Gabriele Henkel Die Diva aus Düsseldorf

Düsseldorf · Gabriele Henkel hat ihr Leben aufgeschrieben und dabei nichts geschönt. Die Erinnerungen lesen sich als ein Bekenntnis zur Liebe und Kunst. Sie fühlte sich "top of the world" an der Seite ihres geliebten Konrad.

 Gabriele Henkel in Berlin (Archivbild).

Gabriele Henkel in Berlin (Archivbild).

Foto: dpa

Am Ende der Lektüre wird sich mancher fragen, ob er gerne mit Gabriele Henkel tauschen würde. Vielleicht heute nicht mehr, da sie - wie man aus ihren Zeilen herauslesen kann - 85 Jahre alt, seit 1999 Witwe ist und zugibt, oft einsam zu sein. Dass ihr der geliebte Ehemann und die Freunde fehlen, die nun mehrheitlich nicht mehr leben.

Doch mit ihr durch die vergangenen Jahrzehnte ihres Lebens zu jetten und an dessen exzentrischen Höhepunkten teilzunehmen - das wär's. Zu Weihnachten mit der Industriellenfamilie auf dem Landsitz Hösel Kaviar, Hummer, Austern und Gänseleberpastete zu verspeisen. Oder mit der Selfmade-Journalistin am Tisch auf der Jacht von Fiat-Chef Gianni Agnelli zu landen, der sie zuvor aus dem Meer gefischt hatte, um sie vor den Bedrängungen eines liebestollen Mannes zu retten.

Immer wieder anregend wäre es, mit der kunstsinnigen Sammlerin durch das New Yorker Museum of Modern Art zu ziehen, dessen Beirat sie seit 1972 angehört. Auch Bilder ihres Lieblingsmalers Tizian zu betrachten oder neben ihr im Theater zu sitzen und mitzubekommen, wie sie die Kunst, Bühne und Drama aufsaugt. Am persönlichsten aber wäre es, Gabriele Henkel einmal als Gastgeberin kennenzulernen. Da offenbart sie Genie und Kreativität, Lebensfreude und tiefe Empathie. Wer bei ihr zu einer der legendären Soireen eingeladen wird, sinniert nicht nur über die Dichte der Prominenz und die Schönheit des Augenblicks. Sondern er erlebt die weltgewandte Frau als Künstlerin, die sie auch ist. Mit ihren anspielungsreich gestalteten Räumen und Tischen errichtet sie bei jedem Essen ein Museum auf Zeit. Ihr Freund Joseph Beuys, den sie Jüppchen nannte, lobte sie dafür und forderte sie auf, die Abende wie Kunst zu signieren.

Der Salon im "Chami 9" (Abkürzung für Henkels Adresse in Düsseldorf) galt als Salon der Republik, er bot die einzige wirklich glamouröse gesellschaftliche Bühne im spröden Nachkriegsdeutschland. Prominente und Politiker, Künstler und Freunde kamen von weither gereist. Das A bis Z in Henkels Adressbuch listet die Großen aus Politik, Wirtschaft, Kunst und Gesellschaft auf: Henry Kissinger und Helmut Kohl kommen darin vor, auch Jacqueline Kennedy, Herbert von Karajan, Heinrich Böll und Carlo Schmid, Helmut Schmidt und Konrad Adenauer - daneben Gunter Sachs und die Thurn und Taxis, Hildegard Knef, Rudolf Augstein oder Karl Lagerfeld. Auch der Friseur der Schickeria war eine Zeit lang ihrer: Udo Walz. Wie man erfährt, der beste und verschwiegenste von allen.

Ihr Vater war nicht überzeugt vom "Seifenfritzen"

Mit diesem sicher nur allerkleinsten, und zugegeben verblichenem Ausschnitt ist schon unterstrichen, welche Macht Gabriele Henkel durch ihre gesellschaftliche Position innehat, die sie vor allem durch die Hochzeit, 1955, mit dem Chemiker Konrad Henkel erringen konnte. Ihr Vater war zunächst nicht überzeugt von dem geschiedenen "Seifenfritzen", der um die Hand seiner Tochter anhielt. Für sie war er "der Mann meines Lebens". Mit dem Henkel-Patriarchen bekam sie Sohn Christoph, ihr einziges Kind.

Ihre eigene Kindheit und Jugend sahen für die Tochter aus gutem Hause Schweres vor. Ihr Vater, der Medizinprofessor Theodor Hünermann, hatte seinen vier Kindern ein stattliches Heim mit Salon und Barockmöbeln vorgehalten. Auch ein Tizian-Bild als Druck betrachtete sie schon als Mädchen täglich. Der Zweite Weltkrieg, in den der Vater als Lazarettarzt einziehen musste, zerstörte mit seinem Grauen, mit Bomben und Flucht, mit Not und Trauer, nicht nur das Zuhause, sondern fürs Erste alle Träume.

Die junge Gabriele, angeblich zu dick und mit Sauerkrauthaar ausgestattet, nennt ihre Jahre zwischen zehn und 20 einen Albtraum. Man hatte ihr die Schulbildung verwehrt und sie mit 16 als Au-Pair-Mädchen nach England geschickt. Das war "das Ende der Kindheit". Vaters Maxime hat sie ermuntert, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. "Wenn du wolltest, würdest du können", hieß seine Ermahnung. Von da an erstarkte sie und steuerte auf ihren Lebenstraum zu, Journalistin zu werden. Auf nicht unebenen Wegen bewegte sie sich. Die Engländer halfen ihr. Für das Nachrichtenmagazin "Newsweek" wurde sie als junge Frau in Bonn bei der Bundespressekonferenz akkreditiert. 500 D-Mark erhielt sie als Monatslohn.

Als sie 1970 den Auftrag erhielt, eine Kunstsammlung für Henkel anzulegen, konnte sie in den Kreisen schalten und walten, die ihr am liebsten waren. Mal eben nach Paris oder New York jetten, immer dabei sein, wenn sich an den Hotspots der internationalen Elite etwas rührte. Köstliche Episoden trägt sie zusammen. Der Sammlungsauftrag war ein Schlüsselmoment für ihr ausgelassenes, mitunter ausschweifendes Leben. "Kunst wischt den Staub des Alltags von der Seele." Das hatte Picasso einmal gesagt. Und galt für sie. Ihre Seele nahm Schwung auf, hob ab in eine atemberaubende Zukunft. Gabriele Henkel fühlte sich "top of the world".

Eine Protagonistin der Kunstszene

Die Industriellengattin wurde Protagonistin der Kunstszene, der sich alle Türen öffneten. Mit Leo Castelli fuhr sie in einer silbergrauen Stretchlimousine zum Begräbnis von Andy Warhol. Das war ein gesellschaftliches Ereignis, an dem ganz New York teilnahm. Längst trug sie Haute Couture und musste das Haushaltsgeld nicht mehr zählen. Sie war wer, und sie war wichtig. Sie hatte viel zum gesellschaftlichen Diskurs beizutragen, brachte sich ein. Und sie war immer eine schöne aparte Frau.

Mehrere Männer machten ihr den Hof, einige blieben Freunde fürs Leben wie Regisseur Robert Wilson. Muntere Anekdoten von Heiratsanträgen breitet sie in ihren Erinnerungen aus, ohne je geschwätzig zu sein oder Freunde zu verraten. Ihr Konrad war nicht eifersüchtig, liest man, sondern nahm die Avancen anderer Männer als Versicherung für sich, dass er die rechte Wahl getroffen hatte. Dass ihr Selbstbewusstsein nicht immer auf soliden Säulen ruhte, beweist die Anekdote mit Horst P. Horst. Der Meisterfotograf sollte sie in New York porträtieren, was ihr nicht behagte. Sie fühlte sich, so schreibt sie auf, wie eine "Grace Kelly für Arme".

Das Buch der Düsseldorferin nimmt für sie ein, sie hat es "Konrad Henkel in Liebe" gewidmet. Ihr Leben, wollte man jetzt schon einen Strich darunterziehen, hatte Höhen und Tiefen. Was zählte: Liebe und die Kunst. "Ein Tag mit Kunst ist ein guter Tag", schreibt sie. Die Memoiren sind persönlich gehalten, in dokumentarisch klarer Sprache. Das ist spannender zu lesen als die verklärte Abhandlung einer Familiendynastie, die Aushängeschild des deutschen Wirtschaftswunders war. In ihrer Heimatstadt Düsseldorf ist die Grande Dame noch präsent, bringt Klugheit, Kunstsinnigkeit - kurzum Farbe und Flair in die Stadt. Obwohl ihre Kräfte schwinden. "Die Einträge werden knapper", heißt es im Buch, "die Notizen spärlicher".

Durch das Veröffentlichen ihres Lebensberichts gewinnt Gabriele Henkel die Deutungshoheit über ihr bewegtes Leben. Mit Jean Paul hat sie die Memoiren überschrieben: "Die Zeit ist ein Augenblick. Unser Erdendasein wie unser Erdengang ist ein Fall durch Augenblicke." Für diese Augenblicke wird die gläubige Katholikin dankbar sein.

(RP)
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