Schwerpunkt Diversity „Ihr wart die besten Botschafter“

Mönchengladbach · Als Axel Ladleif und Thorsten Neumann 2019 zum ersten homosexuellen Prinzen-Paar des Rheinlands werden, ist das für sie und die Verantwortlichen im Karnevalsverband ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Am Ende der Session sind die Jecken stolz „auf unser Prinzen-Paar“ – und das geht in die Verlängerung.

 Keine Frauenkleider, sondern ein Paar aus Prinzen: Niersius Thorsten (Neumann, l.) und Prinz Axel I. (Ladleif) waren das erste schwule Prinzen-Paar des Rheinlands und amtierten in Mönchengladbach für zwei Sessionen.

Keine Frauenkleider, sondern ein Paar aus Prinzen: Niersius Thorsten (Neumann, l.) und Prinz Axel I. (Ladleif) waren das erste schwule Prinzen-Paar des Rheinlands und amtierten in Mönchengladbach für zwei Sessionen.

Foto: bauch, jana (jaba)

Klitschnass vom Regen, kaputt, aber glücklich – als am späten Nachmittag des 25. Februar 2020 der Wagen mit dem Prinzen-Paar Axel I. und Niersius Thorsten der Tradition entsprechend als letzter das Ziel erreicht und das Ende des Veilchendienstagszugs in Mönchengladbach markiert, ahnt niemand, dass das vorerst das letzte Mal sein wird. In Düsseldorf wird zu diesem Zeitpunkt der erste Corona-Fall auftauchen, einen Tag später – ausgerechnet an Aschermittwoch – folgt einer in Mönchengladbach. Und dann ist erst einmal tatsächlich alles vorbei.

„Komm, wir halten die Welt an, um mit euch zu feiern“, hatten die Prinzen noch am Vormittag vor dem Zug im Festzelt unterhalb des Münsters gesungen. Alle schunkelten mit. Die Narren feierten ein Prinzenpaar, das ihnen eine tolle, eine besondere Session beschert hatte. Niemand ahnt, dass eine weitere besondere Session folgen wird. Denn die beiden Prinzen bleiben, gehen wegen der Pandemie in die Verlängerung. Das hatte es noch nie gegeben.

Dieser Satz begleitet Axel Ladleif und Thorsten Neumann, seit im späten Frühjahr 2019 feststeht, dass mit ihnen in Mönchengladbach das erste gleichgeschlechtliche Prinzenpaar des Rheinlands, vielleicht sogar ganz Deutschlands amtieren wird. Als Thorsten Neumann nach ersten Vorgesprächen mit dem Mönchengladbacher Karnevalsverband (MKV) schon „Feuer und Flamme war, endlich Prinz zu sein“, dämpfte sein Axel die Hoffnung. „Das wird niemals passieren.“ Zu konservativ seien die Brauchtumskreise und auch die Stadt insgesamt.

Doch es passiert: „Die Bereitschaft der Karnevalisten, sich ,auf so was wie uns’ einzulassen, hatte ich nicht erwartet“, sagt Ladleif. Und auch sie selbst waren unsicher. Werden wir in den Sälen vielleicht ausgepfiffen? „Diese Session durfte nicht schiefgehen.“ Nicht nur ihre eigene Reputation hing daran, auch die des MKV, in dessen Reihen es selbstverständlich Bedenken gegeben hatte und dessen Spitze dennoch sagte: „Wir machen’s.“

Das wurde belohnt. Denn die Session mit dem Motto „Gladbach – Jeckes Narrennest“ raste dahin wie in einem regenbogenfarbenen Rausch, die Jecken sangen jedes Lied der Prinzen lauthals mit, tanzten, applaudierten, waren glücklich. Axel I. und Niersius Thorsten erwiesen sich als Showtalente, waren am Ende „unser Prinzen-Paar“, alles andere spielte keine Rolle.

Sie sind auch im echten Leben ein Paar, arbeiten zusammen betreiben mit ihrer Firma „noi! Event & Catering“ Gastronomiebetriebe und Veranstaltungskonzepte. Beide sind aktiv im Karneval – obwohl nur Neumann, gebürtiger Bonner, aus dem Rheinland kommt. Ladleif ist Sauerländer und „spät karnevalistisch sozialisiert worden“, wie er sagt – nämlich durch den Umzug nach Mönchengladbach vor 15 Jahren.

Die Nachricht, dass ausgerechnet in Mönchengladbach zwei verpartnerte Männer (inzwischen sind sie auch verheiratet) als wichtigste Imageträger des Karnevals antreten, schlägt in der Stadtgesellschaft, aber auch bundesweit ein. Magazine, Tageszeitungen, Radiosender, Fernsehteams – in den Tagen nach der Bekanntgabe steht das Telefon der beiden nicht still. Die Karten für die Proklamation sind so gefragt, dass die Veranstaltung von der Kaiser-Friedrich-Halle in die deutlich größere Red Box verlegt werden muss. Auch die ist ausverkauft.

Zum Karneval gekommen sind die beiden durch ihre Stammkneipe in ihrem damaligen Viertel. Das „Alt-Eicken“ stand nicht nur bei Borussia-Fans hoch im Kurs, sondern auch für eine eher unkonventionelle Karnevalssitzung einer Gesellschaft namens „Schöpp op“. Wenig motiviert seien sie hingegangen und fanden dann doch das, „was wir am Karneval so toll finden“: Es ist egal, wo du herkommst, ob du reich bist oder arm, welchen Hintergrund du hast. Es ist eine Auszeit vom Alltag.

Mit einem Teil der Gesellschaft waren sie befreundet, es gab aber auch damals schon einige „die ein Problem mit uns hatten“. Zwei Männer, die zusammen lebten, das war manchen einfach fremd. Doch statt Fronten aufzubauen, kam man ins Gespräch. „Am Ende hieß es ganz überrascht: ,Ihr seid ja gar nicht so, sondern ganz okay’“, sagt Neumann. Ihr seid ja gar nicht so – ein Satz, „der uns die ganze Zeit begleitet hat“. Das Staunen kommt, wenn die Klischees, die viele Menschen von schwulen Männern haben, nicht bestätigt werden.

Ladleif und Neumann, der eine aus der Werbebranche, der andere gelernter Koch, pflegen nicht den schillernden Stil. Sie sind zwei Männer, die zusammenleben, ihre Homosexualität nicht verbergen, aber auch nicht zur Schau tragen. Diese Unauffälligkeit bringt ihnen auch manche Kritik aus ihrer „Community“ ein. „Ihr wart nicht schwul genug für dieses Amt“, sagten einige. Andere appellierten: „Ihr tut viel mehr für uns, wenn ihr bleibt wie ihr seid.“ Das blieben sie auch. „Die bunten Vögel wie Olivia Jones muss es geben“, sagt Neumann. „Wir sind aber wir.“

Deshalb war auch klar, dass sie ihre närrischen Rollen umdefinieren würden. In Mönchengladbach besteht das jeck-royale Duo traditionell aus einem Prinzen und einer Prinzessin, der Niersia. „Ich werde nicht als Frau im Fummel auftreten“, war für Neumann eine Bedingung. Eine Adaption der von einem Mann verkörperten Jungfrau aus dem Kölner Dreigestirn wollte er keinesfalls geben. So wurden sie ein Paar aus zwei Prinzen, ein Prinzen-Paar mit Bindestrich.

Aufgeregt waren die beiden vor dem üblichen Auftritt im Stadion vor einem Heimspiel der Borussia. Doch statt mit Bechern zu werfen und sie auszubuhen, applaudierte die Nordkurve. Kriminell war ein Vorfall wenige Tage vor dem Veilchendienstagszug: In der Wagenbauhalle waren homophobe Sprüche und Zeichen versprüht worden. Einbruchspuren gab es nicht. Es muss also jemand aus den Kreisen der Karnevalisten gewesen sein. Es wurde Strafanzeige erstattet, die oder der Verursacher konnten aber nicht ermittelt werden.

Mit einem unguten Gefühl steigen die beiden deshalb auf ihren Wagen beim Zug. „Schließlich steht man da auf dem Präsentierteller, wir wussten nicht, was passieren wird.“ Doch die Gesellschaften ziehen an ihnen vorbei, schwenken Regenbogenfahnen, danken, die rote Clownsnase als Erkennungszeichen aufgesetzt. „Das war einmalig“, sagt Neumann.

Später lobte sie der Veranstalter des Christopher-Street-Day in Düsseldorf auf der Bühne: „Ihr wart die besten Botschafter und habt mehr bewegt, als der CSD es könnte.“ Der CSD steht weltweit als Demonstration für die Rechte von Lesben, Schwulen und queeren Menschen. „Wir haben von vielen gehört, dass erst wir sie zum Karneval gebracht haben“, sagt Ladleif.

Ressentiments kennen sie beide gut. In den gastronomischen Küchen, herrscht nicht nur ein strenges Regiment, weiß Neumann als gelernter Koch, sondern das Milieu sei „eher frauenfeindlich und homophob“ eingestellt. So auch sein Ausbilder, den er dennoch zur Hochzeit einlud. Es sei die schönste gewesen, die er je erlebt habe, habe der Mann schließlich gestanden. Dass er mit einem Mann zusammenleben will, habe er seinem Vater zuerst schriftlich mitgeteilt.

Auch Ladleifs Coming-out war nicht leicht. „Ich komme aus einem erzkonservativen Umfeld, das war undenkbar“, sagt er. Er habe an sich selbst gezweifelt, sogar kurz vor einer Hochzeit mit einer Frau gestanden. Doch dann lernt Ladleif mit Ende 20 Thorsten kennen – und alles fügt sich. „Für mich ist klar“, sagt Thorsten Neumann, „dass ich den Menschen gefunden habe, mit dem ich das Leben verbringen möchte.“

Mit der Entfederung am 11.11. ist nach zwei Sessionen der Vorhang ihrer Amtszeit gefallen. Eine Fortsetzung soll es in keiner Form geben: „Damit enden unsere Auftritte auf der Bühne.“

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