Düsseldorf Ein Leben für die Industriefotografie

Düsseldorf · Kurz vor ihrem 80. Geburtstag erhält Hilla Becher am Dienstag in Düsseldorf den Kulturpreis der Rheinischen Sparkassen.

 Hilla Becher wird in Düsseldorf für ihre Arbeiten ausgezeichnet.

Hilla Becher wird in Düsseldorf für ihre Arbeiten ausgezeichnet.

Foto: dpa, de_hpl ve sab

Sie war die ausgebildete Fotografin. Er ein Grafiker, Maler und Zeichner. Dass sich der 1931 in Siegen geborene Bernd Becher mit der nur drei Jahre jüngeren, aus Potsdam stammenden Hilla Wobeser zusammentat, war ein Glücksfall für die Kunstgeschichte und den Neubeginn der Fotografie nach dem Krieg. Zur gleichen Zeit, als in Düsseldorf die Zero-Künstler Piene, Mack und später Uecker die Stunde null ausriefen, machte Bernd Becher erste Fotos in der Grube Eisenhardter Tiefbau seiner Heimatstadt; 1959 arbeiteten Bernd und Hilla schon zusammen; 1961 heirateten sie, 1964 kam Sohn Max zur Welt.

Gemeinsam schuf das Paar einen Solitär der Gegenwartskunst mit Werken, die es zuvor in dieser Form nicht gab und anderswo nie wieder geben wird. Das Lebensprojekt der Bechers ist die Dokumentation und Typologisierung von Industriebauten in Deutschland, Europa und den USA: Getreidesilos und Wassertürme hatten ihre Augen gefangen, Fördertürme, Gasbehälter, Hochöfen, Kühltürme, Steinwerke - anonyme Architektur. Auch Fachwerkhäuser und Industrielandschaften nahmen sie in der Tradition der dokumentarischen Fotografie auf. So erfand und etablierte das Paar eine Ästhetik der Wahrnehmung, die sich auf die neusachlichen Vorgänger der 1920er Jahre bezog, auf August Sander, Karl Blossfeldt und Alfred Renger-Patzsch. Anders als in der Malerei wurde der objektive Blick zum Maßstab. Die Aufnahmen von Bernd und Hilla Becher sind menschenleer, bevorzugt im wolkenverhangenen Sonnenlicht inszeniert. Man nennt das Fotografenpaar auch Archäologen der Industriekultur. Zeitlebens widerstanden sie dem Gefälligen. Sie wandten sich den Industrieanlagen und Hochöfen zu, weil diese ehrlich sind und funktional. Das gefiel ihnen.

Seit Bernd Becher im Jahr 2007 gestorben ist, arbeitet Hilla Becher weiter am Lebenswerk. Die alte Schule in Düsseldorf-Kaiserswerth ist nach wie vor ihr Zuhause; sie ordnet das Archiv und arbeitet einfach weiter mit vielleicht etwas weniger Energie als zuvor. Vieles blieb nach Ansicht ihres Mannes unvollendet. Als Signatur verwendet sie immer noch die gemeinsame. Weil man in den 50 Jahren alles zusammen gemacht hatte, betrachtet sie ihre Alleingänge als zu zweit gedachte Idee. Nur den großen, mit 50 000 Euro dotierten Preis der Sparkassen-Kulturstiftung wird sie heute auf eigenen Wunsch als Hilla Becher alleine entgegennehmen, weshalb ihre Rolle in dem kreativen Duo einmal getrennt zu bewerten sein wird.

Die Künstlerin sagt, dass es nie drauf angekommen sei, wer den Auslöser gedrückt habe. "Wir haben immer im Team gearbeitet. Der eine hat die Leute unterhalten oder Wache gestanden, der andere hat das Stativ stabilisiert oder mit einer Schere das Unkraut weggeschnitten, das den Blick versperrte." Man habe meist mit zwei Kameras gearbeitet, um schnell reagieren zu können bei unbeständigem Wetter und bei begrenzten Aufenthaltsgenehmigungen. Doch der Antreiber und Chef sei ihr Mann Bernd gewesen, sagt Hilla Becher, sie habe den Part der Beraterin übernommen. "Er war besessen und hat alles so oft wiederholt, bis es saß." Sie sei zwar Perfektionistin, gab sie im Interview mit der Süddeutschen Zeitung preis. Aber er sei so extrem gewesen, dass sie ihn manchmal aus seiner Manie habe reißen und bremsen müssen.

Bettelarm sind die Bechers in ihren Anfängen zu den Industrieanlagen vieler Länder aufgebrochen. Im VW Bulli steuerten sie damals die Motive an, den kleinen Sohn mit an Bord. Bohemiens oder Freaks nannte man solche Besessenen in den 1970er Jahren. Erst die Professur ihres Mannes an der Düsseldorfer Kunstakademie hatte sie finanziell gerettet. 20 Jahre lang leitete Bernd Becher die Klasse für Fotografie.

Oft versammelten sich die jungen Studenten - Andreas Gursky, Thomas Ruff und Thomas Struth -, die heute Weltgeltung haben, in der heimischen Küche zu legendären Begegnungen, von denen sie heute noch berichten. Dabei nordete sie ihr Lehrer ein. Hilla Becher hat mitdiskutiert. "Die haben gesehen, wie wir vor uns hinarbeiten, ohne viel zu fragen", erzählt sie. "Das war ermutigend, schließlich wusste keiner von denen, wohin die Reise einmal gehen würde." Ihr Mann habe keine Künstler kreiert, "es ging eher um die Art, wie man ein Thema durcharbeitet, vielleicht auch um Demut und Bescheidenheit." Diese Haltung kennzeichnet die Bechers, es wird sich niemals in Hilla Bechers Leben anders gestalten. "Die Haltung ist entscheidend", sagt sie und tritt in den Hintergrund. Nach vorne stellt sie immer nur ihre Arbeiten.

(RP)
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