Szenischer Abend von Johannes Erath Eingefroren in der Diven-Pose

Die Premiere von „Vissi d’arte“ in der Rheinoper bedient sich einiger Klischees aus der Opern-Mottenkiste. Die wenigen großen Momente verpuffen.

 Oper Vissi d'arte Deutsche Oper am Rhein

Oper Vissi d'arte Deutsche Oper am Rhein

Foto: Monika Rittershaus

Am Anfang erklingen vertraute und doch eigenartig ferne Klänge: Ein Orchester stimmt sich ein, dann brandet satter Applaus auf, wie in einem voll besetzten Opernhaus, wenn der Dirigent seinen Arbeitsplatz entert. Doch nun kommt dieses wohl vertraute Ritual natürlich nur vom Band, denn in Corona-Zeiten darf es ja – mit wenigen Ausnahmen komplett durchgetesteter Orchester wie in Salzburg und neulich in Berlin – weder einen vollen Orchestergraben noch ein bis auf den letzten Platz besetztes Opernhaus geben. Das ist längst keine Neuigkeit mehr, aber schon die ersten Momente der Premiere von „Vissi d’arte“ zelebrieren den Verlust der Normalität erneut mit sentimentaler Wonne.

Dann huscht eine junge Frau auf die Bühne, umständlich und betont grazil nähert sie sich einem kleinen Koffer, der in der Mitte der Vorbühne liegt, blickt scheu umher, öffnet schließlich bang zaudernd die Kiste und schaut so verzückt hinein, als würde sie eines Wunders ansichtig. In diesem Moment mystischer Verzückung tasten sich langsam – wieder ganz von Ferne – hohe Streicherklänge in den im Schachbrettmuster besetzten Zuschauerraum. Ah, das Vorspiel zu „Lohengrin“! Natürlich kommt auch das vom Band, immerhin ein Mitschnitt der Düsseldorfer Symphoniker unter Axel Kober von 2011.

Alsdenn wird das ganze Vorspiel gegeben, die Tonspur schwillt quälend langsam von fast unhörbar zu einigermaßen vollem Sound an, die grazile Schönheit hat derweil aus der Kiste ein Akkordeon herausgeholt, das sie verträumt anhimmelt. Wiederum sehr langsam fährt dann der Orchestergraben hoch, auf dem tatsächlich ein paar echte Musiker sitzen, Laurentiu Sbarcea von den Düsseldorfer Symphonikern spielt live Wagners Cello-Stimme mit, dann öffnet sich die Bühne, auf der seltsames Mobiliar unter Plastikfolie überwintert. Dann folgt ein Klavierarrangement der berühmtesten Arie aus Erich Wolfgang Korngolds „Die tote Stadt“, die Ouvertüre von Mozarts „Zauberflöte“ für zwei Klaviere und wieder für Klavier solo ein Arrangement der titelgebenden Arie „Vissi d’arte“ aus Puccinis „Tosca“, in der die Titelheldin ihr Schicksal beklagt und die läuternde Kunst in buchstäblich höchsten Tönen besingt.

Es dauert gefühlt mindestens eine halbe Stunde, bevor an diesem von ihrem Schöpfer als „Liebeserklärung an die Opernbühne“ gepriesenen Abend die erste Stimme erklingt, wenn Maria Kataeva sehr schön vor dem geschlossenen Vorhang die Arie des Niklausse aus „Hoffmanns Erzählungen“ in einem gewitzten Arrangement von Wolfgang Wiechert singt. Es wird überhaupt nicht sehr viel gesungen an diesem Abend. Und wenn, dann entwickelt Johannes Eraths Parforce-Ritt durch die Hits der Operngeschichte häufig bloß den spröden Charme einer Klavierprobe, auch wenn Cécile Tallec und Wolfgang Wiechert an den Flügeln wirklich alles geben. Mehr von Wiecherts raffinierten Kammermusik-Arrangements wären die Rettung gewesen.

Schlimmer aber als die dürren Klänge ist, dass der Reigen durch die Repertoire-Perlen beim besten Willen keine Dramaturgie, geschweige denn eine Geschichte erkennen lässt und szenisch die schlimmsten Klischees aus der Opernmottenkiste bemüht werden. Wenn etwa Morenike Fadayomi erst pantomimisch die Tosca zum Klavierarrangement in gefrorener Diven-Pose mit Turmfrisur und Stola gibt und später leibhaftig singt, diesmal in einer Monster-Krinoline steckend. Und das an der Rheinoper, die mit Dietrich Hilsdorfs furioser „Tosca“-Inszenierung eine Perle im Repertoire hat, die gerade diesen törichten Diven-Kult kritisch beleuchtet?

Von säuerlich abgestandenem Kitsch ist auch die ganze Ästhetik des Abends, die mit Luftballons, Gold-Flitter-Staub, Diskokugeln, Tüllröckchen und Clown-Kostümen einen Circus-Roncalli-Charme einholen will, der aber in einem großen Opernhaus hilflos verpufft. Das können auch Bibi Abels suggestive Videos nicht retten. Heidi Elisabeth Meier singt dann nicht ganz treffsicher die Königin der Nacht, Tenor Andrés Sulbarán eine seltsame a-cappella-Montage aus berühmten Tenor-Passagen und Stefan Heidemann – ausgerechnet nach Salomes Finale mit Morenike Fadayomi! – Wotans Abschied von Brünnhilde in einem arg einsamen Arrangement von Max Reger.

Am Ende ahnt man, was möglich gewesen wäre, wenn sich plötzlich die Saaltüren öffnen und der Chor aus dem Foyer zum Finale aus „Hoffmanns Erzählungen“ einen wunderbaren Raumklang beiträgt und sich endlich ein Operngefühl einstellt.

Neulich erst präsentierte die Rheinoper mit Viktor Ullmanns „Der Kaiser von Atlantis“ eine klug inszenierte kammermusikalische Rarität, bei der die Abstandsregeln auf pfiffige Weise in das Regiekonzept integriert sind. Mit derartig erfrischenden Repertoire-Bereicherungen könnte die Krise tatsächlich zur Chance für Entlegenes werden und einen neuen Blick auf das Genre öffnen. Mit „Vissi d’arte“ aber fällt die Rheinoper zurück ins Opern-Mittelalter.

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