Interview Mischa Kuball „Man muss verstören, um gehört zu werden“

Zwei Wochen lebte der Konzeptkünstler im kalifornischen Thomas-Mann-Haus.

 Der Philosoph Armen Avanessian (v.l.), Mischa Kuball, die Stadtforscherin Ilse Helbrecht und der Literaturwissenschaftler Stefan Keppler-Tasaki vor dem Thomas-Mann-Haus.  Foto: Nikolai Blaumer         

Der Philosoph Armen Avanessian (v.l.), Mischa Kuball, die Stadtforscherin Ilse Helbrecht und der Literaturwissenschaftler Stefan Keppler-Tasaki vor dem Thomas-Mann-Haus. Foto: Nikolai Blaumer        

Foto: Nikolai Blaumer

Zurück aus Kalifornien – welcher Eindruck ist der tiefgreifendste?

Kuball Sicherlich der harte Kontrast, der sich ergibt aus der prominenten Lage des Thomas-Mann-Haus in den Pacific Palisades und dem

Projekt von LA CAN auf Skid Row in Downtown LA - ein Areal so groß wie die Düsseldorfer Altstadt ist den ‚houseless people‘ vorbehalten.

Die Verhältnisse die medizinische Notwendigkeiten und menschliche Bedürfnisse betreffen, gehen unter die Haut: derzeit grassiert Typhus -

Kuball Und direkt nebenan entstehen Neubauprojekte für unbezahlbares Wohnen!

Spürt man noch etwas von der „Thomas-Mann-Atmosphäre“ im Haus? Oder ist das eine bloß romantische Vorstellung?

Kuball Nein, das ist nichts mit Romantik, denn auch Thomas Mann verstand dieses Haus als einen Beitrag zur Moderne, die er – wie auch wir – mit dem Begriff der Aufklärung verbindet. Heute arbeiten dort ‚fellows‘, die ihren Forschungsschwerpunkten nachgehen wie der Thomas-Mann-Forscher Stefan Kepler-Tasaki von der Tokyo University oder die ,Stadt Geographin‘ Ilse Helbrecht von der Humboldt Universität Berlin. Spürbar ist der Geist des musischen und diskursiven. Das drückt sich in der Möblierung aus, Frido Mann hat den original Stutzflügel gestiftet; in der Bibliothek fehlen allerdings die ‚linken Denker‘ der Zeit Thomas Manns: unter anderem Brecht und Döblin.

Sie sind viel herumgefahren und haben vor allem die vielen Initiativen der Obdachlosen in Los Angeles besucht. Bis zu 40.000 sind es, warum ist die Zahl so erschreckend hoch?

Kuball In fast allen Stadtteilen ist die ‚houselesness‘ beobachtbar; aber das amerikanische ‚Sozialsystem‘ kennt nur wenige Möglichkeiten, strukturiert zu helfen. Wer durch das ökonomische Raster fällt, ist auf sich selbst gestellt – deswegen war es auch so zentral wichtig, lokale Akteure wie Pete White und Henriette Brouwer und John Malpede vom Los Angeles Poverty Department in das Thomas Mann House einzuladen, um herauszufinden was man gemeinsam entwickeln kann. Die Zahl ist erschreckend, weil wir dahinter individuelle Biographien sehen müssen – auf die man letztlich auch Individuell Antworten finden muss. Stattdessen plant die Stadt einen 500-Fuß-Bann, um so zu verhindern, dass ‚houseless‘ improvisierte Unterkünfte einen ‚Mindestabstand‘ zu Schulen und anderen Einrichtungen zu wahren haben; auf der anderen Seite findet sich fast täglich eine Reportage über diese Fragen und Skid Row in der Los Angeles Times. Es geht also alle was an – aber im Moment sind die ,bottom up’ Initiativen die überzeugenderen Akteure!

Ist diese Art der Armut mit der Obdachlosigkeit bei uns zu vergleichen? Sie haben sich ja auch in Düsseldorf für Menschen ohne Bleibe engagiert?

Kuball In den Jahren 2007 bis 2010 hat Thorsten Nolting von der Diakonie in Düsseldorf mich in einen Prozess eingebunden - es ging um die Eröffnung einer Einrichtung für Wohnungslose in der Düsseldorfer Altstadt - so wurde das Shelter auf der Ratzinger Strasse gegründet. (befindet sich heute auf der Liefergasse) in dieser Zusammenarbeit entstand auch die ‚shelterbag‘ - eine Tasche die Menschen mit unterschiedlichen Biographien u Bedürfnissen im öffentlichen Leben sichtbar zusammen gebracht hat. Vielleicht macht das schon einen wesentlichen Unterschied aus zu LA, man wartet hier in Düsseldorf nicht so lange bis die Betroffenen nicht mehr erreichbar und ansprechbar sind. Einstieg zum Ausstieg aus der Wohnungslosigkeit hat es Thorsten Nolting bezeichnender Weise benannt.

Was hat Ihr soziales Engagement mit Kunst, konkret: mit Ihrer Lichtkunst zu tun?

Einer der Wesenszüge meiner künstlerischen Idee und Praxis ist es, gerade das so stark mit dem Momentum der Aufklärung verbundene Medium Licht, für sozio-politische Kontexte zu nutzen. Peter Weibel hat meine Arbeit mal mit dem Begriff ‚Lichtpolitik' beschrieben - ich glaube er verbindet mit diesem Begriff die Absicht mit Licht Dinge/Sachverhalte so sichtbar zu machen, dass sie nicht mehr übersehbar sind!

Kann Kunst helfen? Und wenn ja: in welcher Form?

Kuball Es gibt natürlich auf die drängenden Fragen kein Rezept - aber Hilfe kann vielfältig sein, zB in der Idee auf gesellschaftliche Missstände mit konkreten Projekten zu verweisen - diese Methodik findet sich bei ua bei Apolonija Sustersiç, Thomas Hirschhorn und Alfredo Jaar. Joseph Beuys hat auf Provokation und Aufklärung gesetzt - ich halte das für eine probate Dialektik – man muss auch verstören um gehört zu werden.

Werden sich Ihre Erfahrungen von Los Angeles auch in einem Projekt hierzulande wiederfinden oder niederschlagen?

Kuball Das ist jetzt noch zu früh um das zu beurteilen – aber fest steht dass wir hier im Atelier an einer Idee arbeiten, wie wir mit den Aktivisten in Los Angeles zusammen arbeiten und Erfahrungen dazu austauschen könnten? Das Thomas Mann House hat sich ja bereits als Diskursplattform empfohlen - Pete White von LA CAN, signalisierte ja bereits Interesse an einer Kooperation; und die Bedürfnislage ist ja unübersehbar!

Für Deutschland sind andere Projekte in Arbeit–- nach New Pott, einer multimedialen Installation mit Stimmen von 100 Familien mit Zuwanderungshintergrund arbeite ich derzeit an einer NS-gebrochenen Künstlerbiographie - und an einem Beitrag im öffentlichen Raum für das Kunstmuseum Wolfsburg zum Thema Macht! Licht! für das Frühjahr 2020…

Mehr unter: www.mischakuball.com

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