Zusammenhang mit Schüssen in Essen wird geprüft 35-Jähriger „dringend tatverdächtig“ für Anschlagsplanung auf Synagoge

Update | Düsseldorf · Ein 35-jähriger Mann wird verdächtigt, einen Brandanschlag auf eine Synagoge in Dortmund geplant und in der Nacht zum 18. November einen weiteren im Umfeld der Synagoge in Bochum verübt zu haben. Innenminister Herbert Reul (CDU) sprach von einem möglichen Zusammenhang mit den Schüssen in Essen.

Unbekannte schießen auf Tür zu Rabbinerhaus in Essen​
7 Bilder

Unbekannte schießen auf Tür zu Rabbinerhaus in Essen

7 Bilder
Foto: dpa/Justin Brosch

Noch in der Nacht vom 17. auf den 18. November – der Nacht, in der die Schüsse auf die Alte Synagoge in Essen fielen – wurde ein 35-jähriger Mann festgenommen. Das teilte die Generalstaatsanwaltschaft in Düsseldorf mit. Er wird jedoch nicht wegen der Tat in Essen beschuldigt.

Der Mann soll am späten Abend des 17. November einen Molotowcocktail auf die Hildegardis-Schule in Bochum geschleudert haben. Dadurch entstanden Schäden an der Fassade. Das Schulgelände grenzt unmittelbar an den rückwärtigen Teil der Bochumer Synagoge.  

Außerdem sei der Mann „dringend verdächtig, Mitte November 2022 versucht zu haben, einen Zeugen als Mittäter für einen Brandanschlag auf die Synagoge in Dortmund zu gewinnen“, so Oberstaatsanwalt Holger Heming in der Mitteilung. „Der Zeuge lehnte dies ab und offenbarte sich der Polizei. Die geplante Tat ist nicht ausgeführt worden.“

Der Beschuldigte befindet sich auf Haftbefehl der Staatsanwaltschaft Dortmund in Untersuchungshaft. „Gegenstand der Ermittlungen ist insbesondere, ob ein Zusammenhang zu dem Tatgeschehen in Essen besteht“, so Hemig.

Diese neuen Ermittlungsergebnisse rückten die Tat von Essen noch mal in ein neues Licht, sagte Landesinnenminister Herbert Reul (CDU), als er am Freitagvormittag die Politik im Innenausschuss des Landtages unterrichtete. „Wir reden nicht nur über die Alte Synagoge in Essen, an der sich in der Nacht vom 17. auf den 18. November etwas zugetragen hat“, stellte er fest. „Womöglich gibt es zwischen diesen Taten in dieser Nacht einen Zusammenhang.“

Bislang gibt es nur den besagten Verdächtigen: „Ob dahinter eine Gruppe steht oder nicht, kann ich Ihnen nicht beantworten“, sagte Reul. „Das weiß kein Mensch im Moment.“ Die Nachforschungen dazu liefen, die Polizeibehörden in Essen und in Dortmund arbeiten an der Aufklärung.

Der Vorsitzenden des Landesverbands der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein, Oded Horowitz, zeigte sich erschüttert über die neue Entwicklung. „Ich bin entsetzt. Die schlimmsten Befürchtungen werden zunehmend wahr“, sagte er unserer Redaktion. „Ich weiß gar nicht, wie man damit umgehen soll. Es bedeutet eine ganz neue Bewertung der Sicherheitssituation.“

Man habe angesichts des Geschehens umfangreiche Maßnahmen ergriffen, betonte Innenminster Reul im Innenausschuss. Die Polizeibehörden in Essen und Dortmund hätten jeweils eine besondere „Aufbauorganisation“ eingerichtet und weit über 100 Beamte darin eingesetzt: „Spurensicherung, Experten – das ganz große Besteck.“

Es habe Sitzungen und Abstimmungen auf allen Ebenen gegeben, auch mit den Sicherheitsbehörden im Bund; der Generalbundesanwalt werde ständig über den Ermittlungsstand auf dem Laufenden gehalten. Zugleich habe das Land den Schutz der jüdischen Gemeinden sofort in den Mittelpunkt gestellt. Man habe die Polizistinnen und Polizisten im Objektschutz sensibilisiert, alle Kreispolizeibehörden informiert, die Sicherheitsmaßnahmen an Gebäuden überprüft.

„Aktuell werden insgesamt 68 jüdische Einrichtungen mit Schutzmaßnahmen versehen“, so Reul. Diese habe man bis hin zu einer Bewachung rund um die Uhr verschärft. Dabei gehe es um Synagogen, Friedhöfe, Schulen, Kindergärten, kulturelle Institutionen. Vielerorts habe es vorher schon ein hohes Sicherheitsniveau gegeben.

NRW werde im kommenden Jahr über 20 Millionen Euro für die Sicherheit jüdischer Institutionen bereitstellen. Das Land liege damit deutlich über den bundesweiten Standards. Zugleich räumte Reul ein, dass es oft mühselig und langwierig sei, bauliche Sicherheitsvorkehrungen zu schaffen. Das könne der Fall sein, wenn man es mit historischen Immobilien zu tun habe oder es aus anderen Gründen einfach schwierig sei, die Bauten abzuschirmen.

Im Ausschuss kennzeichnete der Innenminister Antisemitismus als grundlegendes gesellschaftliches Problem. Judenfeindlichkeit gebe es in allen extremistischen Bereichen, und über Verschwörungserzählungen werde sie in die Mitte der Gesellschaft getragen.

In einem wesentlichen Umfang geschieht das über das Internet, erklärte Jürgen Kayser, Chef des Verfassungsschutzes in NRW. „Antisemitismus bildet die Grundlage für nahezu alle Verschwörungserzählungen, die man im Netz findet“, sagte er. Die gleichen alten judenfeindlichen Legenden würden immer wieder neu mit aktuellem Weltgeschehen verwoben: mit der Corona-Pandemie, der Energiekrise, dem Krieg Russlands in der Ukraine. Daneben fänden sich dann Bedrohungen, Beleidigungen und auch Aufrufe zur Gewalt.

„Wir beobachten das natürlich – aber im Rahmen unserer rechtlichen Möglichkeiten“, sagte Kayser. Löschungen seien nicht gut durchzusetzen, und bei der Verfolgung von Straftaten stießen die Sicherheitsbehörden an ihre Grenzen, weil die Täter anonym unterwegs sein, Kommunikation verschlüsselt sei und sich in geschlossenen Gruppen abspiele. „Unsere Möglichkeiten sind da tatsächlich sehr limitiert“, sagte Kayser.

Die Verbreitung der Ideologien in Netz scheine zu einer „gefährlichen Normalisierung“ beizutragen, resümierte die SPD-Politikerin Christina Kampmann. Der FDP-Abgeordnete Marc Lürbke nannte Beispiele für alltäglichen Antisemitismus: Sprüche auf den Schulhöfen, Symbole auf Querdenker-Demos oder Beleidigungen auf offener Straße, und junge Menschen kämen heute online automatisch mit antisemitischen Inhalten in Kontakt. „Das ist das Gift, das einsickert in unsere Gesellschaft.“

 Einschusslöcher sind am Rabbinerhaus bei der Alten Synagoge in Essen auf einer verglasten Tür zu sehen. Die Tat in der vergangenen Woche hat Nordrhein-Westfalen aufgewühlt.

Einschusslöcher sind am Rabbinerhaus bei der Alten Synagoge in Essen auf einer verglasten Tür zu sehen. Die Tat in der vergangenen Woche hat Nordrhein-Westfalen aufgewühlt.

Foto: dpa/Justin Brosch

Allerdings betonte Innenminister Herbert Reul, dass die Zahl der polizeilich erfassten antisemitischen Straftaten seit Jahren auf etwa gleichbleibendem Niveau liege. Im Jahr 2021 habe es mit 437 Fällen einen Ausreißer gegeben, der erklärbar sei. Der Israel-Gaza-Konflikt hatte im vergangenen Jahr zahlreiche Demonstrationen ausgelöst, und es gab eine Vielzahl antisemitischer und anti-israelischer Straftaten. Im laufenden Jahr liege man bei 212 erfassten Delikten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort