Kölner Innenstadt Dicke konfrontieren Passanten mit Vorurteilen

Köln · Mit einer ungewöhnlichen Performance macht das Choreographen-Duo Angie Hiesl und Roland Kaiser derzeit in der Kölner Innenstadt auf den Leidensdruck übergewichtiger Menschen aufmerksam. Künstler konfrontieren die Passanten mit ihren eigenen Vorurteilen Dicken gegenüber.

Die Frage ist nun mal die erste, die einem so in den Sinn kommt, wenn man nichts weiter erwartet hat, wenn man eigentlich nur zurück zum Auto und nach Hause wollte. "Was soll das?" — fragt eine Dame ihren Mann. Er — schaut sich ratlos um — sagt: "Keine Ahnung, was das sein soll." Sie bleiben trotzdem stehen, die Einkaufstaschen hängen knapp überm Boden, sie wollen das jetzt wissen, natürlich spüren sie gleich, dass hier etwas vor sich geht.

Mitten in der Kölner Innenstadt hat das Choreographen-Duo Angie Hiesl und Roland Kaiser einen Garten aus Zuckerpaketen eingerichtet, darin: drei übergewichtige Menschen, die täglich die Blicke auf sich ziehen. "Fat Facts" heißt die Performance auf dem Apostelnplatz, einer Einflugschneise zur Fußgängerzone. Hunderte kommen hier in kürzester Zeit vorbei, gleich gegenüber liegen ein Café, ein Tchibo-Laden, Gerry Weber und das Schuhhaus Schwaeppe.

"Immerhin hast Du ein hübsches Gesicht"

Natürlich sind die üblichen Verdächtigen zur Stelle, die Interessierten, die die Anfangszeit der Performance kennen und darum schon um zehn vor sechs am Rand des Kirchplatzes stehen. Die meisten aber sind Zufallsbesucher, Menschen, die nun plötzlich aus Megafonen beschallt werden: "Fette Kuh" und "Immerhin hast Du ein hübsches Gesicht". Man kann also sagen, dass hier eine Kunst-Aktion auf Konfrontationskurs geht.

"Fat Facts" wird anlässlich des landesweiten Festivals "Tanz NRW" gezeigt, es kommentiert geltende Normen und Ideale, in dem es die Performer maximaler Öffentlichkeit aussetzt, ohne sie bloßzustellen. Auch nicht als eine der Darstellerin, die isländische Ása Ástardóttir eine Badewanne zunächst randvoll mit Zucker füllt und sich anschließend bis auf die Unterwäsche auszieht und hineinlegt. Einige Meter weiter steht ein dicker Mann, der eine Basketballmannschaft trainiert. Torsten Schierenbeck ist tatsächlich Trainer in Bonn. Er ruft "Let's go" und "Die Linie durchziehen", die Mannschaft muss man sich in Köln allerdings dazu denken. Ein Dicker der Sport macht! Vier Jungs, 15 oder 16 Jahre, machen reichlich Fotos, äffen Schierenbeck nach — was der ignoriert —, bis man bemerkt, wie es bei einem der Jungen Klick macht, er ruhig wird, er beginnt, sich so seine Gedanken zu machen.

"Wer sagt denn, was schön ist?"

Von Siiri Mälzer abgesehen, die sich im Hintergrund die ganze Zeit über einen mit Anwürfen beschriebenen Schal strickt — "Schwacher Mensch" —, dauert es allerdings eine ganze Weile, bis die Performance Schwung aufnimmt. Erst in der zweiten Hälfte von anderthalb Stunden wird aus der bloßen Störung der gewohnten Ordnung mehr, dann nämlich beginnen Ástardóttir und Schierenbeck über das Äußerliche zu sprechen. Er erzählt von Sahnetorten und Omas Mehlschwitze, von seinen Jugendjahren in den höchsten Basketball-Ligen, von schweren Verletzungen und dass er nie gelernt hat, richtig zu essen. Sie fühlt sich wohl, aber nicht mit dem fremden Blick. "Komplimente bekomme ich nur, wenn ich abgenommen habe", sagt sie und fragt: "Wer sagt denn, was schön ist? Gab es eine Abstimmung?"

Die Performance "Fat Facts" findet noch bis Samstag immer um 18 Uhr am Apostelnplatz (bei der Apostelnkirche) in Köln statt und dauert etwa 90 Minuten.

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