Der Fall Anis Amri Ein Behördenversagen mit tödlichen Folgen

Meinung | Düsseldorf · Der NRW-Landtag hat am Donnerstag nach der politischen Verantwortung für das Attentat von Berlin gesucht. Deutlich geworden ist aber nur eins: Die Behörden haben zu wenig getan, um den Berliner Anschlag zu verhindern.

Der Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz am Morgen nach dem Anschlag.

Der Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz am Morgen nach dem Anschlag.

Foto: afp

In einer Demokratie ist die Regierung zur Rechenschaft gegenüber ihren Bürgern verpflichtet. So hat die Öffentlichkeit ein Recht darauf zu erfahren, wer in einer Gefährdungslage seinen Aufgaben nachgekommen ist und wer nicht und deshalb mit Konsequenzen zu rechnen hat. Der richtige Ort dafür ist das Parlament in öffentlicher Sitzung.

Das ist in NRW geschehen. Am Donnerstag legten die Sicherheitsbehörden vor dem Innenausschuss des Landtags Rechenschaft über ihre Erkenntnisse zum mutmaßlichen Massenmörder Anis Amri ab. Leider ist auch nach dem ausführlichen Bericht und der anschließenden Debatte nicht hinreichend klar, wer in diesem Fall richtig gehandelt hat und wer seine Aufgaben nicht erfüllte. Und das, obwohl eine Fülle detaillierter Erkenntnisse zusammengetragen wurde, die die Öffentlichkeit in Erstaunen versetzt — und sie fassungslos macht, warum daraus keine personellen Konsequenzen gezogen werden.

Es wurde zu wenig getan

Deutlich geworden ist nur eins: Die Behörden haben zu wenig getan, um den Anschlag zu verhindern. Obwohl Amri sieben Mal Gegenstand der Gespräche beim Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum (GTAZ) war, obwohl bekannt war, dass er mehrere Identitäten hatte und sich offenbar Sozialleistungen erschlichen hatte, obwohl er nach Zeugenaussagen Anschläge mit Hilfe von Kriegswaffen begehen wollte und im Internet nach Sprengstoffen recherchierte, obwohl er "im Auftrag von Allah töten" und sich mit Mitgliedern des Islamischen Staats treffen wollte, hat ihn die deutsche Justiz aus den Augen verloren. Das nennt man Behördenversagen, für das die Landeskriminalämter von NRW und Berlin sowie die Beteiligten des GTAZ verantwortlich sind.

Braucht man noch mehr Hinweise?

Unverständlich ist auch, dass der Generalstaatsanwalt in Berlin die Telefonüberwachung nach einem halben Jahr abbrach und sie auch nicht mehr aufnahm, als das LKA NRW drei Monate vor dem Anschlag von Tunesien und Marokko informiert wurde, dass Amri IS-Anhänger sei, Kontakt zu IS-Terroristen hatte, sich in Berlin aufhalte und in Deutschland ein "Projekt ausführen wolle". Braucht man noch mehr Hinweise, um Amris Telefon zu überwachen?

Sicher, die Hürden des Gesetzes zur Überwachung und Inhaftierung von Gefährdern sind groß. Allein aufgrund seiner Gesinnung wird in Deutschland niemand eingesperrt. Aber wenn das Gesamtbild aller Behörden ergibt, dass es sich bei einer Person um einen gefährlichen Islamisten handelt, ist es auch nach jetzigem Recht möglich, "zur Abwehr einer besonderen Gefahr" eine Person zu verhaften und abzuschieben. Das alles entbindet die Politik freilich nicht, auch im Straf- und Ausländerrecht erheblich nachzuschärfen.

(kes)
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