Interview Philipp Schiemann „Mit Spott habe ich nicht gespart“

Düsseldorfs einziger Underground-Literat kehrt nach langer Abwesenheit in seine Heimat zurück.

 Der Schriftsteller Philipp Schiemann lebt inzwischen in Leipzig.

Der Schriftsteller Philipp Schiemann lebt inzwischen in Leipzig.

Foto: schiemann/privat

In den 1990er Jahren machte er mit krassen Texten und markanten Auftritten von sich reden. 2002 bekam er den Förderpreis Literatur der Landeshauptstadt Düsseldorf zugesprochen. Später wurde es dann sehr still um ihn. So still, dass man das Schlimmste befürchten musste. Nun gibt es jedoch gute Nachrichten: Philipp Schiemann zurück. Mit einem neuen Text kehrt der 51-Jährige, der auch als Grafiker und Mediengestalter arbeitet, für eine Lesung heim.

Herr Schiemann, am 16. August lesen Sie anlässlich des 100. Geburtstags von Charles Bukowski im WP8 am Worringer Platz. Davor haben Sie sich hier ziemlich rar gemacht. Wie lange liegt Ihre letzte Lesung in Düsseldorf eigentlich zurück?

Philipp Schiemann Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Es dürfte an die zehn Jahre oder länger her sein. Ich kann mich an eine Lesung 2013 in Mönchengladbach erinnern – kurz vor meiner letzten Entgiftung. Eine Vollkatastrophe mit Ohnmachtsanfall mittendrin. Ich glaube, hinsichtlich Düsseldorf wollte ich mir immer das letzte bisschen Würde bewahren. Es gibt ja diesen Mythos vom Künstler, der mit zunehmendem Konsum von Rauschmitteln immer besser wird. Auf mich trifft er definitiv nicht zu, ich habe mein bestes Zeug immer nüchtern verfasst.

Mitte Juli ist Ihre neue Erzählung „Rockstar 5.0“ erschienen. Worum geht es darin?

Schiemann Es geht vordergründig um die tagebuchartigen Aufzeichnungen einer altbackenen Punkrockband auf Deutschlandtour im Jahr 2018, alles fiktiv. Letztlich war diese Basis aber nur ein beliebiges Konstrukt, um in Sachen Gesellschaftskritik voll auf die Kacke zu hauen. Es war mir schlicht ein dringendes Bedürfnis, vieles, was im Moment und schon seit einigen Jahren in den Medien ausgeschlachtet und, begleitend, von A/B/C-Promis zelebriert wird, auf zynisch-satirische Weise zu kommentieren. Ich habe mit beißendem Spott nicht gespart. Ich denke, das Material wird stark polarisieren, denn anders, als das momentan überall en vogue ist, kriegen nicht nur die Rechten, sondern auch die bescheuerten extremen Linken ordentlich was auf den Sack.

Ihre letzte Entgiftung liegt sieben Jahre zurück. Was ist seitdem in Ihrem Leben passiert?

Schiemann Es hat sich kontinuierlich zum Guten gewendet. Ich lebe seit fast sieben Jahren abstinent, bin aktiv in der Suchtselbsthilfe unterwegs und habe – ich kann es selbst kaum glauben – die erste klassische Ausbildung meines Lebens absolviert. Ich bin jetzt Mediengestalter mit IHK-Abschluss. Hilft natürlich nichts, nach knapp hundert erfolglosen Bewerbungen arbeite ich jetzt seit einem knappen Jahr in einer Schulbibliothek. Außerdem sind drei Bildbände über West- und Zentralafrika bei Könemann erschienen, bei denen ich die Textregie hatte. Die Fotos stammen von dem Essener Ethnologen Henning Christoph, mit dem ich Afrika bereiste und dessen Lebenswerk in den Büchern vorgestellt wird.

Vor sechs Jahren sind Sie nach Leipzig gezogen. Wie leben Sie denn dort?

Schiemann In einer menschenwürdigen Behausung und ansonsten ganz unspektakulär. Einer der Gründe, nach Leipzig zu kommen, war tatsächlich der bezahlbare Wohnraum. Wer wenig Geld hat, der kann im Westen nur noch auf dem Land oder im Ghetto leben. Ich hatte das nach zweieinhalb Jahren auf 14 Quadratmetern in Köln-Neuehrenfeld für 300 Euro absolut satt. Jetzt habe ich zwei Zimmer, 45 Quadrat, Miete: 360 Euro warm, Gegend okay, Haus okay. Wo bitte gibt’s das noch in Düsseldorf?

Welche Rolle spielt das Schreiben heute in Ihrem Leben?

Schiemann Was die eigenen Texte angeht, da überlege ich mir heute schon sehr genau, ob es inhaltlich und qualitativ überhaupt für ein neues Buch langt. Ich will mich weder tausendfach wiederholen noch erlebe ich die Notwendigkeit, jedes Jahr etwas Neues zu veröffentlichen. Ich war zwischenzeitlich – wie viele – völlig ausgebrannt und habe Jahre gebraucht, um überhaupt wieder Spaß am Schreiben zu kriegen. Von daher sage ich jedem, der es wissen oder auch nicht wissen will: Begib dich nach Möglichkeit nicht in die Abhängigkeit, mit Kunst Geld verdienen zu müssen. Denn das ist in der Regel große Scheiße und für gar nichts gut, zuallerletzt für die Kunst. Und Lesungen? Na ja, damit bin ich sehr zurückhaltend geworden. Ich habe, offen gestanden, einfach keine Kraft und Lust mehr, für lau durch die halbe Republik zu eiern, um zwanzig Leuten was vorzulesen.

Wie häufig sind Sie heute noch in Düsseldorf?

Schiemann Ich war in den vergangenen zwölf Monaten zweimal für mehrere Tage da. Und hatte, ganz unerwartet, ein wirklich schönes Heimatgefühl. Das hatte ich in der Art noch nie.

Und was machen Sie dann gerne hier?

Schiemann Ich ging mit meiner Tochter durch die Stadt und zeigte ihr Ecken, in denen ich mich früher aufgehalten habe. Orte, an denen ich gewohnt habe und so weiter. Ich würde ja zurückkommen, wenn die Mieten nur nicht so elend hoch wären. Aber ich habe einfach zu wenig Geld, und mir ist meine freie Zeit beziehungsweise Zeit für eigene Projekte zu wichtig, als dass ich noch mehr für das elende, lästige Geld arbeiten wollte. Einige Hospiz-Mitarbeiter berichten übrigens, dass die Menschen, die sie betreuen, in ihren letzten Tagen und Stunden am meisten bedauern, immer so viel gearbeitet und nur so wenig Zeit mit Familie und Freunden verbracht zu haben. Sollte man öfter mal dran denken!

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort