Krankheitsbedingte Ausfälle Corona bringt Gesundheitsämter in NRW wieder ans Limit

Exklusiv | Düsseldorf · Auch die Behörden zur Überwachung der Infektion sind krankheitsbedingt extrem eng besetzt. Hinzu kommen auslaufende Helfer-Programme und aus Sicht der Kreise überflüssige Erhebungen von Einzelfällen.

Corona NRW:  So hat sich das Virus seit Beginn ausgebreitet - 2020 bis 2023
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Foto: dpa/Jens Büttner

Angesichts der hohen Zahl an Corona-Infektionen geraten auch die Gesundheitsämter der Kreise und kreisfreien Städte zunehmend an ihre Belastungsgrenzen. Beim NRW-Gesundheitsministerium hieß es zwar, nach zweieinhalb Jahren verfügten die zuständigen Behörden über umfassende Erfahrungen im Pandemiemangement, so dass gerade für eine Welle mit den aktuell vorherrschenden und in ihren Eigenschaften weitgehend bekannten Virusvarianten die zuständigen Stellen fachlich in jedem Fall gut vorbereitet seien. Eine Sprecherin fügte allerdings hinzu, limitierender Faktor werde wie auch in den Vorjahren das Personal sein, dass in der gesamten öffentlichen Verwaltung gerade angesichts der Häufung von krisenbedingten Herausforderungen wie der Flüchtlingsversorgung, Energieengpässen sowie der Verwaltung zusätzlicher Sozialleistungen  erheblich belastetet seien. 

„Wir verzeichnen derzeit einen Anstieg der Erkrankungen, nicht zuletzt auch bei den Beschäftigten der Gesundheitsämter selbst – das führt automatisch zu Mehrbelastungen“, sagte Kai Zentara, Beigeordneter für Gesundheit und Soziales beim Landkreistag NRW, unserer Redaktion. Anfragen an die Bundeswehr gebe es nach Kenntnisstand des Kommunalverbands derzeit noch nicht. „Bedenklich ist aber, dass die einschlägigen Unterstützungsprogramme von Bund und Land – beispielsweise für die sogenannten Containment-Scouts auslaufen. Diese Helfer sind dann einfach weg und auch kaum zur Rückkehr zu bewegen.“

Noch sei die Lage angespannt, aber beherrschbar. „Wir gehen jedoch davon aus, dass es sich um die Ruhe vor dem Sturm handelt.“ Insofern sei es besonders ärgerlich, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und das Robert-Koch-Institut (RKI) hartnäckig an der Meldebürokratie festhalten. „Wir müssen die Kapazitäten der Kreise auf das wirklich Notwendige konzentrieren“, forderte Zentara. In den Gesundheitsämtern sei eine große Anzahl von Mitarbeitern damit beschäftigt, die Corona-Statistik zu pflegen. „In der Spitze waren es in NRW schätzungsweise mehr als 1000 Beschäftigte“, beziffert der Beigeordnete den Bedarf. Jeder einzelne Corona- sowie Verdachtsfall sei detailliert an das RKI zu melden, obwohl wissenschaftliches und politisches Einvernehmen herrscht, dass insbesondere die sogenannte Hospitalisierungsinzidenz den entscheidenden Maßstab für Corona-Maßnahmen bilden solle und die Gesamtzahl der Corona-Fälle wissenschaftlich belastbar – wie bei anderen Infektionskrankheiten auch – durch Hochrechnungen aus gezielten Stichproben ermittelt werden könne.

„Dieser Unsinn muss schnellstmöglich aufhören“, forderte Zentara. „Wir befinden uns in einer Situation, in der die Kreisbehörden durch die Gleichzeitigkeit mehrerer Krisen ohnehin sehr stark belastet sind. Auch die einrichtungsbezogene Impfpflicht bündelt unnötig Kapazitäten. Im gleichen Moment haben wir nicht genügend Personal, um wirklich wichtige Tätigkeiten – wie etwa Schuleingangsuntersuchungen oder die Betreuung unbegleiteter, minderjähriger Flüchtlinge – ausreichend zu gewährleisten.“ Er wünsche sich mehr Realismus vom Bund. „Die nächste Änderung des Infektionsschutzgesetzes sollte dringend genutzt werden, um die Meldepflichten abzuschaffen.“

Derweilen gewinnt die Diskussion über die Wiedereinführung der Maskenpflicht in Innenräumen an Fahrt. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß, sagte: „Wir werden schon nächste Woche den Jahreshöchststand erreichen. Zusätzlich nehmen andere Atemwegserkrankungen zu.“ Die Bundesländer seien gefordert, die Instrumente des Infektionsschutzgesetzes zu nutzen, und vor allem die Maskenpflicht in Innenräumen, wenn kein Abstand gehalten werden könne. „Wenn wir nicht gegensteuern, werden zunehmend Leistungen verschoben und Stationen und Notfallambulanzen werden sich zeitweise abmelden müssen, mit weitreichenden Folgen für Menschen mit anderen Krankheitsbildern als Corona“, sagte der DKG-Chef.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) machte deutlich, dass weitergehende Vorgaben im Ermessen der Länder liegen: „Wir wollen keine Panik schüren, wir wollen die Länder auch nicht gängeln.“ Es müsse aber schon darauf hingewiesen werden: „Irgendwann müssen die Länder sich überlegen, wäre es nicht doch besser, die Maskenpflicht einzuführen.“ Wenn sie sich einigen könnten, wann der optimale Zeitpunkt sei, wäre dies natürlich toll.

Soldaten der Bundeswehr helfen derzeit noch nicht wieder bei der Nachverfolgung von Infektionsketten von dem Coronavirus. Doch die Landkreise rufen bereits nach mehr Unterstützung.

Soldaten der Bundeswehr helfen derzeit noch nicht wieder bei der Nachverfolgung von Infektionsketten von dem Coronavirus. Doch die Landkreise rufen bereits nach mehr Unterstützung.

Foto: dpa/Julian Stratenschulte

Nordrhein-Westfalens Gesundheitsministerium steht bislang noch auf dem Standpunkt, dass eine Verschärfung der Corona-Regeln unnötig sei. Stattdessen hat Minister Karl-Josef Laumann (CDU) die Menschen zum Impfen aufgerufen. Dabei sollen die Arztpraxen nach Ansicht des Ministeriums durchaus großzügig bei der Abgabe des Impfstoffes sein: Auffrischungsimpfung aufgrund individueller Begebenheiten könnten auch sinnvoll für Personen sein, für die die Ständigen Impfkommission (Stiko) keine explizite Empfehlung für ein zweite Auffrischungsimpfung ausgesprochen habe, sagte eine Sprecherin. „Von der Stiko-Empfehlung abweichende Indikationen sollte unter Berücksichtigung des Gesundheitszustands und der Gefährdung individuell vor Ort durch den behandelnden Arzt getroffen werden.“

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