbonisierung machen. Aber diese leichtfertige Zweckentfremdung muss dringend aufhören. Die Landesregierung scheint sich dort einen schlanken Fuß zu machen und ihr Schuldenproblem mithilfe der Braunkohlemittel lösen zu wollen. Das tragen wir so nicht mit.

Was wären sinnvolle Projekte?

Weber Ich würde mir wünschen, dass wir endlich einmal vom Land einen Überblick bekommen, über welche wegbrechenden Arbeitsplätzen wir sprechen. Bislang ist immer nur die diffuse Zahl von 15.000 direkt und indirekt betroffenen Menschen bekannt. Aber wie viele Reinigungskräfte sind dabei? Wie viele Tagebauingenieure, wie viele Ungelernte, Anlagenelektroniker, Industriereiniger und Logistiker? Dann müssten analog vergleichbare Arbeitsplätze entstehen. Und wo das nicht möglich ist, müssen wir massiv Geld in Weiterbildungsmaßnahmen stecken.

Gibt es denn schon Leuchtturmprojekte, die in diese Richtung gehen?

Weber Ein positives Beispiel ist der Food Campus in Elsdorf. Dort werden 600 Arbeitsplätze geschaffen. Bleiben noch 14.400 übrig.

Es muss doch mehr als ein Projekt geben.

Weber Ja, gibt es auch. Aber wenn ich da mal nachhaken, wie weit die Projekte gediehen sind, sagt mir das NRW-Wirtschaftsministerium, dass diese noch keinen Förderzugang hätten. Sprich: Die Bundesmittel können noch nicht fließen.

Dann ist aber die Landesregierung der falsche Adressat für Ihre Kritik.

Weber Ich erwarte schon vom Land, dass es beim Bundeswirtschaftsministerium Druck macht. Herr Altmaier hat ja dasselbe Parteibuch wie der Ministerpräsident und CDU-Chef. Es wäre doch fatal, wenn der Eindruck entstünde, dass die Regierung Laschet ein derartiges Jahrhundertprojekt nur stiefmütterlich betreut.

Viele Gemeinden würden gerne ehemalige RWE-Flächen für Gewerbegebiete kaufen. Doch sie haben iafür schlicht kein Geld.

Weber Ja, auch da fehlt mir ein entschieden das Handeln der Landesregierung. Sie muss jetzt genau diese Kommunen unterstützen, damit die nötigen Flächen auch gekauft werden können. Es kann ja nicht sein, dass RWE darüber entscheidet, wie der Strukturwandel ausfällt. Das soll schon in der Verantwortung der Kommune bleiben. An diesen Punkten muss jetzt endlich mal Dampf gemacht werden.

Aber woran liegt es, dass da kein Dampf gemacht wird?

Weber Der Prozess in Gänze ist zu behäbig. Es ist schon richtig, dass das Wirtschaftsministerium zusammen mit der Zukunftsagentur Rheinisches Revier die Fäden in der Hand behält. Aber das muss stringenter werden. Wir erwarten jetzt von Wirtschaftsminister Pinkwart einen klaren Fahrplan mit genau hinterlegten Daten. Die Bürgermeister sind in Alarmstimmung, die Beschäftigten bangen um ihre Zukunft. Es ist unverantwortlich, dass man die so im Regen stehen lässt.

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