Theater Krefeld Minna auf Zeitreise

Krefeld · Regisseurin Anja Panse lässt Lessings Lustspiel „Minna von Barnhelm“ in drei Epochen spielen. Die Gags zünden, aber es bleiben Fragen offen.

Dieses Frauenzimmer ist eigentlich eine Skandalnudel. Das Land ächzt unter den Nachwehen des Siebenjährigen Kriegs. Preußen leckt seine Wunden, und die Soldaten, die nicht als Helden, sondern als Geschlagene heimgekehrt sind, stecken in tiefer Identitätskrise. Da denkt diese Person nur an die eigene große Liebe, an einen Mann, den sie sich selbst ausgesucht hat und um dessen Liebe sie kämpfen will. Dass er durch ein Missverständnis um Geld und gesellschaftliche Position gebracht ist, interessiert sie nicht. Von den moralischen Vorstellungen ihrer Zeit hat sich Minna von Barnhelm längst emanzipiert.

Starke Frauen und Beziehungen mit gesellschaftlich definierten Ungleichgewichten gibt es zu jeder Zeit. Das ist der Ansatz von Anja Panse in ihrer Inszenierung des Lessing-Lustspiels „Minna von Barnhelm“. Deshalb schickt sie die Titelheldin, die Gotthold Ephraim Lessing in seiner Gegenwart im Jahr 1763 angesiedelt hat, auf eine Reise durch die Zeit und verschiedene Epochen. Es ist eine Art Mehr-Generationen-Film mit den Mitteln des Theaters, dessen Geschichte an einem festen Kreis von Figuren verhandelt wird, die sich aber mit den Jahrhunderten verändern. Eine Finesse, die Luftigkeit ins Stück bringt, auch wenn nicht jede Idee aufgeht.

Die Geschichte beginnt wie bei Lessing 1763, direkt nach Kriegsende im Wirtshaus, in das sich Major von Tellheim zurückgezogen hat, weil er der Welt und seiner Verlobten nicht mehr begegnen will aus tiefer Scham. Hier tragen die Figuren preußische Uniformen oder Krinolinenkleider und Zopfperücken. Ihre Gesichter sind kalkweiß geschminkt, denn die Ehre, von der allenthalben die Rede ist, ist nurmehr ein Gespenst. Mit solchen Symbolen spickt Regisseurin Panse ihre Inszenierung und dosiert geschickt Gags und Pointen, die immer zünden.

Christopher von und zu Lerchenfeld ist ein feist-fröhlicher Wirt, der mit Galanterie-Yoga herumscharwenzelt, wenn er einen Vorteil vermutet. Katzbuckeln lohnt sich, am Ende wird er sein Gasthaus groß ausbauen können. Er amüsiert besonders, wenn er mit Philipp Sommer (als Wachtmeister Paul Werner, der immerzu vom Krieg träumt) einen Stippeföttche-Tanz hinlegt oder seine Tochter (Adrian Linke in einer Rock-Rolle) herumkommandiert. Dazu klingt die von Sebastian Herzfeld komponierte Bühnenmusik wie aus der Best-of-Liste der Augsburger Puppenkiste. Selbst das an den soldatischen Gleichschritt mahnende Trommeln hat Charme. Dazu begleitet Linke auf dem Saxofon jeden heruntergekippten Schnaps mit einem entsprechenden Klangrutsch.

Das ist Lessing ganz leichtfüßig und elegant: Geschickt hat Panse gestrichen, den Text auf gute zweieinhalb Stunden Aufführungsdauer komprimiert und den Klang der Sprache beibehalten. Auch wenn sich die Handlung im dritten Bild langsam ins zu Ende gehende 19. Jahrhundert verschiebt oder am Ende in der Jetzt-Zeit ankommt, bleibt die Prägnanz der Dichtersprache erhalten.

Hannah Hamburger hat für die Stil- und Zeitenwechsel eine Versatzstückbühne gebaut, die sich rasch zu immer neuen Orten zusammen- und auseinanderschieben lässt. Die Zöpfe der alten Zeit werden abgeschnitten, wenn die Perücken abgesetzt werden. Doch egal, ob Gehrock oder Bundeswehrhemd - die Konflikte ändern sich weder mit Raum noch Zeit.

Für die Hauptfiguren geht das Konzept nicht immer auf. Manches bleibt unverständlich. Esther Keil gibt eine zu erwarten beeindruckende Minna, die sich von der Schwärmerin zur Kämpferin entwickelt. Warum sie zu Beginn ein exaltiertes Salondämchen ist, eine Art Barock-Barbie, erschließt sich nicht. Aber ihr Wandel zu einer klugen, von allen genormten Moralvorstellungen unabhängigen Frau ist intensiv und glaubhaft. Da hat sie Format. Ronny Tomiska zeigt Tellheim als Verkörperung eines falsch verstandenen Ehrbegriffs, steif und starr in einer überholten Moralvorstellung gefangen. Mit dem Preußenrock streift er seine Haltung nicht gänzlich ab. Sein neues Selbstbewusstsein zeigt er erst am Ende mit freier Brust, Sonnenbrille und Macho-Attitüde und wird dabei zur Karikatur.

Große Sympathien bekommen Adrian Linke, der neben der Wirtstochter auch als Riccault de la Marinière mit „Akßong trä schick“ auftritt, und Denise Matthey als Bodenständige Zofe Franziska, die mühelos in den sächsischen Dialekt wechselt. Bruno Winzen spielt den recht abgerissenen Bediensteten Just, und Michael Ophelders hat als Graf von Bruchsall einen fast göttlichen Auftritt mit hoher Symbolkraft am Ende der Geschichte, das optisch überrascht.

Weitere Vorstellungen im Krefelder Theater: 12., 15., 17., 22., 27. und 30. Juni. Kartenreservierung unter Telefon 02151 805-125.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort