Interview mit Günther Beelitz Das Junge Schauspiel ist ein Sorgenkind

Düsseldorf · Der neu gewählte Interimsintendant des Düsseldorfer Schauspiels hat genaue Vorstellungen davon, wie er das Publikum zurückgewinnen will.

 Günther Beelitz, der neue (und frühere) Intendant des Düsseldorfer Schauspielhauses.

Günther Beelitz, der neue (und frühere) Intendant des Düsseldorfer Schauspielhauses.

Foto: Andreas Bretz

Der Mann beweist Mut. Im Alter von 75 Jahren lässt sich Günther Beelitz dazu überreden, den Schauspielbetrieb in Düsseldorf als Intendant zu übernehmen, um ihn aus seiner Krise herauszuführen. Einer Krise, die zwar theatertypisch, aber in ihrer Eskalation kaum mit Krisen an anderen Häusern vergleichbar ist. War schon die Intendanz von Amélie Niermeyer (2006—2011) nicht glücklich verlaufen, gab ihr Nachfolger, der Schwede Staffan Holm, nach knapp einem Jahr aus persönlichen Gründen auf.

Der bis dato als Geschäftsführer fungierende Manfred Weber wurde Ende 2012 Holms Nachfolger und reüssierte ebenfalls nicht. Das Publikum war inzwischen verunsichert, blieb immer häufiger selbst den gelungenen Inszenierungen fern — Verstörung durch zu viele Brüche. Zudem wurde Manfred Weber von den beiden Gesellschaftern des Schauspiels, der Stadt Düsseldorf und dem Land, Misswirtschaft vorgeworfen. Für ein in seiner Amtszeit auf 5,4 Millionen Euro angewachsenes Defizit machte man ihn verantwortlich und trennte sich Ende Februar von ihm.

In dieser Situation wird der Schwabe Beelitz, der bereits vor fast 40 Jahren das Haus für zehn Jahre als Intendant übernahm, mit dem neuen kaufmännischen Direktor Alexander von Maravic vor allem Krisenmanager sein. Sein Arbeitszimmer am Gustaf-Gründgens-Platz hat er am 27. Februar bezogen.

Herr Beelitz, wissen Sie schon, was Sie als Erstes anpacken?

Beelitz Am Aschermittwoch werde ich den Probenstab für die "Orestie" begrüßen. Danach geht es gleich auf Dienstreise. Das Schwierigste wird sein, in den laufenden Betrieb als Fremder einzusteigen. Ich habe ja noch keine Basis. Ich muss mich mit den Mitarbeitern erst mal zusammensetzen und auch auseinandersetzen.

Soeben hatte Ihre Inszenierung "Wir lieben und wissen nichts" in Regensburg Premiere. Wie ist sie beim Publikum angekommen?

Beelitz Sehr gut — ich war fast ein wenig überrascht.

Woran messen Sie Erfolg im Theater?

Beelitz Es ist nicht so, dass leere Theater gute Theater und volle Theater schlechte sind. Die Wahrheit liegt in der Mitte. Aber ein Theater, das das Publikum nicht mehr interessiert, begibt sich aufs Abstellgleis. Und das kann man nicht durch dreimal "Weißes Rössl" wieder aufpeppen, sondern es müssen Themen sein, die die Menschen auch in ihrem Alltag bewegen. Die Möglichkeiten sind vielfältig, selbst wenn man ganz altmodisch sagt, Theater muss wieder Geschichten erzählen. Dafür müssen wir das Vorliegende aber ein bisschen umbauen.

Was heißt umbauen?

Beelitz Den Spielplan muss man an die Situation anpassen. Die Erwartung in Düsseldorf ist riesengroß.

Erdrückt Sie das nicht?

Beelitz Druck hat mich noch nie eingeschüchtert, sondern herausgefordert.

Werden Sie eher ein Krisenmanager als ein Theaterpatriarch alter Schule sein?

Beelitz Krisenmanager muss ich in diesem Fall sein. Und alte Schule war ich nie, sondern genau das Gegenteil. Ich gehörte zur Speerspitze der neuen Generation gegen das Establishment. Da war ich 30. Damals hörte das Patriarchentheater auf.

Sie müssen das Publikum zurückgewinnen. Welche Rolle spielt die Quote?

Beelitz Die Quote gibt es nicht, es gibt nur guten oder schlechten Besuch. Und guter Besuch fängt damit an, wenn 70 Prozent der Plätze an einem Abend besetzt sind. Ich habe das damals in meinem ersten Jahr auch nicht geschafft, später aber Traumergebnisse erzielt.

Ist das nicht immer auch ein erzieherischer Prozess?

Beelitz Ja, das meine ich. Das ist damals dieser lange künstlerische Prozess der Hartnäckigkeit gewesen, bis die Düsseldorfer plötzlich kapiert haben, ja, jetzt ist es ganz toll.

Als Intendant eines der größten deutschen Theater müssen Sie beweisen, dass Sie das viele Geld, die 23 Millionen, wert sind. Wie generieren Sie Qualität?

Beelitz In München kommt anderes Theater gut an als hierzulande. Man muss ein Gespür für eine Stadt entwickeln, dass man wieder an sie herankommt. Und wenn man das geschafft hat, dann muss man die Stellschrauben ein wenig fester ziehen. Man muss die Menschen mitnehmen zum nächsten Schritt und auf diesem Weg nicht verlieren. Dabei muss man beharrlich sein.

Ist das im Moment die richtige Strategie?

Beelitz Vielleicht ist es schwierig, ich spüre ja allenthalben, dass die Erwartungen unglaublich hoch sind, obwohl viele gar nicht wissen, was sie erwarten. Ein irrationaler Anspruch!

Von Ihrem Vorgänger erben Sie einen fast fertigen Spielplan. Wie wollen Sie ihn an die schwierige Situation anpassen?

Beelitz Unabhängig vom Spielplan müssen die strukturellen Defizite angepackt werden. So steht etwa im Wirtschaftsplan immer noch der gleiche Einnahmeansatz, den es schon lange nicht mehr gibt.

Wenn Sie den nicht anpassen, produzieren Sie laufend Minus. Das war ja auch Manfred Webers Problem.

Beelitz Nach dem Prüfbericht wird Vieles zu diskutieren sein.

Gibt es Entlassungen, weniger Vorstellungen?

Beelitz Beides nicht! Aber es muss einiges getan werden. Das Junge Schauspiel ist — so wie es derzeit läuft — extrem aufwendig. Weil die Schauspieler aus dem gleichen Ensemble wie fürs Große Haus kommen, sind sie extrem schwer zu disponieren. Diese Konstruktion ist eine Missgeburt, die ideell einen schönen Ganzheitsgedanken von Theater beinhaltet, aber praktisch und ökonomisch so hier nicht durchzuführen ist.

Sie haben das Kinder- und Jugendtheater in Düsseldorf gegründet.

Beelitz Ja, und deshalb lege ich besonders viel Herzblut da hinein. Damals gab es nur das "Grips"-Theater in Berlin und das Theater der Jugend in München.

Wie stehen Sie zu Experimenten?

Beelitz Experiment muss ein. Ich war immer sehr experimentierfreudig, Frank Castorf ist bei mir groß geworden. Doch muss man die Geschichten, die wir erzählen wollen, auch erkennen können. So muss die Regiehandschrift adäquat für das Stück sein.

Dass das Ensemble von einst 40 auf 26 Frauen und Männer geschrumpft ist, dass zu viele Gäste auftreten, missfällt Ihnen. Haben Sie die Mittel, die Stellen wieder zu besetzen?

Beelitz Man hat hier im Moment ohne das Ensemble geplant. In diesem Fall bin ich fast altmodisch: Ich glaube, ein Spielplan muss auf der Grundlage des Ensembles entstehen.

Wie lösen Sie das denn jetzt?

Beelitz Einerseits werden wir den Spielplan ändern müssen, und andererseits werden wir versuchen, besondere Schauspieler für zwei Jahre zu finden.

Werden Sie Stücke vom Plan streichen?

Beelitz Ich glaube fast ja. Düsseldorf ist ein schwieriges Theaterpflaster, das Publikum anspruchsvoll und gleichzeitig konservativ.

Kann es sein, dass man hier auf einen Heilsbringer wartet, eine Neuausgabe von Gustaf Gründgens?

Beelitz Sie sagen das ironisch-schön. Hier war ja der "Faust" das Weltereignis. Würden Sie diesen "Farben-Faust" heute angucken, dann würde er nicht mehr funktionieren. Theater verändert sich mit der Zeit. Und wenn es das nicht tut, dann erstarrt es.

Werden Sie selbst inszenieren?

Beelitz Ich werde das sehr sparsam tun, Arthur Schnitzler vielleicht oder Thomas Bernhard. Ich mache gern literarische Sachen, weil ich Literatur achte und Sprache liebe.

(RP)
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