Kunst von Immendorffs Assistentin

Anna Kathrin Kleeberg gehört in den letzten zwei Jahren seines Lebens zum Assistentenkreis des Künstlers Jörg Immendorff. In jener Zeit vernachlässigte sie die eigene kreative Arbeit. Nun feiert sie Erfolge mit mehreren Ausstellungen.

Fünf Jahre sind seit dem Tod von Jörg Immendorff vergangen. Seine Freunde und Wegbegleiter halten die Erinnerung an das Malergenie lebendig. Aber nur wenige Menschen waren ihm in seiner letzten Schaffensphase so nah wie Anna Kathrin Kleeberg. Sie gehörte von 2005 bis zu seinem Todestag am 28. Mai 2007 zum Kreis seiner vier persönlichen Assistenten. Ihre klar definierte Aufgabe: das zu tun, wozu Immendorff selber nicht mehr in der Lage war – die Ideen und Entwürfe in seinem Kopf auf die Leinwand zu bringen,.

Anna Kathrin Kleeberg, 1976 in Chemnitz geboren, hatte in Berlin Bühnen- und Kostümgestaltung studiert und war damals Stipendiatin bei Otmar Alt in Hamm. Bewegungsunfähig und schwer gezeichnet von der Krankheit ALS, nahm der Maler sie auf den Prüfstand. "Bei unserer ersten Begegnung empfand ich ihn als kauzig, aber sympathisch", sagt sie. "Der direkte Augenkontakt mit ihm war mir angenehm, wie ein kurzer Blick in die Seele." Zu ihrer Überraschung ließ er sie langsam durchs Atelier gehen, er selbst wurde im Rollstuhl hinterher geschoben: "Das fand ich erst komisch, bis ich verstand – er wollte schauen, ob eine Person wie ich mit ihrer kleinen Energie in seine Räume passte." Schnell wurden sich die beiden einig. Die junge Künstlerin wusste sehr wohl, worauf sie sich einließ. "Für meine eigene Kreativität war bei Immendorff kein Platz. Sein Konzept für ein Bild stand unverrückbar fest, ohne jeden Kompromiss", resümiert Anna Kathrin Kleeberg. "Wir Assistenten hatten die Rolle der Ausführenden und erbrachten eine Art Dienstleistung. Das muss man akzeptieren oder es sein lassen."

Dennoch profitierte sie von der intensiven Zusammenarbeit mit dem Kunst-Professor. "Vor allem brachte er mir bei, wie man ein Bild aufbaut und die Farben mischt. In krasser Verknappung durchlief ich bei ihm ein zweites Studium. Immendorff war ein harter Lehrer, bisweilen auch ein Tyrann. Ich war ihm ausgeliefert, musste seine Welt aufnehmen und versuchen, sie zu verstehen." Als er spürte, dass ihm nur noch wenig Zeit blieb, wurde der Maler rastlos. Bei der Arbeit im Atelier rauchte er in vier Stunden drei Päckchen Zigaretten. "Ich rauche, also bin ich", kommentiert Anna Kathrin Kleeberg und stellt klar: "Es ging ihm nicht ums Vollenden, nur um den künstlerischen Prozess. Den Augenblick leben, das war wichtig. Hätte er nach einem Abschluss gesucht, hätte er auch ein Werkverzeichnis hinterlassen."

Todesangst habe sie bei ihm nie festgestellt. "Im Gegenteil, man könnte fast sagen, er war cool", erinnert sie sich. "Immendorff schaffte es auf beeindruckende Weise, sein Sterben zu versachlichen." Seinem Ende aber haftete etwas seltsam Mystisches an. "Am Vorabend seines Todes gab es zum ersten Mal nichts mehr zu tun", erzählt Anna Kathrin Kleeberg. "Alle Ideen waren aufgebraucht. So standen wir herum und fragten, was wir machen könnten. Ich räumte das Atelier auf, so perfekt sah es noch nie aus. Er schickte uns heim mit den Worten: "Jetzt seid Ihr dran."

Nie wieder durften die Assistenten das Atelier betreten. Immendorffs Witwe Oda Jaune verwehrte ihnen den Zugang. "Nicht einmal unsere persönlichen Sachen wie Pinsel, Kleidung oder CDs konnten wir abholen", sagt Anna Kathrin Kleeberg. "Aber wenigstens boxten wir durch, dass wir uns von ihm am offenen Sarg verabschieden durften." Danach beschloss sie, in Düsseldorf zu bleiben, war aber zunächst nicht fähig zu malen. "Wer immer nur macht, was er gesagt bekommt, gibt seine Verantwortung ab und schaltet sein eigenes Denken aus. Bei mir dauerte es ein halbes Jahr, bis ich meine Kreativität wieder spürte." Dann aber lief es wie am Schnürchen für Anna Kathrin Kleeberg, die durch die Galerie "Art Unit" in der Leopolstraße vertreten wird. Im Haus der Ärzteschaft ist ihre 17 Meter hohe Installation "Flugmenschen" als Dauerleihgabe zu sehen. Momentan hat sie eine Ausstellung in Berlin (Galerie Baum auf dem Hügel), weitere in Wiesbaden, München und Salzburg folgen noch in diesem Jahr. Was nahm sie mit aus den Jahren bei Immendorff? "Jeden Tag zu leben, als sei es der letzte. Das bleibt."

(RP)
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