Biennale 2019 Ein Hauch von Natur in Venedig

Venedig · Wenn Nationen friedlich miteinander die Kunst feiern: Die Biennale lockt wieder nach Italien.

 Die Skulptur „Building Bridges“ ist ein Hingucker der Kunstbiennale. Gefertigt hat sie Lorenzo Quinn, Sohn der Schauspieler-Legende Anthony Quinn.

Die Skulptur „Building Bridges“ ist ein Hingucker der Kunstbiennale. Gefertigt hat sie Lorenzo Quinn, Sohn der Schauspieler-Legende Anthony Quinn.

Foto: dpa/Felix Hörhager

Der Anfang lag in den Giardini. Es war Ende des 19. Jahrhunderts, als in Venedig die Kunst-Biennale gegründet wurde und dort in einem Park die ersten Pavillons für die Nationen gebaut wurden; darunter – vor Deutschland! – einer für Bayern. Und heute noch, bei der 58. Biennale Arte di Venezia, beginnt jeder Besucher seine Entdeckungstour am liebsten in diesen grünen Gefilden.

Sie zaubern in die steinerne Serenissima einen Hauch von Naturparadies, zumal hier die Nationen friedlich miteinander die Kunst feiern. Obwohl es einen Preis gibt, ist das kein Wettstreit, sondern ein Ringen darum, die Friedensutopie nie aufzugeben. Das funktionierte in Zeiten des Kalten Kriegs wie des Balkankriegs. Und nach wie vor kann man politische Verwerfungen, mal offen, mal versteckt, an den Pavillons ablesen. So ist der sonst nie verwaiste Kunst-Bungalow Venezuelas zum Symbol eines gefallenen Staats geworden. In den toten Räumen bewegt der Wind der Lagune nur das Herbstlaub, das niemand mehr wegkehrt.

Als Deutscher hat man natürlich so viel Lokalpatriotismus, dass man zuerst Richtung Padiglione Germania strebt. Schließlich hat die fiktive Künstlerin Natascha Süder Happelmann uns im Vorfeld schon sehr neugierig gemacht. Der geübte Biennale-Gänger weiß allerdings auch, dass auf dem Weg nach Germania doch lieber gleich das Schweizer Kunsthaus besucht werden sollte. Bei dessen Ausstellungen gab es in der Vergangenheit nie einen Ausfall. So ist es auch jetzt. Das Duo Pauline Boudry und Renate Lorenz zeigen einen bestens choreografierten, skurrilen Rückwärts-Gehen-Tanz (Video), der ein fein gezeichnetes Beziehungsmodell ohne Angst vor gutem Pathos sichtbar macht. Schon da genießen wir den sanft clownesken Schweizer Humor. Durch den Glitzervorhang im Film und in der Realität wird er noch verstärkt.

Wie hohles Pathos aussieht, beweist der benachbarte russische Pavillon. Alexander Sokurov und Alexander Shishkin-Hokusai blasen ein Untergangsszenario mit üppigsten Mitteln auf; auch das übrigens hat Tradition. Die beiden tun es nicht unter antikem Mythos (Atlas‘ Füße), Bibel (der verlorene Sohn), Rembrandt (Gemälde), Feuersturm (Jesus) und automatischem Figurentheater. Alles eingebaut in eine Atelier-Hölle – die womöglich irgendwann auf die Künstler wartet. Schnell weg aus diesem Effekt-hasch-mich. Einen Bezug zu Deutschland gibt es auch im bosnischen Pavillon. Dort zeigt die in Düsseldorf lebende Künstlerin Danica Dakic ihre Film-Installation „Zenica Trilogy“, die sie mit Menschen aus den Städten Zenica und Sarajevo realisiert hat. Das Projekt ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit mit dem Fotografen Egbert Trogemann, dem Produzenten Amra Baksic Camo und dem ebenfalls in Düsseldorf lebenden Komponisten Bojan Vuletic.

Aber nun in den deutschen Pavillon: Happelmann, ein Wesen kreiert von der Bremer Kunstprofessorin Natascha Sadr Haghighian (eingeladen von Kuratorin Franciska Zólyom, Leipzig), nennt ihre Installation   „Ankersentrum“ (sic!). In einem der vorbereitenden Videos ist Happelmann zu so einer Flüchtlingsverwahranstalt gewandert. Politpropaganda ist dennoch nicht ihre Sache. Aber sie spielt mit aktuellen Problemen. Dazu gehört unser Umgang mit Verzweifelten. Der zersägt, Klang geworden, in einer Sound-Gerüststangen-Installation unsere Nerven. Stärker tritt in dem Konzept jedoch das Thema Naturausbeutung in den Vordergrund. Verrenken müssen wir uns trotzdem, um die durch viele manipulative Eingriffe optimierten Tomaten auf der prächtigen Werbetafel hinter den Transportkisten zu erkennen.

Ordnet sich hier im Kleinen alles der Wirtschaftlichkeit unter, geschieht das im nächsten Raum im Großen. Auch hier wird Pathos gewagt. Eine mächtige Staumauer hat sich in den Kunsttempel gezwängt. Wassermassen scheint sie indes nicht mehr regulieren und bewahren zu können. Zwischen Felsbrocken, die Happelmann als Kopfersatz trägt , ist nur noch ein Rinnsal geblieben.

Die gefährdete Natur greifen diesmal relativ viele Künstler und Länder auf. Island und Kanada erweisen ihren Ureinwohnern und deren Naturphilosophie die Reverenz; Japan saugt die Besucher mit einer wunderbaren Videoinstallation in eine schlichte Fels-Pflanzen-Strand-Schönheit. Der skandinavische Bungalow, aus dem ohnehin Bäume wachsen, schildert den Horror der Degeneration und Zerstörung. Solche Gruselschocker setzen sich fort im zentralen Pavillon der Biennale di Venezia.

Die Hauptausstellung verantwortet in diesem Jahr Ralph Rugoff, Chef der Londoner Hayward Gallery. Er hat das Motto „May you live in interesting times“ ausgewählt. Und dass es nicht unbedingt angenehm ist, in „interessanten Zeiten“ zu leben, schildern viele seiner 71 Künstler; und das neben den 90 Länder-Vertretungen. Da könnte sich ein gründlicher Kunstfreund also ausgesprochen lange in der Serenissima herumtreiben – und hätte noch nicht all die zusätzlich angebotenen Expositionen wahrgenommen.

Kurator Ralph Rugoff baut indes eine Erleichterung ein. Seine 71 gibt es doppelt: in den Giardini und im Arsenale, dem zweiten Biennale-Gelände. Wer nur das eine oder andere Ziel anpeilt, hat auf alle Fälle Rugoffs Favoriten gesehen, allerdings nicht mit ähnlichen Arbeiten: Der Kurator legt auf janusköpfige Künstler wert. Man darf gespannt sein, was zum Beispiel das Team Sun Yuan und Peng Yu nach ihrer Blut-aufwisch-Maschine im Arsenale bieten werden. Der mächtige Roboter arbeitet verbissen hinter den Glasscheiben, bald aggressiv, bald verzweifelt sich aufbäumend wie ein gefangenes Tier.

Sanfter scheint dagegen Hito Steyerl zu sein. Mit ihrer Video-Installation, die traulich die Besucher umhüllt, zitiert sie bildungsfreundlich Leonardo da Vincis Wasserlust, lässt dann aber Venedig gnadenlos absaufen – gerade wegen des Lagunenschutz-( und Geldvernichtungs-)programms Mose.

Neben solch kraftvollen Statements bietet Rugoff viel allzu gut abgehangene Malerei wie unter anderen Julie Mehretu, Henry Taylor oder George Condo. Dagegen setzen etwa Mari Katayama und Zanele Muholi mit ihren Fotoarbeiten kraftvolle Zeichen, die körperliche und seelische Versehrtheit zu Schönheit verwandeln. Und draußen hüllt uns alle Lara Favaretto in ein Nebelwallen, das Caspar David Friedrich in mediterrane Flora integriert. Was will der deutsche Besucher mehr? Mal sehen, mit was diese und viele Künstler mehr uns im Arsenale überraschen.

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