Theater an der Ruhr Robert Ciulli begeistert mit Eugene O'Neill in Mülheim

Mülheim · Menschen besuchen Tropfsteinhöhlen, um zu genesen, um gute Luft zu atmen - frei von Umweltbelastungen. Im Mülheimer Theater an der Ruhr sitzen die vier Mitglieder der Familie Tyrone in der Tropfsteinhöhle, um ihr Leid zu mehren. Ihr Heil suchen sie im Rausch, in Alkohol und Morphin. Im wunderbaren Bühnenbild von Gralf-Edzard Habben gelingt Robert Ciulli eine dunkle, bewegende Inszenierung von Eugene O'Neills "Eines langen Tages Reise in die Nacht".

Eigentlich ist es ein Sommerhaus, in dem Vater und Mutter Tyrone und die Söhne James junior und Edmund diesen August-Abend verbringen. Habben macht es zu einem düsteren Ort zwischen Bruchbude und Geisterschloss, Höhle und Gruft. Die Schauspieler waten durch zwei flache quadratische Seen, in denen das Zeug der Zeit schwimmt: Buchseiten, Koffer, Schuhe. Die Tyrones hassen einander, doch sie können nicht voneinander lassen. Ist diese Verbundenheit Liebe? Oder doch nur die verzweifelte Suche nach einem Schuldigen für die eigenen Fehler?

Wie oft bei Ciulli sind die Figuren weiß geschminkte Gespenster oder traurige Clowns oder beides. Die Tyrones sind einander die Dämonen ihres Lebensunglücks: Schauspieler James hat die Familie mit auf seine Tourneen geschleppt. Wegen seines Geizes fristeten sie ein Leben in billigen Hotelzimmern. Das Sommerhaus taugte nie als Heimat. James junior sieht im Vater den Grund seines eigenen Scheiterns und macht Edmund verantwortlich für die Morphinsucht der Mutter; bei dessen Geburt wurde es ihr verabreicht.

Dem Ensemble gelingt es, zu zeigen, wie man sich schuldig fühlt, aber nicht, wie es ist, auch Verantwortung zu übernehmen. Den Zustand höchster Ambivalenz zwischen Geistesgegenwart und Umnachtung zeichnet Simone Thoma als Mutter Mary sehr berührend. Klaus Herzog gibt Vater James seltsam ruhend, satt und resigniert. Er will nicht mehr kämpfen. Nur in Fabio Menéndez (James junior) und Marco Leibnitz (Edmund) ist noch Wut zu spüren.

Zum großen Knall kommt es bei Ciulli jedoch nicht. Der Schmerz, der aus Familiengeschichte erwächst, schwebt - wie in "The End" von The Doors. Einmal wird Jim Morrisons Song über Abschied, Schmerz und den Willen, Vater und Mutter zu töten, fast komplett ausgespielt. Selten hat man im Theater einen so genau passenden Soundtrack erlebt.

(RP)
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