Nobelpreisträgerin Notfalls auch Wörter aus Bioläden

Düsseldorf · Herta Müller sprach im Maxhaus über ihre ihre Kindheit in einem banatschwäbischen Dorf in Rumänien und die Ankunft in Deutschland.

 Herta Müller im Maxhaus.

Herta Müller im Maxhaus.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Über zwei Themen wollte der Buchhändler und Literaturexperte Rudolf Müller im ausverkauften Maxhaus mit der Nobelpreisträgerin Herta Müller reden: ihre Kindheit in Rumänien und ihre Arbeit mit Wörtern. Dahinter stecken zwei Bücher. Das jüngste trägt den Titel „Der Himmel fällt vom Pferd herab“ und zeigt in Bildern, was Herta Müller seit nunmehr 30 Jahren mit Schere und Papier aus Wortfundstücken zu Collagen verarbeitet hat.

In dem anderen, vor einigen Jahren erschienenen Buch „Mein Vaterland war ein Apfelbaum“ gibt die Autorin Einblick in ihre Kindheit in einem banatschwäbischen Dorf in Rumänien. Etwas reserviert wirkend las Müller zunächst hieraus einige Passagen. Im Gespräch mit Rudolf Müller kam sie dann aber schnell und sehr lebendig zur Sache. Und die besteht in ihrem lebenslangen Staunen darüber, wie aus einem Dorfmädchen in der Enge einer kommunistischen Diktatur eine weltweit geachtete Schriftstellerin wurde. Über dieses Staunen hat sie auch 2009 in Stockholm gesprochen, als ihr der Nobelpreis überreicht wurde.

Als die 1953 Geborene mit 34 Jahren endlich ausreisen durfte, kam sie zunächst nach Nürnberg in ein Aufnahmelager. Dort musste sie sich endlosen Befragungen stellen: „Prüfstelle A war der Bundesnachrichtendienst, Prüfstelle B der Verfassungsschutz. Dort sollte ich unter anderem durch das Konjugieren von Verben nachweisen, dass ich die deutsche Sprache beherrschte.“ Und das bei einer Deutsch-Rumänin, die bereits mehrere deutsche Bücher veröffentlicht hatte.

Dennoch empfand sie die Ankunft in Westdeutschland als einen ersten Moment der Freiheit, erzählte Müller. In Temeswar, wo sie studiert hatte, musste sie verschiedenste Arbeiten zum Lebensunterhalt verrichten und war hierbei den Nachstellungen des Geheimdienstes Securitate ausgesetzt. „Die haben mich noch bis in die Bundesrepublik mit ihren üblen Nachstellungen verfolgt.“

Hinter ihrem Schreiben, so Müller in ihrem Buch, stecke auch das Schweigen. Schon als Kind habe sie gelernt, alles in der Familie Gehörte niemals nach außen zu tragen. Jetzt gehört das Verhältnis von Schreiben, Schweigen und Reden zu ihrer Poetologie: „Die Sätze sagen natürlich etwas, aber das hat man mit sich selber ausgemacht, man war in der Komplizenschaft mit dem Schweigen, nicht mit dem Reden.“

Komplizenschaft steckt auch in dem, was Teil zwei des Gesprächs bestimmte: Müller hat sich mit Zigtausenden von Wörtern angefreundet, die sie allen möglichen Druckerzeugnissen als Schnipsel entnommen hat. Auch solchen in Bioläden, doch von deren Rigidität fühlt sie sich abgeschreckt: „Die Texte dort nehmen den Produkten ihre Frische.“ Eigentlich aber spielt der Kontext der Wörter keine Rolle, vielmehr deren Größe, Farbe oder Gestalt.

Wer mehr erfahren möchte, sollte die Ausstellung von Müllers Collagen im Heine-Institut besuchen.

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