Mönchengladbach Verwüstete Seelen und schöne Klänge

Mönchengladbach · Tschaikowskys selten gespielte tragische Oper "Mazeppa" kam beim Premierenpublikum gut an. Helen Malkowskys Inszenierung wagt Eingriffe in die Handlung, doch insgesamt stimmt das Konzept. Die Musik sorgte für Begeisterung.

 Schlussszene der Oper "Mazeppa". Maria (Izabela Matula) findet ihren Kindheitsfreund Andrej (Carsten Süss, li.) tödlich verletzt auf. Der Verbrecher Orlik (Matthias Wippich, re.) hat ihn auf dem Gewissen.

Schlussszene der Oper "Mazeppa". Maria (Izabela Matula) findet ihren Kindheitsfreund Andrej (Carsten Süss, li.) tödlich verletzt auf. Der Verbrecher Orlik (Matthias Wippich, re.) hat ihn auf dem Gewissen.

Foto: Matthias Stutte

Düster ist das Geschehen um die 300-jährige Geschichte des ukrainischen Unabhängigkeitskampfes. Düster tönt es auch aus dem Orchester, das vor dem Schlussakt ein kolossales tonmalerisches Gemälde produziert: Links die Kavallerie der Schweden (Trompeten), die im Bunde mit den Ukrainern gegen die zaristischen Truppen (tiefes Blech) anrennen. Die Schlacht von Poltava wogt im Graben des Theaters zwischen den Gruppen der Niederrheinischen Sinfoniker hin und her. Die Schweden klingen viel schwächer als die Russen. Die gewinnen erwartungsgemäß.

Doch danach ist die Bühne (Kathrin-Susann Brose) nur mehr eine Ruine. Der widersprüchliche Pseudoheld Mazeppa muss fliehen, wird verwundet und stirbt noch im selben Jahr (1709). Er hinterlässt Zerstörung, Wahnsinn, Tod. Keine Figur, die zur Identifizierung einlädt. Das war schon in den Jahren nach der Uraufführung 1884 in Moskau so. Die moralische Janusköpfigkeit der Titelfigur ist wohl der Grund, warum diese Oper viel seltener aufgeführt wird als etwa "Eugen Onegin", die ebenfalls auf einer Dichtung Puschkins fußt.

 Folteropfer hinter Gitterstäben: Hayk Dèinyan singt und spielt den Gutsbesitzer Kotschubej.

Folteropfer hinter Gitterstäben: Hayk Dèinyan singt und spielt den Gutsbesitzer Kotschubej.

Foto: Matthias Stutte

Tschaikowskys Oper "Mazeppa" begnügt sich nicht mit rustikalem Getöse, sondern gewinnt ihre überwältigende Ausstrahlung vielmehr durch die stillen, intimen, poetischen Momente. Von diesem Reichtum der Partitur profitiert das Team, das "Mazeppa" am Theater herausbrachte. Helen Malkowsky will das Stück aus seinem engen historischen Fenster lösen und befragt es auf seine Wirkung heute. Daher schildert sie das Geschehen gleichsam im Rückblick eines politischen Gefangenen unserer Tage. Der grundsolide, wohlklingende Bass Hayk Dèinyan spielt den reichen Gutsbesitzer Kotschubej, den sein Freund Mazeppa einkerkert und im zweiten Akt hinrichten lässt, quasi als politischen Gefangenen nach der "Orangenen Revolution" 2004.

Doch dann hakt es bei den Bezügen, und so begnügt sich die Regie mit Andeutungen: Orange Flatterbänder und Uniformen begegnen aber auch schon im ersten Akt, der bei den Kostümen (Alexandra Tivig) sonst im Historischen verharrt. Da stimmt anfänglich die Freundschaft zwischen dem Kaufmann Kotschubej im pelzbesetzten Bojarenmantel und dem Kosakenhauptmann Mazeppa noch. Doch der ältliche "Hetman" (den alle in der russischen Aufführung nach diesem Sprachgusto "Getman" aussprechen — merke: Ukrainer können "h" sprechen!) nimmt Kotschubej dessen blutjunge Tochter Maria weg. Ein Skandal, der Rache fordert, Denunziation beim Zaren auslöst und sich am Ende zurück gegen die Urheber des Komplotts wendet. Grausam lässt Mazeppa (Johannes Schwärsky) seinen Freund und dessen Vertrauten Iskra (Kairschan Scholdybajew) hinrichten — mit Gift. Als Maria es erfährt, wird sie wahnsinnig.

Ein Stoff, der auf Gefühlsaufwallungen setzt. Diese schneidert der Komponist den Figuren meisterlich auf den Klangleib ihrer Partien. Ausgiebig kann Mazeppa im Duett mit Maria seine großartig in allen Registern überzeugend tragfähige Stimme zur Geltung bringen. Das nimmt für diesen Charakter ein, so dass Malkowsky ihn am Ende selbst als Opfer zeichnet, das nicht persönlich verantwortlich sei für den Tod von Marias Jugendfreund Andrej (Carsten Süss). Diese Eingriffe ins Libretto wären entbehrlich gewesen. Das von Mihkel Kütson auf hohe Transparenz und Klangsinnlichkeit abzielende Dirigat entschädigt dafür. Wobei ein Sonderlob für den famosen Frauenchor fällig ist.

Neben Spitzenbariton Johannes Schwärsky singt sich Izabela Matula (Sopran) in die Herzen der Zuschauer. Als Maria gelingt ihr auch im Spiel weit mehr als Standardniveau: Hilflos krümmt sie sich, handlungsunfähig, auf dem Boden, als sie von ihrer Mutter (hochdramatisch Satik Tumyans Mezzosopran) erfährt, dass Mazeppa ihren Vater hinrichten lässt. Die nach diesem Schlag umnachtete Frau spielt diesen Bruch überaus anrührend. Das Finale gehört Matula und ihrem zarten Wiegenlied ganz allein. — Bravorufe und Ausdauer-Applaus sind der Lohn für den großen Opernabend.

(RP)
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