Brauch um Kostüme und Pappnasen Ist Karneval Kultur?

Düsseldorf · Der Brauch, sich jedes Jahr zu verkleiden und zu singen, ist vielen Menschen wertvoller, als es ihnen bewusst ist. Warum also, wird Karneval in Düsseldorf noch nicht als Stadtkultur gesehen?

 Rosenmontagszug in Düsseldorf (Archiv)

Rosenmontagszug in Düsseldorf (Archiv)

Foto: Endermann, Andreas (end)

Ist Karneval Kultur? Oder bestenfalls Folklore und keinesfalls vergleichbar mit dem, was nach wie vor als Hoch-Kultur bezeichnet wird – also Oper, Schauspiel, bildende Kunst. Hans-Jürgen Tüllmann (61), Geschäftsführer des Comitee Düsseldorfer Karneval (CC), hat die Frage erneut gestellt. Er fühlt sich und die Seinen stiefmütterlich behandelt und wie ein Bittsteller, wenn es um Hilfe geht. In Köln sei das anders. Vergleichen wir das knifflige Problem der Einfachheit halber mit einem Festmahl: Es geht opulent zu, das Beste wird aufgetragen und es mangelt an nichts, die Tische biegen sich und es wird nicht etwa überlegt wird, ob man viel Geld investiert, sondern nur noch, wie und wo – so könnte man sich die Diskussion in der Landeshauptstadt um ihre kulturellen Leuchttürme vorstellen. Schauspielhaus, Oper, früher die Tonhalle – da schwirren die Millionensummen nur so durch die Luft, und kaum einer kommt auf die Idee, den Sinn solcher Investitionen infrage zu stellen. Denn: Eine Stadt wie Düsseldorf hat Kultur ersten Ranges anzubieten, und die muss ihr daher nicht nur lieb sein, sondern auch teuer.

An diesem Mahl möchte aber nun auch jemand dabei sein, der bislang – wenn überhaupt – bestenfalls am Katzentisch sitzen, Krumen aufsammeln und ansonsten zuschauen durfte: der Karneval. Warum, hat Tüllmann in einem RP-Interview gefragt, warum werden wir nicht als Teil der Kultur dieser Stadt gesehen und unterstützt? Er lobte zwar die Hilfe vor allem des Oberbürgermeisters und anderer Stellen, aber unterm Strich fühle man sich wie ein ungeliebtes Stiefkind.

Karneval als Kulturgut – ist das korrekt? Natürlich, sagt der Spiritus Rector und Erbauer der Rosenmontagszug-Wagen, Jacques Tilly (55). Karneval sei seit der Antike gewachsene Kultur, sozusagen Menschheitserbe und – wie sonstige kulturelle Aktivitäten – dem Wunsch entsprungen, über den bloßen Brot­erwerb hinaus eine Leistung zu erzielen, die andere Bedürfnisse anspreche. Aber, so Tilly weiter, der Deutsche habe mit dem Begriff Kultur ein Problem, neige dazu, nach vermeintlicher Bedeutungsschwere zu unterscheiden. Tilly: „Die Unterscheidung E- und U-Kultur gibt es nur hier!“ Das „E“ steht für ernsthaft, das „U“ für Unterhaltung. Anders gesagt: „E“ ist gut, weil von Gewicht und von Bedeutung, „U“ kommt leicht daher, macht Spaß und hat daher ein fieses Hautgout. Karneval, bisweilen derb und volkstümlich im guten Sinne des Wortes, fällt klar unter „U“ – und somit durch, jedenfalls bei Kulturpuristen.

Nicht jedoch bei einigen Hunderttausend Menschen, denen die Zeit zwischen 11. 11. und Aschermittwoch lieb und teuer ist. Umzüge, Kostüme, Rosenmontag, Karnevalssonntag auf der Kö, Weiberfastnacht, TV-Sitzung – dass das jecke Treiben massenhaft Leute anzieht, wird keiner ernsthaft bestreiten. Übrigens, dies nur am Rande, anders als Oper und Schauspiel. Geld gibt’s trotzdem nur sparsam. Von nachhaltiger Wertschätzung also keine Rede. Dabei ist der Brauch um Kostüm und Pappnase wertvoller, als den Menschen bewusst ist. Jedenfalls nach Überzeugung des Kölner Karnevalsforschers Wolfgang Oelsner (69). Ihm ist sowohl die Frage „Ist Karneval Kultur?“, wie auch der Vergleich mit dem, was er ebenfalls Hochkultur nennt, spürbar suspekt. Er mag nicht drauf eingehen, weil sich nach seiner Einschätzung die Frage nicht stellt und der Vergleich nicht funktioniert. Für ihn ist die jecke Zeit, vergleichbar mit Weihnachten, ein wesentlicher Bestandteil unserer Brauchkultur. Sie umfasse ganze Regionen, Städte oder Gruppen, und: Sie transportiert über die Generationen gewachsene Lebensweisheit und Wir-Gefühl. Karneval sieht er als Kitt der Gesellschaft, weil er – z. B. über seine Lieder und Bildersprache – zentrale, also ernste Themen (z. B. den Tod und das Jenseits) besetzt, aber auch Sehnsüchte abdeckt. Einerseits anarchisch, andererseits aber straff organisiert, damit stabilisierend für das Umfeld. Man könnte auch sagen: für die Heimat. Im Karneval darf und soll der Mensch sich schmücken, zeigen, bewundern lassen, erntet unabhängig vom sozialen Status Anerkennung, sagt der Fachmann fürs Jecke. Der Psychotherapeut und Pädagoge Oelsner hat keinen Zweifel: Partizipation, das Miteinander, und Inklusion sind die selbstverständlichen Bestandteile dieser Brauchkultur, von deren Integrationskraft andere Initiativen nur träumen können. Als Experte sieht er die enormen Möglichkeiten des therapeutischen Ansatzes, die sich quasi nebenbei ergeben – und genau dort den hohen Wert dieses Brauchtums: Karneval als Helfer für den Zusammenhalt der Gemeinschaft, sozusagen.

Seine Erkenntnisse scheinen die Kölner, historisch gewachsen und genetisch geprägt, verinnerlicht zu haben – und drücken das nicht nur durch ihre Leidenschaft für den Fastelovend aus, sondern durch Unterstützung. Wenn der CC-Geschäftsführer Richtung Süden zeigt und feststellt, die Kölner werden finanziell besser gefördert, hat er recht. Die Stadt Köln spendiert 175.000 Euro (in Teilen als Sachleistung), und offenbar ist man rund um den Dom höher geschätzt in der Wirtschaft. Ohne Zahlen zu nennen, lobt Festkomitee-Sprecher Michael Kramp die Großzügigkeit der Spender, und hebt den Autohersteller Ford hervor, der den Karneval seit Jahrzehnten fördert, u. a. mit Fahrzeugen. Daher kann man sich Dinge leisten, die in Düsseldorf nicht möglich sind: beim Festkomitee arbeiten 15 hauptamtliche – das heißt: bezahlte – Mitarbeiter, die Schar der Ehrenamtlichen ist groß. Wagenbauer Jacques Tilly kennt den Grund für die solide Verwurzelung bei den Kölnern: „In Köln trägt der Mittelstand den Karneval, und das seit Jahrhunderten“. Etwas Vergleichbares habe es in Düsseldorf nie gegeben. Trotzdem lasse man sich beim Nachbarn nicht von Geldgebern vereinnahmen: Anders als in Düsseldorf dürfen Sponsoren im Rosenmontagszug keine Werbung machen. Das scheint sie nicht zu stören – sie zahlen dennoch.

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