NRW nach der Europawahl Die neue Macht an Rhein und Ruhr

Düsseldorf · Die Bürger in Nordrhein-Westfalen haben bei der Europawahl dramatisch anders gewählt als sonst. Gründe dafür gibt es einige. Eine Analyse.

  Menschen stehen bei einer Demonstration für Europa an der Deutzer Brücke.

Menschen stehen bei einer Demonstration für Europa an der Deutzer Brücke.

Foto: dpa/Roberto Pfeil

Für die Sozialdemokraten in NRW ist das Ergebnis der Europawahl ein weiterer Tiefschlag. Noch nie waren sie in ihrem Stammland an Rhein und Ruhr hinter den Grünen nur noch drittstärkste Kraft. Der traditionelle NRW-Bonus der SPD gegenüber dem Bund schmolz dahin. SPD-Landeschef Sebastian Hartmann sprach am Wahlabend von einer veränderten politischen Tektonik der Republik.

In dem NRW-Wahlergebnis kommt neben der Unzufriedenheit mit der Groko zum Ausdruck, dass die SPD ihre Rolle nach der verlorenen Landtagswahl noch immer nicht gefunden hat. Zwar setzen die Sozialdemokraten bei einzelnen Themen wie der Forderung nach einer eigenen landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Akzente. Auch in der Fraktion machten sie der regierenden CDU-/FDP-Landesregierung beim Polizeigesetz und im Fall des Kindesmissbrauchs in Lügde zeitweise das Leben schwer.

Im Klimaschutz aber, dem wahlentscheidenden Thema, wird die SPD als Partei des „Sowohl-als-auch“ wahrgenommen: Ökologie ja, aber nur, wenn dabei keine Arbeitsplätze verloren gehen. Den Ausstieg aus der Braunkohle fassten die Sozialdemokraten denn auch während ihrer Regierungszeit von 2010 bis 2017 nur halbherzig an. Dass die Grünen in dieser Landesregierung mit von der Partie waren, scheint indes vergessen.

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Foto: dpa/Bernd Thissen

Denn: In NRW haben noch nie so viele Menschen grün gewählt wie bei dieser Europawahl. Seit der Landtagswahl 2017, wo die Grünen noch um ihren Einzug ins Parlament bangen mussten, haben die Grünen 1,3 Millionen Wähler hinzugewonnen. Und auch im Vergleich zu ihrem bislang besten Wahlergebnis, der Bundestagswahl 2009, haben die Grünen bei der Europawahl am Wochenende 900.000 Stimmen hinzu gewonnen. Alle Wahlbeobachter sind sich einig, dass die Grünen vor allem als Öko-Partei gepunktet haben.

Offiziell begründet auch die Landesvorsitzende Mona Neubaur den grünen Wahlerfolg in NRW mit der fokussierten Strategie: „Wir haben die Europawahl zur Klimawahl gemacht.“ Hinter vorgehaltener Hand räumen etliche führende NRW-Grüne aber ein, dass die Partei mehr als sonst auch von der offenen Flanke profitiert haben, die sich vor allem CDU und FDP beim Thema Klimaschutz in NRW leisten.

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Foto: Screenshot RP interaktiv

Wahrscheinlich stimmt beides, wie man am Beispiel der Auseinandersetzungen um die Abholzung des Hambacher Forsts in NRW gut studieren konnte. Obwohl die NRW-Grünen selbst 2016 noch einer Leitentscheidung zum NRW-Braunkohle-Tagebau zugestimmt haben, die eine Abholzung des Forsts überhaupt erst ermöglichte, verkauften sie sich zuletzt als unbeugsame Schützer des Waldgebietes und stellten sich an die Seite der Braunkohlegegner. Derweil wirkte die Räumung des Waldes unter der Regie von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU), die eine Rodung vorbereiten sollte, öffentlich wie ein unmittelbarer Angriff der CDU selbst auf den Wald. Dabei wollte die CDU nur die zuvor von rot-grün geschaffene Rechtslage umsetzen.

Auch das schnelle Aus für NRW-Umweltministerin Christina Schulze Föcking hat nicht gerade auf die Öko-Kompetenz der CDU eingezahlt. Die Christdemokratin war erkennbar mit der Führung ihres Ministeriums überfordert. Als Grünen-Fraktionschefin Monika Düker der schwarz-gelben Landesregierung noch in der vergangenen Woche im Plenum des Landtags vorwarf, dass in NRW in den ersten Monaten des laufenden Jahres gerade mal drei neue Windräder entstanden sind und schwarz-gelb die Flächen für Windenergie in NRW halbiert habe, wussten CDU und FDP dem wenig entgegen zu setzen.

Die FDP hat immerhin erkannt, dass ihr bei der aktuellen Themenkarriere Klimaschutz die Felle wegzuschwimmen drohen. Angesichts des enormen Booms der Friday-for-Future-Bewegung haben die Liberalen erkannt, dass sie das Thema zumindest prominenter als bislang besetzen müssen. Als wenig hilfreich wurden in Parteikreisen auch Äußerungen von FDP-Chef Christian Lindner zur mangelnden Professionalität der Klima-Demonstranten empfunden.

Zwar widmete die FDP ihren jüngsten Landesparteitag vor wenigen Wochen sogar dem Klimaschutz. Die Verabredung der Delegierten, das Thema als "eine zentrale Menschheitsaufgabe in diesem Jahrhundert" zu akzeptieren, wirkte im März 2019 allerdings auch nicht mehr besonders innovativ. Hinzu kam, dass die liberalen Vorschläge einer marktorientierten CO2-Vermeidungsstrategie drangen nicht so durch, wie sie es eigentlich verdient hätten.

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