Rosemarie Koczy aus Recklinghausen Künstlerin täuschte vor, im KZ gewesen zu sein

Recklinghausen · Die Recklinghäuser Künstlerin Rosemarie Koczy (1939-2007) hat in ihrem Werk die Shoah verarbeitet - und gab vor, selbst Opfer gewesen zu sein. Alles Lüge, wie sich jetzt herausstellt.

 Hans-Jürgen Schwalm, Direktor der Kunsthalle Recklinghausen, vor einem von Rosemarie Koczy geschaffenen Bild (Archivbild von August). Das Bild malte Koczy 1986.

Hans-Jürgen Schwalm, Direktor der Kunsthalle Recklinghausen, vor einem von Rosemarie Koczy geschaffenen Bild (Archivbild von August). Das Bild malte Koczy 1986.

Foto: dpa, cas fpt dul fdt

Ihre Bilder zeigen gewundene, magere Körper mit kahlen Schädeln, in denen große Augen sitzen, die den Betrachter voller Angst anstarren. "Ich webe Euch ein Leichentuch", ist auf der Rückseite der Tuschezeichnungen vermerkt — zur Erinnerung an die Opfer der Shoah.

Bis vor kurzem schien sich die Wahl der Motive und die Widmung der Werke aus der Biografie der Künstlerin Rosemarie Koczy zu erschließen. Denn die gab an, als Kind jüdischer Eltern 1942 aus ihrer Heimatstadt Recklinghausen deportiert worden zu sein und nur mit Hilfe von Mitgefangenen die Zeit in einem KZ-Außenlager in Bayern überlebt zu haben. Doch wie sich jetzt herausstellt, ist das alles wohl eine Lüge gewesen. Die 1939 geborene Koczy ging von Recklinghausen zunächst in die Schweiz, lebte später in New York, wo sie in den 1970er Jahren anfing, sich künstlerisch intensiv mit der Shoah zu beschäftigen. 2007 starb Koczy in New York. Ihrer Heimatstadt vermachte sie eine große Zahl ihrer Werke, die gerade in der Kunsthalle Recklinghausen zu sehen sind.

Bei Recherchen zu dieser Ausstellung fielen Historikern der Stadt Unstimmigkeiten auf. Der Erste Beigeordneter der Stadt, Georg Möllers, ist Verfasser eines Online-Gedenkbuchs, mit dem die Stadt an NS-Gewaltopfer aus Recklinghausen erinnert. Er hielt es zunächst für ein Versäumnis, dass die Familie von Rosemarie Koczy darin nicht auftaucht und ging der Familiengeschichte nach. Zusammen mit dem Leiter des Stadtarchivs, Matthias Kordes, fand er dann heraus, dass die Familie der Künstlerin auf väterlicher wie mütterlicher Seite seit Generationen katholisch ist. So mussten die Eltern der Künstlerin bei ihrer Hochzeit 1938 einen Ariernachweis liefern, was sie laut Vermerk im Archiv auch taten.

Auch die Angaben zu den Konzentrationslagern, in denen die Künstlerin angeblich als Kind interniert war, entpuppten sich als falsch. So hatte Koczy in einer handschriftlichen Autobiografie etwa geschrieben, sie sei in einem KZ-Außenlager im Bayerischen Trostberg gewesen, ein Lager, in dem ausschließlich Männer festgehalten wurden, die zur Arbeit an BMW-Kampfflugzeugmotoren gezwungen wurden.

Die Recherchen der Archivare ergaben auch, dass Koczy eine schwierige, vielleicht auch traumatische Kindheit erlebt haben muss. Die Mutter war wohl mit der Erziehung des Kindes überfordert, zeitweilig lebte Koczy in einem Kinderheim im Münsterland. Später in ihrem Leben muss sie diese Erfahrungen durch die Erfindung einer Opferbiografie überlagert haben. "Anfangs haben unsere Entdeckungen bei mir Gefühle von Empörung geweckt, weil die Künstlerin so viele Menschen getäuscht hat", sagt Matthias Kordes, Leiter des Instituts für Stadtgeschichte Recklinghausen. Inzwischen sehe er aber auch die pathologische Seite des Falls, schließlich habe Koczy auch sich selbst belogen. Sie sei wohl keine Hochstaplerin gewesen oder ein Scharlatan, der durch die Lügen etwa den Wert seiner Werke steigern wollte. Vielmehr habe sie sich wohl immer weiter in eine Pseudoidentität hineingelebt und selbst daran geglaubt.

Die Kunsthalle Recklinghausen lädt am Mittwochabend, 18 Uhr, zu einer Podiumsdiskussion ein. Dabei soll es um die noch ungeklärten Fakten der Recklinghäuser Jahre von Rosemarie Koczy gehen und um die Frage, wie mit der Biografie künftig umgegangen werden soll. Das Museum schätzt nach wie vor die künstlerische Qualität der Werke aus dem Nachlass der Künstlerin, die nun in seinem Besitz sind. Auf der Homepage heißt es: "Koczy hinterlässt ein ebenso umfangreiches wie eindringliches Œuvre, das überzeugend die Möglichkeiten der bildenden Kunst im 'Angesicht der Shoah' begreifen lässt."

Weitere Informationen zur Ausstellung und zum Werk von Rosemarie Koczy finden Sie auf der Internetseite der Kunsthalle Recklinghausen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort