Hymne auf die Familie Warum der Kerkeling-Film so berührt

Jüchen · 1,33 Millionen sahen „Der Junge muss an die frische Luft“. Der Film erzählt von einem Kind, das Späße macht, weil es so traurig ist. Hauptdarsteller Julius Weckauf schenkt dem Film seine Herzenswärme.

 Kraftzentrum Familie: Julius Weckauf (M.), Rudolf Kowalski (r.) und Ursula Werner in „Der Junge muss an die frische Luft“.

Kraftzentrum Familie: Julius Weckauf (M.), Rudolf Kowalski (r.) und Ursula Werner in „Der Junge muss an die frische Luft“.

Foto: dpa/-

Dieser Junge ist so unverstellt, so offenherzig gefühlvoll, so tieftraurig komisch, dass er einem direkt ans Herz greift. Wie er da vor der versammelten Familie auf das Pferd steigen soll, das ihm die Oma geschenkt hat. Obwohl sich so ein Geschenk für eine Kleinbürgerfamilie im Recklinghausen der 70er Jahre nun wirklich nicht gehört. Hans-Peter soll vormachen. Die Sippschaft steht am Zaun. Doch dann müssen zwei Männer ihn schieben – und am Ende sitzt er rückwärts auf dem Gaul. Der Junge aber versinkt nicht vor Scham, er reißt die Arme hoch wie ein Zirkusartist, provoziert Lachen auf eigene Kosten. Es ist ein Geschenk an seine Familie, die nicht mehr so viel zu lachen hat.

Caroline Links traurig beglückendes Familiendrama „Der Junge muss an die frische Luft“ verzaubert gerade das Land. Seit dem Start steht der Film an Platz 1 der deutschen Kinocharts, 1,33 Millionen Menschen haben die Verfilmung der Kindheitserinnerungen des Autors und Komikers Hape Kerkeling bereits gesehen. Das hat nicht nur damit zu tun, dass da die tragische Jugend eines Prominenten ausgebreitet wird. Der Film basiert auf der gleichnamigen Autobiografie Kerkelings. Darin erzählt der Entertainer in seiner melancholisch wahrhaftigen Art unter anderem von der Krankheit seiner Mutter. Die litt an Depressionen und nahm sich schließlich das Leben.

Vor allem ist der Film ein gänzlich unzynisches Werk. Dezent, ohne Voyeurismus, voller Anteilnahme erzählt es von bitteren Ereignissen im Leben eines Jungen. Doch vor allem geht es um Liebe, Vertrauen, Zusammenhalt und den Eigensinn einer Familie. Es geht um starke Großmütter, die den Jungen lehren, möglichst wenig auf das Urteil der Leute zu geben. Um liebende Großmütter, die mit weher Hüfte den Haushalt schmeißen, wenn sie gebraucht werden. Es geht um Großväter, die im rechten Augenblick den Rucksack packen und mit Hans-Peter in die Berge laufen, damit er dem Tal der Tränen daheim für ein paar Tage entkommt. Es geht um alleinstehende Tanten, Eierlikörchen, Sahnetorten, Karneval, um die ganze Ansammlung von Skurrilitäten, die wir Familie nennen. Und das warmherzige Zentrum dieser Geschichte ist ein Kind: Julius Weckauf, inzwischen elf Jahre alt, aus Hochneukirch, der den jungen Kerkeling spielt.

Mit Kinderdarstellern ist es im deutschen Film so eine Sache: Oft bangt man mit, ob sie einigermaßen unverkrampft durch ihren Text kommen. Bei Julius Weckauf hat man gleich vergessen, dass er spielt, so wahrhaftig, körperlich, im besten Sinne naiv macht er sich die Figur zu eigen. Bei ihm bangt man eher, dass dieser Junge durch den ganzen Rummel, den er nun erlebt, seine Arglosigkeit verlieren könnte. Sie ist das Geheimnis seines Spiels.

Bei Auftritten wie am Mittwoch in Mönchengladbach ist allerdings ein Elfjähriger zu erleben, der so unverkrampft wie er spielt, seinen Erfolg genießt, und klar zwischen Rolle und Leben unterscheidet. Das hat ihm auch durch die schweren Szenen im Film geholfen, jenen Moment etwa, in dem seine Filmmutter stirbt. „Das war ja nicht mein Leben. Das habe ich nur gespielt und bin danach wieder in mein Leben zurückgekehrt“, sagt er über den Dreh. Auch haben seine Eltern bisher weitere große Filmrollen für den Sohn abgelehnt. Erst solle er wieder zur Ruhe kommen. Nur eine Nebenrolle wurde ihm genehmigt.

Zum Kinobesuch in Mönchengladbach wurde Weckauf von seinen Mitschülern begleitet. Als man ihn dort fragt, wie er mit all dem Interesse an seiner Person umgeht, antwortet er: „Am meisten freue ich mich, dass meine Schulklasse heute mit dabei ist." Da denkt man, dass auch Hans-Peter auf seinem Pferd diese Antwort gegeben hätte. Er vertraut ja in das Leben und darauf, dass es erst gemeinsam mit anderen wirklich lohnt. Natürlich ist es berührend, wenn ein Film davon erzählt.

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